Interview mit CSU-Chef Seehofer: Mit mir keine Gesundheitspauschale

Düsseldorf (RP). Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Horst Seehofer kündigt im Interview sein Veto gegen die Umstellung der Arbeitnehmerbeiträge auf eine Gesundheitspauschale an. In der Hartz-IV-Debatte will er sich für Sachleistungen für alle Kinder einsetzen.

2010: Strahlende CSU-Granden in Wildbad Kreuth
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Macht Schwarz-Gelb noch Spaß?

Seehofer Sagen wir so. Es macht Freude. Aber der Wohlfühlfaktor kann noch erhöht werden.

Wir haben eher das Gefühl, die Koalition hangelt sich von einem Friedensgipfel zum nächsten.

Seehofer Nein, wir hatten am Mittwoch ein ganz normales Routinetreffen. Es gab keine Friktionen. Die Gesprächsatmosphäre war angenehm. Aber wir haben verabredet, dass wir noch mehr aufs Tempo drücken werden. Von der Energiepolitik bis zur Sozialpolitik erwarten die Menschen konkrete Politik, keine abstrakten Debatten.

Sie meinen, so abstrakt wie die von FDP-Chef Guido Westerwelle angestoßene Hartz-IV-Debatte?

Seehofer Das war streckenweise eine virtuelle Diskussion, ja. Was die Sanktionsregeln für Arbeitsunwillige betrifft, sind die gesetzlichen Instrumente ausreichend. Die Regelsätze für Hartz IV müssen nach dem Karlsruher Urteil nicht substanziell geändert werden. Das ist also auch kein Thema. Das Verfassungsgericht hat uns lediglich eine Neuberechnung nach objektiven Kriterien vor allem für Kinder auferlegt. Das werden wir tun.

Also viel Lärm um nichts?

Seehofer Unsere Aufgabe muss sein, die Leistungen für die Kinder in den Fokus zu rücken. Ich setze mich dafür ein, dass wir Sachleistungen für alle Kinder bereitstellen. Also auch für diejenigen Eltern, die keine Transfers beziehen, aber als Niedrigverdiener und Alleinerziehende auch jeden Euro umdrehen müssen. Dies sollten wir nicht mit Gutscheinen lösen, sondern beispielsweise, indem Kommunen kostenlosen Musikschulunterricht oder Nachhilfeunterricht für alle Kinder anbieten. Die Kosten dafür müssen den Kommunen erstatten werden.

Wer soll das bezahlen?

Seehofer Wir alle. Wir können nicht sagen, Bildungspolitik ist die Sozialpolitik des 21. Jahrhunderts und Voraussetzung für Teilhabe, aber wenn es konkret wird, laufen wir davon. Möglich wäre es, einen Teil der im Koalitionsvertrag für den Bildungspakt vereinbarten 13 Milliarden Euro in solche Maßnahmen zu investieren.

In der Gesundheitspolitik trennen CSU und FDP doch Welten, oder?

Seehofer Ich habe ausrechnen lassen, was eine Umstellung der Arbeitnehmerbeiträge von 7,9 Prozent für die Krankenversicherung in eine Pauschale kosten würde.

Und?

Seehofer Jeder Beitragszahler müsste 145 Euro zahlen. Der Sozialausgleich für alle, die heute weniger bezahlen, übrigens fast alle Rentner, würde den Steuerzahler 21 Milliarden Euro kosten. Das ist angesichts der Haushaltslage nicht möglich. Und das Problem der Mehrkosten im Gesundheitswesen ist damit noch gar nicht gelöst.

Es wird keine Umwandlung der Beiträge in eine Prämie geben?

Seehofer Richtig. Eine Umstellung der bestehenden, am Lohn orientierten und sozial gerechten Arbeitnehmerbeiträge auf eine Pauschale wird es mit mir nicht geben. Wir reden, wie in der Koalition vereinbart, nur über die Zusatzausgaben in der Krankenversicherung, die aufgrund der Demografie und des medizinischen Fortschritts zwangsläufig sind. Was die Finanzierung dieser zusätzlichen Lasten betrifft, da wird die Regierungskommission Vorschläge machen. Das warten wir ab.

Nun will Gesundheitsminister Rösler die Arzneimittelkosten in den Griff kriegen. Unterstützen Sie ihn?

Seehofer Wir können nicht die jeweils entstandenen Zusatzausgaben nur über Beitragserhöhungen finanzieren. Das überfordert die Beitragszahler. Insofern ist es richtig, dass die Ausgaben gedrosselt werden sollen.

Wie? Festpreise für Medikamente?

Seehofer Das ist vorstellbar. Der Festbetrag, den Union und FDP 1989 eingeführt haben, hat sich als sinnvolles Mittel erwiesen. Zwangsrabatte, die von den Kassen bestimmt werden, sind nicht das beste Mittel.

Schwarz-Gelb in Düsseldorf ist unter Druck. Machen Sie sich Sorgen?

Seehofer Vorsicht ist angebracht. Wir müssen alles dafür tun, dass die christlich-liberale Landesregierung in Düsseldorf wiedergewählt wird. Sonst haben wir in Deutschland faktisch eine Allparteien-Koalition, die Regieren unmöglich macht.

CDU-Umweltminister Norbert Röttgen käme Schwarz-Grün gelegen. Er will schnell raus aus der Atomenergie.

Seehofer Für uns in Bayern ist die Kernenergie von besonderer Bedeutung. Wir sind weit weg von Kohlegruben und Küsten, wir brauchen noch auf absehbare Zeit die Kernenergie als sichere und klimafreundliche Energiequelle. Sie ist Grundlage unseres Wohlstands.

Wie lange sollen die Meiler laufen?

Seehofer Bis wir mit den alternativen Energiequellen so weit sind, sind alleine die Sicherheitsstandards der Kernkraftwerke entscheidend, keine Ideologien. Solange ein Kernkraftwerk sicher ist, sollte es am Netz sein dürfen. Ich habe keine Lust, ein sicheres Kernkraftwerk abzuschalten, um dann den Strom aus ausländischen Meilern zu importieren.

Also wieder eine virtuelle Debatte?

Seehofer Wir sollten uns in der Koalition auf das Vereinbarte konzentrieren. Ein vorzeitiges Abschalten von sicheren Atomkraftwerken gehört nicht dazu.

Wie beurteilen Sie die Lage der Kirchen in Deutschland?

Seehofer Als Christ bedrückt mich das jenseits meiner politischen Funktion. Andererseits haben die Kirchen historisch gesehen schon ganz andere Krisen gemeistert. Die Verantwortlichen in der katholischen Kirche tun alles, um sich um die Aufklärung zu kümmern. Was Margot Käßmann betrifft, ist der Rücktritt ein sehr respektabler Umgang mit einem persönlichen Fehlverhalten. Ich kann dafür nur meine Bewunderung ausdrücken.

Gelassenheit scheint Ihr neues Lebensmotto zu sein.

Seehofer Gelassenheit tut uns allen gut, ja. Das rate ich uns übrigens auch in der Koalition.

(RP)
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