Chef der Sozialdemokraten Sigmar Gabriel wünscht sich die SPD patriotischer

Berlin · SPD-Chef Sigmar Gabriel will seine Partei wieder stärker in die Mitte rücken. Dafür verordnet er ihr in einem Strategiepapier über "Deutschland 2025" Patriotismus, Sicherheitsdenken und rät vom Reflex der Steuererhöhung ab.

Das ist Sigmar Gabriel
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In der SPD galt es viele Jahre als Vorrecht, dass der Parteivorsitzende den ersten Zugriff auf die Kanzlerkandidatur hat. Aus dem Vorrecht ist in Zeiten, in denen die Sozialdemokratie bei 25 Prozent in den Umfragen zementiert zu sein scheint, eine Art Fluch geworden. SPD-Chef Sigmar Gabriel, der 2013 schon einmal auf die Kanzlerkandidatur verzichtete und für den 2017 aber keine Alternative in Sicht ist, will sich und die SPD aus diesem 25-Prozent-Gefängnis befreien.

Dafür schüttet Gabriel nun ein Füllhorn an Ideen aus, mit denen er ebenso Nichtwähler und Politikverdrossene ansprechen möchte, wie er auch die frühere "neue Mitte" des letzten erfolgreichen SPD-Bundestagswahlkämpfers Gerhard Schröder zurückgewinnen will. Selbst bei Willy Brandts Aufbruchstimmung Anfang der 70er Jahre nimmt Gabriel Anleihen. Damit sich in Deutschland "Siggi wählen" (wie ehedem "Willy wählen") durchsetzen kann, verordnet der Parteichef in seinem 21-seitigen "Impulspapier" den Genossen nicht weniger als einen Mentalitätswandel.

Er beschreibt ein starkes Deutschland in einer "Welt voller Unsicherheiten". Gabriels Antwort auf die Ängste der Menschen vor der Konfrontation mit Russland, vor islamistischem Terror, vor Wohlstandsverlust und vor den Auswirkungen der Globalisierung lautet "neue Sicherheit". Das Wort "Gerechtigkeit", das in den letzten Jahrzehnten die Strategie- und Grundsatzpapiere der SPD als roter Faden durchzog, taucht nur sehr zurückhaltend auf. Die Sicherheit bezieht der SPD-Chef auf das Heimatgefühl, die Sozialsysteme, die Möglichkeit zur beruflichen Selbstständigkeit und auf Kriminalitätsbekämpfung.

Die SPD-Minister im Kurz-Porträt
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Während Gabriel seit 2009 seine Partei löffelchenweise mühsam wieder mit Selbstbewusstsein füttert und Teile von Schröders Agenda 2010 über Bord werfen ließ, bekennt er sich für sein "Deutschland 2025" unverblümt zu den Reformen. Er nennt die Agenda 2010 in einem Absatz mit Willy Brandts Ostpolitik als ein Beispiel der "Kernkompetenz der SPD, unser Land mit klugen Veränderungsprozessen immer wieder auf die Höhe der Zeit zu bringen". Er fordert Mut von den Genossen, sich neu aufzustellen.

Dass er den Geist der Agenda 2010, den er selbst einst in die Büchse der Pandora sperrte, nun wieder freilassen möchte, macht er gleich an mehreren Stellen seines Papiers deutlich. So legt er den Genossen nahe, nicht jede staatliche Aufgabe "vorschnell mit dem Ruf nach höheren Schulden oder höheren Steuern" zu beantworten. An anderer Stelle schreibt er, die SPD sei immer dann "besonders erfolgreich", wenn sie "fair und offen" gewesen sei. Mit "offen" meint er "möglichst große Freiheitsspielräume sowohl für die persönliche Lebensgestaltung als auch für unternehmerisches Handeln". In den Fokus der SPD soll dem Papier zufolge die "arbeitende Mitte" rücken.

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Foto: RP. DPA

Das Papier ist also auch der Versuch, nach der Agenda 2010, zwei bitteren Wahlniederlagen 2009 und 2013 sowie einem Schlingerkurs in der Wirtschafts- und Sozialpolitik, in der die SPD gleichermaßen für die Rente ab 67 wie auch für die Rente ab 63 verantwortlich ist, zu Maß und Mitte zurückzukehren.

Völlig neue Töne schlägt Gabriel mit einem Bekenntnis zum Patriotismus an. In einer Zeit, in der die Europäische Union mit Finanzkrise und Flüchtlingsströmen identifiziert wird, ist das ein cleverer Schachzug. "Ein patriotisches Selbstverständnis" zeige "unsere Identifikation mit der Zukunft des eigenen Landes". Das hätte die Union auch nicht schöner aufschreiben können. Gabriel sieht in dem Begriff der Nation "Bindekraft für breite Teile der Bevölkerung" und warnt vor Überheblichkeit gegenüber solchen patriotischen Gefühlen. "Die Nation ist immer noch ein starkes identitätsstiftendes Element in aufgeklärten Demokratien."

Der Sozialdemokrat, der gerne auch mal raubauzig und impulsiv auftritt, legt viel Empathie an den Tag, wenn es um den Brückenbau ins Lager der Nicht-Wähler und der Politikverdrossenen geht. So fällt seine Antwort auf den wachsenden Einfluss von rechten wie linken Populisten kritisch gegenüber den eigenen Genossen aus. Gabriel, der sich selbst schon mit Vertretern der rechtspopulistischen Pegida-Bewegung getroffen hat, spricht von einem Populismus, "über den wir viel zu schnell mit pädagogischer Arroganz hinweggehen". Die Populisten nähmen Stimmungen und Bewertungen auf, die in der Bevölkerung weit verbreiteter seien als im tatsächlichen Wählerverhalten sichtbar werde.

Der Dreiklang aus Patriotismus, Sicherheitsdenken und wiedererstarkendem Wirtschaftsprofil zeigt den Plan einer SPD, die aufgehört hat, ihre eigene Agenda-Vergangenheit aufzuarbeiten. Für einen Wahlsieg reicht das noch nicht. Eine der Binsenweisheiten in der Politik ist, dass man nicht für das gewählt wird, was man vollbracht hat, sondern für das, was die Bürger erwarten, was man vollbringen wird. Kanzlerin Angela Merkel, von der Gabriel meint, dass sie keinen Plan von der Zukunft habe, machte es sich im Wahlkampf 2013 ziemlich leicht, indem sie das Wahlvolk darauf verwies: "Sie kennen mich."

Gabriel wittert zu Recht die Chance, mit einem etwas konkreteren Plan von der Zukunft punkten zu können. Daher mahnt er in seinem Papier trotz der guten konjunkturellen Lage Strukturreformen an. In die eigenen Reihen hinein warnt er, dass nicht reiche, wenn man nur eine Vorstellung von dem hat, was man nicht wolle: Atomenergie, Fracking, Freihandelsabkommen, Strom-trassen und große Infrastrukturvorhaben. Sein Plan ist es vielmehr, die SPD als die Industriepartei zu positionieren. Da dürfen ihm nicht zu viele Nein-Sager in die Suppe spucken.

(brö)
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