Grünen-Chefin Simone Peter "Keine Militärhilfe für Frankreich"

Berlin · In Halle an der Saale beginnt am Freitag der Grünen-Bundesparteitag. Neben Cem Özdemir will sich Simone Peter als Parteichefin wieder wählen lassen. Im Zentrum des Parteitags auch bei den Grünen: Terror und Flüchtlinge. Im Interview warnt die Parteivorsitzende vor vorschnellen Reaktionen. Militärische Unterstützung für Frankreich lehnt sie ebenso ab wie Bundeswehreinsätze im Innern.

 Simone Peter, Bundes-Vorsitzende der Grünen.

Simone Peter, Bundes-Vorsitzende der Grünen.

Foto: dpa, htf

Frau Peter, wie bewerten Sie die Überlegungen Schäubles und anderer Unionspolitiker, im Ernstfall der Abwehr großer Terrorangriffe in Deutschland, die Bundeswehr im Innern einzusetzen?

Peter Die Wahrung der inneren Sicherheit ist Sache der Polizei, nicht des Militärs. Wir setzen auf solide Polizeiarbeit unter Einsatz aller rechtsstaatlichen Mittel, auf zielgerichtete Maßnahmen der Sicherheitsbehörden und in erster Linie auf Prävention. Eine Militarisierung der Innenpolitik wäre die völlig falsche Antwort auf den Terrorismus.

Francois Hollande und Joachim Gauck sprechen nach den Terroranschlägen von Paris von "Krieg" des IS gegen den Westen. Was ist Ihre Bezeichnung dafür?

Peter Krieg herrscht vor den Türen Europas, in Syrien und im Irak, aber nicht in Europa selber. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Anschläge in Paris dazu genutzt werden, das Kriegsrecht auszurufen, Grenzen abzuriegeln und die Bürgerrechte zu schleifen. Auch von vorschnellen Rufen nach militärischer Intervention halte ich nichts. Die Gründe gegen Militäreinsätze in Syrien wiegen schwer, zumal es bisher weder eine politische Gesamtstrategie für die Region, noch ein UN-Mandat gibt. Beides wären Mindestvoraussetzungen.

Müssen wir uneingeschränkte Solidarität mir Frankreich zeigen?

Peter Wir stehen natürlich an der Seite unserer französischen Freunde. Aber Solidarität heißt nicht, dass wir Kriegseinsätze mitmachen. Wir setzen zuerst auf politische und nicht-militärische Lösungen auf der Ebene der Vereinten Nationen, im Syrien-Krieg und in allen anderen Konflikten. Wir sehen am Beispiel des IS, wie kurzfristige militärische Interventionen den islamistischen Terror stark gemacht haben. Wir dürfen nicht aufgeben, in Syrien nach einer diplomatischen Lösung zu suchen, die das Blutvergießen beendet. Dazu müssen alle relevanten Akteure eingebunden werden, auch Russland und der Iran. Und wir kommen wahrscheinlich auch nicht daran vorbei, mit dem Assad-Regime zu reden. Außerdem darf an die Terrorunterstützer Saudi-Arabien oder Katar keine Kriegswaffen mehr geliefer werden.

Warum muss Deutschland seine Grenzen offenhalten?

Peter In Deutschland gelten das Grundrecht auf Asyl und die Genfer Flüchtlingskonvention. Natürlich müssen wir Flüchtlinge bei uns uneingeschränkt registrieren und bei Verdacht genauer überprüfen. Aber einige der französischen Terroristen waren nach jetzigen Erkenntnissen französische Staatsbürger, die bereits im Land lebten. Außerdem fliehen doch viele der Menschen, die zu uns kommen, gerade vor dem Wüten der Terrormiliz und der Gewalt. Wenn wir die Grenzen dichtmachen, schlagen wir den Flüchtlingen die Tür vor der Nase zu und schränken unsere eigene Freiheit ein. Das ist die falsche Antwort.

Viele Bürger haben jetzt ein größeres Sicherheitsbedürfnis. Was sagen Sie denen?

Peter Es gibt keine einfachen Antworten, wenn es darum geht, Freiheit und Sicherheit gleichzeitig zu bewahren. Wir sehen an Frankreich, dass scharfe Sicherheitsgesetze nicht mehr Sicherheit bringen, aber dafür Bürgerrechte beschneiden. Wir müssen die Polizeiarbeit stärken und bei Verdachtsmomenten zielgerichtet vorgehen. So, wie das vorgestern beim Fußballländerspiel in Hannover der Fall war. Der Schutz der Menschen hat Priorität, trotzdem dürfen wir uns jetzt nicht im Alltag einschüchtern und einschränken lassen. Integration und Teilhabe zu ermöglcihen ist eine Mammutaufgabe. Aber wenn Menschen ausgegrenzt und in den sozialen Brennpunkten sich selbst überlassen werden, haben Hassprediger und Terror-Rekrutierer ein leichtes Spiel.

Wie bewerten Sie die jüngsten Koalitionsbeschlüsse in der Flüchtlingspolitik, zum Beispiel die Einrichtung von Registrierzentren?

Peter Wir lehnen die Einteilung in gute und schlechte Flüchtlinge und Abschiebezentren für Menschen aus dem Balkan ab. Auch der Unterbindung des Familiennachzugs für syrische Flüchtlinge erteilen wir eine Absage. Alleine diese Drohung hat die Menschen in den Flüchtlingsunterkünften extrem verunsichert. Viele haben sich ja auf den gefährlichen Weg gemacht, um ihren Kinder und ihrer Frau anschließend diese Gefahr zu ersparen und sie auf sicherem Weg nachzuholen. Die Union kann sich nicht gleichzeitig den Wert der Familie auf die Fahnen schreiben und dann bei den Flüchtlingen das Gegenteil tun.

Der Flüchtlingszuzug muss gar nicht begrenzt werden?

Peter Das Grundrecht auf Asyl sieht keine Obergrenzen vor. Da stimme ich der Kanzlerin zu. Der Zuzug wird nicht zurückgehen, solange die Gewalt im Nahen und Mittleren Osten nicht aufhört und Regionen instabil und kriegsanfällig bleiben. Außerdem müssen wir endlich mehr Geld in Entwicklungshilfe und das Welternährungsprogramm stecken.

Inwiefern denken die Grünen in der Flüchtlingskrise auch an die heimische Bevölkerung?

Peter Ich kann die Ängste bei Menschen ohne Arbeit und ohne vernünftige Wohnung gut verstehen. Ich nehme es aber denen übel, die solche Ängste schüren, sei es die CSU, AfD oder Pegida. Menschen, denen es schlecht geht, werden gegeneinander ausgespielt. Sozialen Wohnungsbau und Arbeitsplätze brauchen alle, nicht nur die Flüchtlinge. Deswegen müssen wir der wachsenden sozialen Spaltung begegnen, aber auch das Gerede von Asylmissbrauch und Lawinen endlich beenden.

Sie haben die Kanzlerin gelobt. Wie sieht es aus mit Schwarz-Grün 2017?

Peter In der Tat standen wir in den letzten Wochen der Kanzlerin bei ihrem Motto "Wir schaffen das!" näher als viele in ihren eigenen Reihen. Und wir teilen mit Frau Merkel, dass auch nach den Terroranschlägen in Paris unser freies Leben stärker ist als der Terror. Ich erwarte aber von Frau Merkel, dass sie ihre Worte in Taten umsetzt und nicht scheibchenweise der CSU nachgibt. Ansonsten wäre es schwer, sich ein schwarz-grünes Bündnis 2017 noch vorzustellen.

Wieso genau?

Peter In vielen Punkten sind wir heute eher weiter von Schwarz-Grün entfernt als zu Beginn der Legislaturperiode. Bei den Themen NSA und Vorratsdatenspeicherung, bei den unfairen Handelsabkommen TTIP und CETA, bei der Einschränkung von Rechten von Flüchtlinge und bei der Förderung des Klimakillers Kohle.

Treten Sie bei der Urwahl für die Spitzenkandidaten an?

Peter Für mich steht auf dem Parteitag jetzt erst mal die Wiederwahl als Parteivorsitzende an. Alles Weitere sehe ich dann danach. Es bleibt noch genug Zeit bis zur Urwahl.

(mar)
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