Diskussion um Grundeinkommen Scholz erntet in Hartz-IV-Debatte Widerspruch

Berlin · Der kommissarische SPD-Vorsitzende kann die Diskussion um grundlegende Änderungen des Sozialsystems nicht mehr eindämmen. Die SPD-Linken wollen Korrekturen, die weit über die Schaffung von staatlich finanzierten Jobs für 150.000 Langzeitarbeitslose hinausgehen.

 Der kommissarische Parteichef und Finanzminister Olaf Scholz wünscht keine grundsätzliche Debatte über Hartz IV.

Der kommissarische Parteichef und Finanzminister Olaf Scholz wünscht keine grundsätzliche Debatte über Hartz IV.

Foto: dpa, wk tba

Die Chefin des Forums Demokratische Linke 21 (DL 21) in der SPD, Hilde Mattheis, fordert tiefgreifende Änderungen bei Hartz IV. "Die aktuelle Debatte um Hartz IV ist gut, denn sie zeigt, dass eine Korrektur der Hartz-Gesetze dringend notwendig ist", sagte Mattheis unserer Redaktion. Beim Ausbau von staatlich finanzierten Beschäftigungsmöglichkeiten für Langzeitarbeitslose "spielt es weniger eine Rolle, wie das Programm genannt wird, sondern dass damit Menschen wieder gute und sinnvolle Arbeit finden", sagte Mattheis.

"Das ist aber nicht die alleinige Antwort auf die Korrekturnotwendigkeit der Hartz-Regelungen und der dahinter stehenden Prinzipien", betonte die Vertreterin der SPD-Linken. "Beide Teile dieser Debatte müssen dazu dienen, wieder Teilhabemöglichkeiten für die Menschen zu eröffnen", sagte sie. Mattheis forderte unter anderem Änderungen bei Dauer und Bezug des Arbeitslosengeldes I, die Abschaffung von Hartz-IV-Sanktionen, die Überarbeitung der Hartz-IV-Leistungshöhe sowie die Reform des Schonvermögens für Hartz-IV-Bezieher.

Im Widerspruch zum Finanzminister

Die Vertreterin der Parteilinken widersprach damit dem kommissarischen SPD-Vorsitzenden, Bundesfinanzminister Olaf Scholz. Dieser hatte den Zeitungen der Funke Mediengruppe gesagt, es gehe nicht um eine Abschaffung des Hartz-IV-Systems, sondern um die Schaffung eines neuen sozialen Arbeitsmarktes für 150.000 Langzeitarbeitslose, wie er im Koalitionsvertrag von SPD und Union vereinbart worden ist. Scholz sagte: "Die Zahl der Bürgerinnen und Bürger, die über lange Zeit arbeitslos sind, muss sich deutlich verringern."

 Die SPD-Linke Hilde Mattheis.

Die SPD-Linke Hilde Mattheis.

Foto: dpa

Die vor allem in der SPD geführte Debatte offenbart, dass die Positionen in der Partei auch noch 15 Jahre nach der Einführung der Hartz-Reformen stark auseinandergehen. Weite Teile der Sozialdemokratie sehen in dieser größten Sozialreform der Nachkriegsgeschichte unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder weiterhin einen wesentlichen Grund für das schlechte Abschneiden der SPD bei Wahlen. Die SPD-Pragmatiker um Olaf Scholz dagegen erkennen an, dass ohne Schröders einschneidende Reformen das zweite deutsche Beschäftigungswunder niemals möglich geworden wäre.

Zahl der Langzeitarbeitslosen verharrt

Eine grundlegende Neuausrichtung könnte diese Beschäftigungserfolge wieder infrage stellen und zudem für die Solidargemeinschaft der Steuerzahler sehr teuer werden. Im Koalitionsvertrag sind für öffentlich geförderte Jobs für bis zu 150.000 Langzeitarbeitslose in dieser Wahlperiode vier Milliarden Euro vorgesehen. Auch viele Ökonomen und Sozialverbände befürworten zusätzliche Anstrengungen zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit. Denn trotz des nunmehr seit Jahren währenden Konjunkturaufschwungs sinkt die Zahl derer kaum, die über Jahre arbeitslos sind. Von den aktuell 2,458 Millionen Menschen ohne Arbeit in Deutschland sind rund 845.000 Langzeitarbeitslose, das heißt seit mindestens einem Jahr ohne Job.

"Auch Herr Müller und Herr Stegner stellen das Prinzip des Förderns und Forderns nicht infrage", betonte Scholz in dem Funke-Interview. Damit reagierte er auf Äußerungen seines Stellvertreters Ralf Stegner und des Berliner Regierungschefs Michael Müller, die sich für ein Ende von Hartz IV in der bisherigen Form stark gemacht hatten. "Es geht um die Ausgestaltung des sozialen Arbeitsmarkts", betonte Scholz.

Neue Begriffe in der Debatte

Allerdings versuchen führende SPD-Politiker den geplanten Ausbau des sozialen Arbeitsmarkts mit weitergehenden Vorstellungen über eine Hartz-IV-Reform und mit neuen Begriffen zu verbinden. Müller etwa hatte sein Konzept für den Ausbau des sozialen Arbeitsmarkts mit dem Begriff "solidarisches Grundeinkommen" verbunden. Berlins Bürgermeister schlug 1200 Euro im Monat für Menschen vor, die zu einer gemeinnützigen, sozialversicherungspflichtigen Arbeit bereit sind. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hatte zuvor in einem Gutachten für Müller sogar eine Entlohnung von monatlich 1500 Euro für Teilnehmer des Programms für realistisch gehalten.

Auch Heil stellt sich gegen Schulz

Auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sprach sich für eine Neuausrichtung der Grundversorgung aus und stellte sich damit gegen Parteichef Scholz. Heil zeigte auch offen Sympathie für den Begriff des solidarischen Grundeinkommens. Als Unterstützung für Langzeitarbeitslose müsse es Coaching und Begleitung geben. Wer mehrere Jahre arbeitslos gewesen sei, könne nur selten ganz alleine von null auf hundert durchstarten, schrieb Heil in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Die Begleitung von Langzeitarbeitslosen sieht der SPD-Politiker als "einen wichtigen Schritt auf dem Weg hin zu einem solidarischen Grundeinkommen".

Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck warf Vizekanzler Scholz vor, mit Basta-Politik eine Debatte über die Zukunft von Hartz IV abwürgen zu wollen. "Kaum diskutiert die SPD mal über Hartz IV, will Olaf Scholz die Debatte im Keim ersticken", sagte Habeck der Deutschen Presse-Agentur. "Es gibt zu viel verdeckte Armut, zu viele Leute leben in prekären Arbeitsverhältnissen." Notwendig sei eine Regelung, die "Demütigung durch Ermutigung ersetzt und Anreize für Erwerbsarbeit schafft".

Im Februar bekamen 5,95 Millionen Menschen Hartz IV. Davon waren 4,26 Millionen erwerbsfähig. Rund zwei Drittel bekamen Hartz IV, ohne arbeitslos zu sein, etwa weil sie einem Minijob oder einer Maßnahme zur Rückkehr auf den Arbeitsmarkt nachgingen, Schule oder Hochschule besuchten oder wegen Krankheit arbeitsunfähig waren. Im Schnitt machen die Leistungen der Grundsicherung 954 Euro für eine Bedarfsgemeinschaft aus, zum Beispiel arbeitslose Eltern mit Kindern. Für Alleinstehende gilt der Regelsatz von 416 Euro pro Monat.

BA-Chef gegen neue Grundsatzdebatte

Der Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Detlef Scheele, selbst SPD-Mitglied, hat die Bundesregierung wiederum aufgefordert, jetzt keine Hartz-IV-Grundsatzdebatten zu führen, sondern die Grundlage für einen sozialen Arbeitsmarkt für Langzeitarbeitslose zu schaffen. Die Politik sei gefordert, "sich an die Arbeit zu machen, diesen sozialen Arbeitsmarkt auf die Beine zu stellen", sagte Scheele in Nürnberg. Die Debatte über ein "solidarisches Grundeinkommen" führe in die Irre. Der frühere Hamburger Arbeitssenator Scheele kritisierte die Debatte scharf. "Ich glaube nicht, dass es dem einzelnen Arbeitslosen weiterhilft", sagte Scheele. Nach BA-Vorstellungen solle es bei der öffentlich geförderten Beschäftigung um Menschen gehen, die seit vier bis fünf Jahren langzeitarbeitslos seien. Vorstellbar sei ein Lohnkostenzuschuss in Höhe von 75 bis 80 Prozent.

Indem sie den Begriff Grundeinkommen verwenden, öffnen sich Teile der SPD auch einem viel weitergehenden Konzept: dem des bedingungslosen Grundeinkommens. Dieses vor allem vom Drogierie-Unternehmer Götz Werner propagierte Konzept sieht vor, dass grundsätzlich jeder Erwachsene in Deutschland ein steuerfinanziertes Grundeinkommen in Höhe von monatlich 800 oder 1000 Euro erhalten könnte. Dadurch würde den Menschen eine sorgenfreiere Lebensgestaltung ermöglicht, wird argumentiert. Finanziert werden könnte das Grundeinkommen, indem nahezu alle übrigen Sozialleistungen und Steuervergünstigungen gestrichen würden.

(mar)
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