Interview mit Sylvia Löhrmann Schulministerin appelliert an G8-Gegner

Düsseldorf · Sollte NRW zum Abitur nach neun Jahren (G 9) zurückkehren? Ein "ständiges Hin und Her" sei falsch, sagt Sylvia Löhrmann im Interview mit der RP. Sie plädiert für Reformen beim "Turbo-Abi" nach acht Jahren (G 8). Am runden Tisch gelte aber am Ende das Mehrheitsprinzip.

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Foto: dpa, aw soe

Was ist für Sie persönlich die wichtigste Erkenntnis des runden Tisches?

Löhrmann Dass es gut und richtig ist, sich mit allen Beteiligten offen und ehrlich auszutauschen. Und wie viele heute gegen eine Rückkehr zu G 9 sind, obwohl sie damals gegen G 8 waren. Wie ich übrigens auch.

Sie haben gesagt, man könne nicht alle paar Jahre das System umkrempeln. Hat sich Ihre Meinung geändert?

Löhrmann Nein. Ein ständiges Hin und Her ist kontraproduktiv. Schulentwicklung braucht Zeit, Verlässlichkeit und Unterstützung. Sie muss langfristig angelegt und mit Sorgfalt angegangen werden. Das spricht gegen eine unvorbereitete Rolle rückwärts zu G 9. Wir machen doch nicht den gleichen Fehler wie Schwarz-Gelb bei der überhasteten Einführung von G8. Das wäre fahrlässig und verantwortungslos.

Unter den Experten gibt es breiten Konsens für G 8. Fährt der Zug also Richtung Reform statt Umkehr?

Löhrmann Das war am Montag das Plädoyer der großen Mehrheit. Wenn man zu einem runden Tisch einlädt, muss es einen ernsthaften Dialog geben. Wir waren uns in einem alle einig: Wir wollen erfolgreiche Bildungswege für unsere Schüler.

Warum schließen Sie trotzdem die Rückkehr zu G 9 nicht aus?

Löhrmann Weil ich die Kritiker ernst nehme. Und um möglichst viele gemeinsame Ergebnisse zu erzielen. Basta und runder Tisch, das passt doch nicht zusammen. Es geht jetzt darum, weitere Reformen sorgfältig vorbereitet anzugehen. Klar war aber auch: keine Schnellschüsse für NRW! Alle müssen verantwortungsvoll handeln.

Auch die Bürgerinitiativen?

Löhrmann Auch die Bürgerinitiativen, die ja zunächst eine Kehrtwende schon im Sommer wollten.

Warum hat sich der runde Tisch dann nicht auf einen "Burgfrieden" geeinigt – nach dem Motto: Während der Beratungen der Arbeitsgruppen setzen die G8-Gegner ihre Werbung für einen Systemwechsel aus?

Löhrmann Ehrlich gesagt, den Vorschlag hat niemand gemacht. Und ob sich die Initiativen darauf eingelassen hätten, ist fraglich. Am runden Tisch geht es nicht um irgendwelche Spielchen. Alle sind ehrlich an der Sache interessiert.

Bis zu den Herbstferien, wenn Ergebnisse vorliegen sollen, sind es noch fünf Monate. Warum geben Sie den G8-Gegnern so viel Zeit?

Löhrmann Das ist schon ein ambitionierter Zeitplan. Sollte eine Arbeitsgruppe länger brauchen, wird das möglich sein. Dass sich das lohnt, hat die Arbeitsgruppe zur Schulstruktur der Bildungskonferenz gezeigt. Daraus ist der Schulkonsens entstanden, der den ideologisch geprägten Parteienstreit befriedet hat – zum Wohle unserer Schüler. Denn um die geht es.

Glauben Sie eigentlich, die Stimmung am runden Tisch könnte sich bis zum Herbst komplett drehen?

Löhrmann Das ist eher unwahrscheinlich. Aber es geht hier ja nicht einfach um Mehrheit und Minderheit, sondern um das Ringen um Lösungen, das Aufzeigen von Perspektiven und um Empfehlungen an die Politik. Schließlich trifft das Parlament die Entscheidungen.

Machen Sie Ihre Entscheidung vom Votum des runden Tisches abhängig?

Löhrmann Ich habe jetzt eine wichtige Moderationsrolle und nehme alle Beteiligten gleich ernst. Und in der Bildungskonferenz waren dank des konstruktiven und ernsthaften Klimas Ergebnisse möglich, mit denen vorher niemand gerechnet hatte. Mein Ziel sind möglichst breit getragene, konkrete Empfehlungen.

Was heißt das – muss es am Ende eine Lösung geben, der alle zustimmen ? Oder gilt das Mehrheitsprinzip?

Löhrmann Es wird wie bei der Bildungskonferenz Mehrheitsvoten geben. Mir ist aber wichtig, dass Minderheitsvoten auf Wunsch dokumentiert werden. Und der runde Tisch ersetzt nicht die politische Entscheidung des Parlaments.

Sollten Reformen am G8 also auf jeden Fall in Gesetzesform gegossen werden?

Löhrmann Das kommt auf die Vorschläge an. Manches kann man untergesetzlich regeln, anderes nicht.

Brauchen die Gymnasien insgesamt mehr verbindliche Vorgaben für die Umsetzung von G 8 als derzeit?

Löhrmann Das ist offenbar der springende Punkt. In den drei Arbeitsgruppen geht es jetzt konkret um folgende Fragen: Wie sieht es mit Schul- und Freizeit für die Jugendlichen im G8 aus? Welche Entlastungen gibt es über das schon erarbeitete Handlungskonzept hinaus? Und wie bringen wir die Umsetzung vor Ort in den Schulen besser voran? Einig sind wir uns, dass Verbesserungen und Entlastungen ohne Qualitätsverlust auch wirklich bei allen Schülern ankommen müssen.

Die Wissenschaftler am runden Tisch sagen, die Belastungen durch G 8 seien nicht nachweisbar. Bilden sich die Eltern den Stress nur ein?

Löhrmann Eltern wollen das Beste für ihre Kinder. Aber herauszufinden, welche Belastungen aus G8 resultieren und welche anderen Ursachen es gibt, das ist der wichtige Auftrag der dritten Arbeitsgruppe. Es gab beispielsweise aus der Initiative "Gib 8" den interessanten Hinweis eines Kinder- und Jugendpsychiaters, dass es keine einfachen Erklärungen gibt, und dass die Kinder auch unter der ambivalenten Haltung der Gesellschaft leiden. Junge Leute brauchen Klarheit. Deshalb ist eine einheitliche Lösung, die mehrheitlich getragen wird, so wichtig.

Ihre Parteifreundin Sigrid Beer fordert, die Lehrpläne zu "entschlacken". Kann das von oben verordnet werden, oder ist das letztlich Sache der Gymnasien?

Löhrmann Das ist ein Thema für mehrere Ebenen. Grundlage sind die Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz. Wir geben als Land die Kernlehrpläne mit den Kompetenzbeschreibungen vor. Dabei benennen wir auch konkrete inhaltliche Schwerpunkte. Die schulischen Lehrpläne erstellen die Schulen selbst. Es geht hier nicht darum, wer den Schwarzen Peter hat, sondern darum, wie über den Lehrplannavigator und exemplarische Schullehrpläne hinaus weitere Unterstützungen und Erleichterungen notwendig und möglich sind.

Glauben Sie, eine Umfrage unter Lehrern und Eltern von Gymnasiasten würde anders ausfallen als die bekannt gewordenen allgemeinen Umfragen, wonach bis zu 76 Prozent eine Abkehr vom G 8 wollen?

Löhrmann Ich glaube, dass es in jeder Gruppe Stimmen für und gegen G 8 gibt. Aus unterschiedlichen Beweggründen. Darüber zu spekulieren, wo die Mehrheiten liegen, ist doch müßig.

Ist dieser Anlauf zur Reform die letzte Chance, die G8 in NRW noch hat?

Löhrmann Es geht doch darum, dass es eine Unzufriedenheit mit dem jetzigen G8 gibt. Diese nehmen wir ernst. Unser Ziel sind erfolgreiche Bildungswege unserer Kinder und Jugendlichen. Und daran wollen alle Beteiligten ernsthaft arbeiten.

Detlev Hüwel und Frank Vollmer stellten die Fragen.

(ape)
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