Sigmar Gabriel kein Minister mehr Hätte, hätte, Fahrradkette

Meinung | Berlin · Sigmar Gabriel gehört der nächsten Regierung nicht an. Die SPD will das so. Und damit ist Deutschlands erste Politiker-Riege um ein großes Talent und einen echten Typen ärmer.

 Am Ende stehen beide mit leeren Händen da: Schulz, Gabriel.

Am Ende stehen beide mit leeren Händen da: Schulz, Gabriel.

Foto: dpa, nie jai

Sigmar Gabriel hinterlässt tiefe Spuren für seine Nachfolge im Auswärtigen Amt. Noch vor einem Jahr hätte dieser Satz Gelächter ausgelöst. Ausgerechnet der Harzer Roller, dessen Persönlichkeitsstruktur eigentlich nur als Gegenentwurf eines Diplomaten taugt, soll als Chefdiplomat eine gute Figur machen?

Klare Kante

Doch so ist es tatsächlich geschehen. Seine große Popularität, von der er als SPD-Chef nur träumen konnte, bestätigt diesen Befund aus der Sicht weiter Teile der Bevölkerung. Klare Kante und erfolgreich im Streit mit der Türkei, analytisch scharf bei der Problemlage einer krisenumwölkten Welt. Der Mann hätte, so findet es eine große Mehrheit, genau so weitermachen sollen.

Von daher ist es eigentlich ein Treppenwitz der Geschichte: Gabriel fliegt aus der Ministermannschaft einer Partei, die durch seine Initiative Morgenluft witterte, die sich nicht zutraute, eine Koalition ohne einen Parteitag auszuhandeln und es auch nicht wagte, in eine Regierung einzutreten, ohne dafür breitestmögliche Zustimmung einzuholen. Und in genau dieser Partei wird nun in einem winzigen Führungszirkel entschieden, dass der Minister mit dem größten Rückhalt in der Bevölkerung nicht weitermachen darf. Äh, und das ist jetzt Basisorientierung?

Jeder musste in Deckung gehen

So sind nun aber die Strukturen und Mechanismen. Gabriel hat sie selbst oft genug genutzt, wenn er sein Bauchgefühl an die Stelle von zähen Parteitagsdebatten stellte und in Parteipositionen und Regierungshandeln umsetzte. Er überzeugte dabei als Person, ja als Typ, dem man die Leidenschaft abnahm. Wer ihn aus der Nähe unter Druck erlebte, der wusste, dass in manchen Momenten physikalisch Unmögliches passierte: So viel Energie kam aus dem Nichts, dass Kraftwerke ihre Produktion hätten drosseln können. Jedenfalls musste dann jeder in Deckung gehen, jeder sich hüten, Gabriel in die Quere zu kommen.

Natürlich geht es schief, wenn ein solches "Political Animal" sich selbst in die Quere kommt, wie es passierte, nachdem Martin Schulz das Außenamt für sich selbst reserviert hatte. Spürbar schnappte Gabriel nach Luft: Das soll der Dank sein dafür, dass er auf die Kanzlerkandidatur und den Parteivorsitz verzichtete? Und das nach dem Scheitern von Jamaika? Nach der gedrehten Stimmung in der Partei?

Gabriel schoss wild um sich und instrumentalisierte sogar seine kleine Tochter gegen den "Mann mit den Haaren im Gesicht". So etwas wird mit roter Karte geahndet. Selbst unter Genossen, die eigentlich nicht mehr genügend Spitzenkicker für die erste Liga aufzuweisen haben. Hätte die Fraktionsvorsitzende und designierte Parteichefin Andrea Nahles andere Erfahrungen mit Gabriel gemacht als die Generalsekretärin Andrea Nahles, die unter Gabriel oft genug zu leiden hatte, es wäre vielleicht noch eine Restchance verblieben. Aber sie erlebte einen Gabriel, der sich immer weniger für das Mannschaftsspiel interessierte.

Hätte, hätte, Fahrradkette

Zudem hätte Gabriel den feinen Stil seiner wohl gewählten Abschiedsworte schon in der Phase der Koalitionsfindung wählen müssen, statt zum absolut Unberechenbaren zu werden, nur um zu verhindern, in einem immer besser zu ihm passenden Amt als Unvollendeter zu enden. Hätte er die Gabe besessen, sich selbst aus der Vogelperspektive zu betrachten, er hätte wissen können, dass gerade eine SPD in diesem Zustand auf Berechenbarkeit setzen wird.

Hätte, hätte, Fahrradkette. Das Wort hat Peer Steinbrück geprägt. Gabriel hat es erlitten.

(may-)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort