Reaktionen auf die Führungskrise Sigmar Gabriel sieht Zenit von "Pegida" überschritten

Dresden · Nach dem Rücktritt von "Pegida"-Sprecherin Kathrin Oertel und weiterer Mitglieder des Organisationsteams sehen manche schon das Ende der islam-kritischen Bewegung. Doch nicht alle wollen da mitgehen, wie Reaktionen von Experten und Politikern zeigen.

Kathrin Oertel bei einer "Pegida"-Pressekonferenz mit Gründer Lutz Bachmann am 19. Januar. Damals gehörten beide noch der Bewegung an.

Kathrin Oertel bei einer "Pegida"-Pressekonferenz mit Gründer Lutz Bachmann am 19. Januar. Damals gehörten beide noch der Bewegung an.

Foto: ap

Erst hatte Gründer Lutz Bachmann das Handtuch geworfen, nun folgt mit Kathrin Oertel das zweite bekannte Gesicht der "Pegida"-Bewegung. Mit ihr zogen sich weitere Mitglieder aus dem Organisationsteam der islamkritischen Bewegung zurück, so dass nun die halbe Führungsriege des "Pegida"-Vereins fehlt. Zudem wurde die für Montag geplante Kundgebung in Dresdenabgesagt.

Anlass der Führungskrise ist nach Worten von Vereinsvize René Jahn vor allem, dass Bachmann im Orga-Team verbleiben wolle. Der "Bild"-Zeitung sagte Jahn, deswegen sei er mit Oertel, Achim Exner, Bernd-Volker Lincke, Thomas Tallacker zurückgetreten. "Mit diesem Nazi-Zeug und den rechten Äußerungen möchte ich nichts zu tun haben", wird er zitiert.

Angesichts der Führungskrise sieht manch einer schon das Ende der Bewegung. So sieht der Berliner Politikwissenschaftler Hajo Funke keine Zukunft für das Bündnis. "Das ist der Anfang vom Ende der 'Pegida'-Bewegung", sagte Funke am Mittwoch. Derart viel Chaos könne das Bündnis nicht ertragen. "Man kann keine Bewegung erhalten, die in sich zerstritten ist und nicht weiß, was sie will." Funke betonte: "Es spricht viel dafür, dass die Bewegung in dieser Form bald zerfallen wird." Die "Feindbildmache", die "Pegida" bislang betreibe, könne das Bündnis offenkundig nicht zusammenhalten. "Das Faszinosum ist längst weg." Funke wertete die Streitigkeiten an der "Pegida"-Spitze als positive Entwicklung. "Das ist eine Stunde für die Demokratie und gegen die Ausgrenzung."

Gabriel: Zenit der Bewegung überschritten

Auch in der Politik gab es Reaktionen. Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner etwa sieht den Rückzug mehrerer "Pegida"-Führungsleute mit Genugtuung: "Es ist ein gutes Zeichen, dass sich der gefährliche Haufen der 'Pegida'-Organisatoren jetzt offenbar selber zerlegt", sagte Stegner. Es sei richtig, wenn die Dresdner "Pegida"-Organisatoren von der Bildfläche verschwänden: "Sie sind Rechtsextreme und Spalter, die Unfrieden säen", meinte Stegner.

SPD-Chef Sigmar Gabriel sieht den Zenit der islamkritischen Bewegung überschritten. Die Organisatoren zerlegten sich gerade, "was ja vielleicht auch eine Erlösung für Dresden ist", sagte Gabriel am Mittwochabend in der ZDF-Sendung "Was nun?". "Ich glaube, dass wahrscheinlich der öffentliche Zenit dieser Demonstrationen überschritten ist", sagte der Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister.

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Und die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Katrin Göring-Eckardt, äußerte sich via Twitter mit den Worten: "Patriotische Europäer Geben Ihren Dienst Auf".

Experte Patzelt: Keine kompetenten politischen Strippenzieher

Die "Pegida"-Führung ist nach Ansicht des Dresdner Politikwissenschaftlers Werner J. Patzelt an der konkreten politischen Ausrichtung gescheitert. Es sei nicht ausgeschlossen, dass man sich über die Linie — hart, eher rechtsradikal oder weich, eher AfD-artig — zerstritten habe, sagte er. Die Mitglieder des Organisationsteams seien keine kompetenten politischen Strippenzieher und hätten wohl auch keine Erfahrung darin, wie man Sachkonflikte austrägt ohne sich persönlich zu zerstreiten.

Das Ende der Bewegung müsse das nicht bedeuten. Es werde sich zeigen, ob "Pegida" tatsächlich im Wesentlichen aus Rassisten, Faschisten oder Neonazis bestehe. "Mir scheint, dass viele nur unter der Bedingung ihre eigenen Besorgnisse an 'Pegida' angehängt haben, dass nicht Rechtsextremisten die Sache übernehmen", sagte Patzelt. So habe man kollektiv Empörung über dieses und jenes ausdrücken können, ohne gleich als Extremist zu gelten.

Wenn sich nun die Nicht-Extremisten aus dem Orgateam zurückzögen, gebe es für die Vernünftigeren keinen guten Grund mehr, zu "Pegida" zu gehen. "Damit reduziert sich die Bewegung auf den Kern derer, die tatsächlich rechtsradikal sind", so Patzelt.

Experte Reinfrank: Themen sind nicht verschwunden

Der Extremismus-Experte Timo Reinfrank sieht die Führungskrise ebenfalls nicht als Ende für das Bündnis. "Ich glaube noch nicht, dass dies das Aus ist", sagte der Koordinator der Amadeu-Antonio-Stiftung, die Initiativen gegen Rechtsextremismus unterstützt.

Das Bündnis hänge nicht an einzelnen Personen. Mehrere Mitglieder, die sich nun aus der Pegida-Spitze zurückgezogen hätten, seien bislang ohnehin so gut wie gar nicht in der Öffentlichkeit in Erscheinung getreten. Entscheidend sei nun, ob es dem Bündnis gelinge, sich organisatorisch neu aufzustellen, um weitere Demonstrationen zu veranstalten.

Reinfrank betonte, keine andere Protestbewegung habe in den vergangenen Jahren derart viel Aufmerksamkeit bekommen und sei derart schnell gewachsen. "Auch die große Mobilisierungskraft der Bewegung in den sozialen Netzwerken sollte man nicht unterschätzen." Außerdem seien die Themen, die die Menschen auf die Straße trieben, nicht verschwunden.

(dpa/das)
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