Sigmar Gabriel Ein Chefdiplomat mit robusten Umgangsformen
Berlin · Sigmar Gabriel ist am Freitag als neuer Außenminister vereidigt worden. Ein Amt, das eigentlich niemand für ihn auf dem Zettel hatte. Im Auswärtigen Amt macht sich der ein oder andere Sorgen. Denn Gabriel reagiert gelegentlich aus dem Bauch heraus.
Diplomatisches Geschick gehörte dabei bislang nicht zu den Merkmalen des Sigmar Gabriel. Gabriel selbst verteidigte seinen Wechsel vom Wirtschafts- ins Außenressort mit dem Hinweis, dass er nach dem Ausscheiden von Frank-Walter Steinmeier aus dem Amt die meiste Erfahrung auf internationalem Parkett habe.
In der Tat ist Gabriel als Wirtschaftsminister viel gereist. Überall pflegte er ein offenes Wort. Mit seiner robusten Art gelang es ihm, für die Wirtschaft Türen zu öffnen. Im Iran beispielsweise war er nach Abschluss des Atomabkommens im Frühjahr 2015 als erster Wirtschaftsminister einer westlichen Macht mit einer Wirtschaftsdelegation unterwegs. Für Gabriel war es eine Selbstverständlichkeit, dass er auch die Menschenrechtsfrage und das Existenzrecht Israels mehrfach ansprach.
Gabriels Eigenschaften beißen sich mit denen eines Diplomaten
Im Auswärtigen Amt fürchtet man bereits die Ankunft des Neuen. Gabriel, sagt ein ranghoher Mitarbeiter, bringe Charaktereigenschaften mit, die sich mit dem Kodex der Diplomaten eher beißen. Etwa, dass er sich aus dem Bauch heraus äußere, häufig spontan, manchmal emotional. Das passe nicht zur komplizierten, sensiblen Welt der Diplomatie.
Gabriel mag sich dieses Korsett aus Umsicht und Zurückhaltung nicht umschnallen. Im Rahmen seiner Reisen nahm er diplomatische Verwicklungen mehrfach bewusst in Kauf. So beklagte er sich im Vorfeld seiner China-Reise im vergangenen Herbst über die Benachteiligungen deutscher Unternehmen in China. Prompt platzten im Reich der Mitte etliche Termine für ihn. Es hätte den üblichen Gepflogenheiten entsprochen, das Thema erst während des Besuchs aufzubringen.
In anderen Fällen stellt Gabriel seine menschlichen Regungen über diplomatische Erwartungen. So überreichte er im März 2015 in Saudi-Arabien den Machthabern den Brief der Ehefrau von Raif Badawi — jenem Blogger, der zu 1000 Peitschenhieben verurteilt wurde. Das saudische Außenministerium ließ vermelden, dass der Deutsche sich nicht "in die inneren Angelegenheiten" einmischen solle. Eher in die Abteilung "zu wenig nachgedacht" fällt seine Äußerung im April 2016 über den diktatorisch agierenden ägyptischen Staatspräsidenten Abdel Fattah al Sisi. "Sie haben einen beeindruckenden Präsidenten", sagte er nach einem Gespräch mit al Sisi. Zu Gabriels Verteidigung sei angemerkt, dass er selbstverständlich auch die Menschenrechtsfrage offensiv ansprach.
Gabriel bezeichnete israelische Regierung als "Apartheid-Regime"
Während er im Iran das Existenzrecht Israels verteidigte, ging er im März 2012 verbal hart gegen die Regierung Benjamin Netanjahu vor. Über die Politik im Westjordanland schrieb er: "Das ist ein Apartheid-Regime, für das es keinerlei Rechtfertigung gibt." Damals entlud sich ein Sturm der Entrüstung über ihn. Vielleicht ist Gabriel als Außenminister am Ende sogar der richtige Mann zur richtigen Zeit. Die neue US-Regierung pflegt harte Umgangsformen. Auch die Briten legten schon mal mehr Understatement an den Tag. Und wenn bei den anstehenden Wahlen in den Niederlanden und in Frankreich tatsächlich die Rechtspopulisten siegen sollten, dann lässt Europa ohnehin die Fassade der Höflichkeit fallen.
"In viel zu vielen Ländern werden die Freiräume von parlamentarischer und zivilgesellschaftlicher Opposition beschnitten, und selbst ernannte starke Männer haben die Verachtung von demokratischer Kontroverse sogar zum Herrschaftsprinzip erhoben", sagte Frank-Walter Steinmeier gestern in seiner letzten Rede als Außenminister. Er hob auch die in seiner Amtszeit gewachsene Verantwortung Deutschlands in der Welt hervor. Damit verbindet Steinmeier die Erwartung, dass Gabriel diese neue Verantwortung der Deutschen verstetigt.
"Entscheidend für ihn wird sein, die EU zusammenzuhalten", sagte der außenpolitische Sprecher der Grünen, Omid Nouripour, über die Erwartungen an Gabriel. Dafür sei auch entscheidend, "die Ängste unserer osteuropäischen EU-Partner vor Putin ernst zu nehmen." Auch Nouripour merkte an, Gabriel sei bislang nicht durch diplomatisches Geschick aufgefallen: "Aber wir geben ihm gern solidarisch die Chance, dies zu ändern."
Im Auswärtigen Amt fremdelt man nicht nur damit, dass der neue Chef in der Vergangenheit oft emotional agierte. Dort wurde auch mit hochgezogenen Augenbrauen zur Kenntnis genommen, dass Gabriel das Amt des Außenministers als Chance begreift, mehr Zeit mit seiner Familie zu verbringen. Der Chefdiplomat sei wohl häufiger auf Reisen als die Kanzlerin, heißt es von einem Spitzendiplomaten. Die Vereinbarkeit mit der Familie werde Gabriel künftig also sehr schwerfallen.