Sicherheitskonferenz in München Welt am Abgrund - Berlin pausiert

Berlin · Die diesjährige Sicherheitskonferenz in München tagt in einer der weltpolitisch gefährlichsten Phasen seit 1945. Doch während etwa die USA hochkarätige Vertreter schicken, fällt der Gastgeber Deutschland weitgehend aus.

 Das Hotel Bayerischer Hof in München, wo im letzten Jahr die Konferenz stattfand. Auch in diesem Jahr wird das Treffen dort abgehalten.

Das Hotel Bayerischer Hof in München, wo im letzten Jahr die Konferenz stattfand. Auch in diesem Jahr wird das Treffen dort abgehalten.

Foto: dpa, mbk axs

21 Staats- und Regierungschefs werden Ende nächster Woche zur weltweit wichtigsten Sicherheitskonferenz in München erwartet. Sie kommen etwa aus der Türkei und der Ukraine, aus Israel, Frankreich, Großbritannien, Österreich und den Niederlanden. Allen Verantwortlichen brennt die prekäre Sicherheitslage auf den Nägeln.

Dringend müssen Lösungen für eine aus den Fugen geratene Weltordnung gefunden werden. Aber Deutschland ist auf dieser Ebene nicht vertreten. Große Hoffnungen richten sich auf ein Außenministertreffen am Rande der Konferenz, bei der neue Bewegung in die Ukraine-Gespräche gebracht werden soll. Auch hier ist Deutschland nicht dabei.

Zwar wird die Konferenz am Freitag erstmals von zwei Frauen eröffnet - von Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen und ihrer französischen Amtskollegin Florence Parly. Doch hat auch dabei die Vertreterin des gastgebenden Landes die schlechteren Karten. Frankreich hat schon einmal vorgelegt und soeben beschlossen, die Verteidigungsausgaben massiv zu erhöhen. Zunächst jährlich um 1,7 Milliarden Euro, dann pro Jahr um drei Milliarden - bis 2025 das von der Nato ausgegebene Ziel von zwei Prozent Verteidigungsanstrengungen, gemessen am Bruttosozialprodukt, erreicht sein wird.

US-Delegation besteht aus mehreren Ministern

Das hatte die gerade ins Amt gekommene US-Administration unter Donald Trump vor einem Jahr in München bereits angemahnt. Im Vorfeld der diesjährigen Sicherheitskonferenz war aus US-Delegationskreisen zu hören, dass der Druck in diesem Jahr noch stärker ausfallen wird.

Und was kann von der Leyen darauf antworten? Dass sich Union und SPD in ihrem Koalitionsentwurf darauf verständigt haben, den Etat um eine magere Milliarde, gestreckt über vier Jahre, zu erhöhen und eventuell noch etwas draufzulegen, falls es weitere Spielräume geben sollte. Vollmundig hält der Koalitionsvertrag zwar fest, dass Deutschland dem "Zielkorridor" der Nato-Vereinbarung folgen wolle. Doch die Haushaltsansätze sprechen dem Hohn.

Die US-Delegation besteht aus mehreren Ministern (Verteidigungsminister James Mattis, Heimatschutzminister John Kelly), dem nationalen Sicherheitsberater Herbert Raymond McMaster und rund 50 Kongressabgeordneten, darunter fast jeder zehnte US-Senator.

Zwar ist Deutschland in München auch noch mit Landwirtschaftsminister Christian Schmidt und Entwicklungsminister Gerd Müller (beide CSU) vertreten. Doch beide werden erkennbar der nächsten Regierung nicht mehr angehören. Auf dieser Ebene ist von der Leyen sozusagen allein zu Haus. Berlin macht Pause. Dabei ist die Situation besonders brenzlig.

"Ich kann mich seit dem Zerfall der Sowjetunion an keine Phase erinnern, die potenziell gefährlicher war als die jetzige", sagt der erfahrene deutsche Diplomat Wolfgang Ischinger, der seit zehn Jahren die Sicherheitskonferenz leitet. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), schließt sich dem an.

"Ischingers Diagnose halte ich für zutreffend", unterstreicht Röttgen. "Deutschland versäumt viele Möglichkeiten, indem gerade auch Parteien und Politiker diese Realität ignorieren", gibt der CDU-Außenexperte zu Protokoll. Er verlangt, Deutschland müsse eine außenpolitische Strategie entwickeln. Und er wird auch konkret: "Die neue Bundesregierung sollte eine europäische Nahost-Initiative anstoßen."

Außerdem empfiehlt Röttgen dem neuen Kabinett, "mit einigen anderen EU-Staaten gemeinsame, einsatzfähige militärische Verbände einzurichten". Und er macht klar, was wohl auch die Gäste aus den USA in München erneut in aller Deutlichkeit sagen werden: "Deutschland muss sowohl bei der Entwicklungszusammenarbeit als auch bei der Verteidigung seine internationalen Zusagen einhalten."

Konferenz unter Motto "An den Abgrund - oder zurück?"

So sehr Ischinger sich über das überragende weltweite Interesse von rund 500 hochkarätigen Verantwortungsträgern am Dialog in München freut, so sehr bedauert er die dahinter stehende Weltkonstellation. "An den Abgrund - oder zurück?", hat er als Motto der Konferenz gewählt, mit Betonung auf dem Fragezeichen. Es gebe inzwischen nicht mehr jene internationale Ordnung, die von allen akzeptiert werde und für deren Einhaltung sich einzelne Staaten einbrächten.

Sichtbar werde das vor allem an dem zurückgefahrenen Engagement der USA unter Präsident Donald Trump. Aber auch Russland und China schienen zur Zeit nicht bereit, das Völkerrecht zu respektieren. "Es sieht so aus, als falle die Weltordnung auseinander", lautet Ischingers aktueller Befund in Anlehnung an eine Warnung des früheren Außenministers und jetzigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier.

In diese Situation ist nun auch noch Trump mit einer neuen US-Nukleardoktrin geplatzt. Er ersetzt die (wenig erfolgreiche) Vision seines Amtsvorgängers Barack Obama von einer atomwaffenfreien Welt durch das genaue Gegenteil: Er will mehr Atomwaffen, die geringere Sprengkraft haben, dafür aber für begrenzte Konflikte geeignet sind. Die Trump-Regierung argumentiert, damit würden Lücken in der Abschreckung geschlossen. Anders sieht es Ischinger: "Damit wird die Schwelle zum Einsatz von Atomwaffen gesenkt." Unabsehbare Folgen hätte auch eine Aufkündigung des Atomdeals mit dem Iran - nicht zuletzt auf das Atomprogramm Nordkoreas.

Der Diplomat warnt eindringlich: "Wir stehen nicht vor der Gefahr eines neuen Rüstungswettlaufes - wir sind mittendrin." Er empfiehlt einen Blick auf die Waffenkäufe im Nahen Osten, auf die Modernisierung der russischen Streitkräfte und auf eine neue Statistik, wonach der Anteil Chinas an den weltweiten Rüstungsausgaben von vier auf 14 Prozent geklettert ist.

(may-)
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