Rücktrittsgerüchte um SPD-Vorsitzenden Gabriel räumt Fehler ein

Berlin · Sigmar Gabriel trat am Montag bei einer SPD-Vorwahlkampfveranstaltung hartnäckigen Rücktrittsgerüchten entgegen. Er gab sich mal wieder kämpferisch. Seine Partei nennt er "emotional ermüdet".

 Sigmar Gabriel ist seit 2009 Vorsitzender der SPD.

Sigmar Gabriel ist seit 2009 Vorsitzender der SPD.

Foto: AP

Susanne Neumann ist derzeit wohl Deutschlands bekannteste Putzfrau. Nachdem sie sich vor zwei Wochen mit Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft bei Anne Will einen Schlagabtausch um die Sozialpolitik geliefert hatte, kam sie als SPD-Neumitglied ins Willy-Brandt-Haus und erklärte Parteichef Sigmar Gabriel, warum die SPD so schlechte Umfragewerte hat: "Es ist nicht mehr so, dass Arbeitnehmer mit Niedriglohn einfach SPD wählen." Das saß. Gabriel guckte betroffen.

Die Sozialdemokraten haben sich gerade auf Sinnsuche begeben. Bei einer Reihe von Konferenzen wollen sie die Frage beantworten, warum es die SPD überhaupt noch braucht, und mit den Antworten den kommenden Wahlkampf bestreiten. Für den "Wertekongress" unter der Überschrift "Gerechtigkeit" hätte die SPD nicht mehr Aufmerksamkeit erzielen können.

Denn am Wochenende hatten Rücktrittsgerüchte um Gabriel mächtig Wirbel ausgelöst. Der frühere "Focus"-Chefredakteur Helmut Markwort, der bislang nicht als SPD-Kenner aufgefallen war, hatte beim "Sonntags-Stammtisch" des Bayerischen Rundfunks vor laufenden Kameras verbreitet, er habe aus "zuverlässiger Quelle" gehört, dass Gabriel zurücktreten wolle. Kanzlerkandidat solle EU-Parlamentspräsident Martin Schulz und Parteivorsitzender Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz werden.

Die Aussage hätte in Berlin wohl kaum für ein solches Beben gesorgt, wenn nicht auch im Regierungsviertel schon länger solche Gerüchte mit verschiedenen Nachfolgeszenarien kursierten. Gabriel, der vergangene Woche wegen einer Krankheit pausieren musste, sah sich genötigt, den Gerüchten klar entgegenzutreten: "Dass man in Deutschland nicht mal mehr krank werden darf als Politiker, ohne dass einer dummes Zeug erzählt, hat mich überrascht", sagte er am Sonntagabend am Rande eines Besuchs in Stockholm. Kurios wurde die Geschichte dann mit Markworts nachgeschobener Erklärung, er sei von seiner Quelle möglicherweise missbraucht worden, um den Rücktrittsplan zu zerstören.

Bei der Konferenz im Willy-Brandt-Haus bewies Gabriel erneut, dass er immer dann zur Hochform aufläuft, wenn er unter Druck steht. In einer dreiviertelstündigen Rede skizzierte er schon einmal die Wahlkampfthemen der SPD. Er nannte es ein "Alarmsignal", dass nur noch 32 Prozent der Bürger der SPD Lösungen in Fragen der sozialen Gerechtigkeit zutrauten. Er räumte auch Fehler der Sozialdemokraten ein und zeigte sich selbstkritisch: "Wir sind ein bisschen zu viel Staat und zu wenig soziale Bewegung", sagte Gabriel. Seiner SPD attestierte er, eine "emotional ermüdete Partei im Hamsterrad der Sozialreparatur" zu sein.

So nannte Gabriel auch die vom früheren Bundesfinanzminister Peer Steinbrück eingeführte pauschale Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge einen Fehler: "Wie konnte das passieren, dass wir Kapitalerträge geringer besteuern als Erträge aus Arbeit?" Gabriel kündigte an, in einer nächsten Regierung werde die SPD dies korrigieren. Das Geld solle am besten ins Bildungssystem fließen. So skizzierte er ein Wahlkampfthema nach dem anderen, wozu auch der Schutz vor Altersarmut und die Bürgerversicherung für die Gesundheit gehören sollen.

Ob und wann Gabriel erklärt, dass er bei der Bundestagswahl im Herbst 2017 für die SPD als Kanzlerkandidat antritt, bleibt offen. Klar ist, dass es erst im Juni 2017 einen Nominierungsparteitag geben soll. Der Kanzlerkandidat der SPD werde aber deutlich früher feststehen, hieß es in Parteikreisen. Wahrscheinlich soll er Ende des Jahres oder spätestens Anfang kommenden Jahres öffentlich gemacht werden. Einen genauen Fahrplan dazu gibt es im Willy-Brandt-Haus offensichtlich noch nicht.

Gabriel hat in den vergangenen Monaten mehrfach deutlich gemacht, dass er nicht an seinem Amt als Parteichef klebt. Er vermittelt auch nicht den Eindruck, dass ihn die Kanzlerkandidatur lockt. Zudem gilt er seit seinem schlechten Wahlergebnis zum Parteichef beim Parteitag im vergangenen Herbst als angeschlagen. Die Kritik aus den eigenen Reihen an ihm reißt nicht ab.

Während der Vorsitzende beim Parteitag noch versuchte, der SPD einen Mitte-Kurs und Wirtschaftsfreundlichkeit zu verordnen, womit einst Gerhard Schröder ins Kanzleramt einzog, hörte er sich eher nach Linksschwenk an.

Mit diesem Tonfall schien er auch die Reinigungskraft Susanne Neumann zu überzeugen. "Wenn die SPD weg ist, haben wir überhaupt nichts mehr", sagte sie mit Blick auf die Interessenvertretung von Geringverdienern. Gabriel versprach, sich ins Zeug zu legen und noch in diesem Monat die Reform der Leiharbeit und Werkverträge in der Koalition unter Dach und Fach zu bringen. Dazu treffen sich die drei Parteivorsitzenden am Mittwochabend im Kanzleramt.

(qua)
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