Ein Präsident zwischen zwei Frauen So ist Joachim Gauck privat

Berlin · Joachim Gauck macht seine langjährige Lebensgefährtin zur First Lady, während seine Frau nach 53 Jahren Ehe verwundert fragt, warum eine Scheidung jetzt wichtig werden soll. Die etwas andere Lebensform des künftigen Staatsoberhaupts erklärt sich aus besonderen Erlebnissen.

 Joachim Gauck hält seine Lebensgefährtin Daniela Schadt (links) und seine Tochter Gesine Lange im Arm.

Joachim Gauck hält seine Lebensgefährtin Daniela Schadt (links) und seine Tochter Gesine Lange im Arm.

Foto: dpa, David Ebener

Deutschland bekommt einen Präsidenten, in dessen bewegender privater Lebensgeschichte die Tragik, Euphorie, Hoffnung und die Versäumnisse eines ganzen Landes komprimiert scheinen. Die Bundesrepublik ist mit ihrer Entwicklung so viel anders als viele Länder dieser Welt. Und Joachim Gauck ist es auch.

Als eine ganze Nation innehält, in der Nacht der Wiedervereinigung, da steht Gauck mit der großen Liebe seines Lebens händchenhaltend und, wie er sich selbst erinnert, in "Nähe" verbunden, wenige Schritte hinter Helmut Kohl auf den Stufen des Berliner Reichstages. Ein Moment der Erfüllung für einen Mann, der seit seiner frühesten Kindheit den Osten als Heimat und den Westen als "Liebe" empfunden hat? Und der nun mit seiner Jugendliebe auch das Land vereint erleben kann? Doch Gauck vollzieht ausgerechnet zum Start in das neue Leben in einem neuen Land die Trennung von seiner Frau Gerhild, genannt Hansi. Nach über drei Jahrzehnten. Der "Vorrat an Gemeinsamkeiten" fehle, so Gauck, und "das notwendige Maß an Auseinandersetzung".

Das Gelöbins des lebenslangen Bundes

Zwei weitere Jahrzehnte später ist er jedoch immer noch mit ihr verheiratet. Obwohl er sich seit zwölf Jahren in neuen festen Händen einer Fernbeziehung mit Daniela Schadt weiß, einer Nürnberger Journalistin. Für viele Menschen, die "geordnete Verhältnisse" auch auf dem Papier erwarten, ist das gewöhnungsbedürftig. Nicht für die drei Hauptbeteiligten. Warum?

"Hansi" gehört untrennbar zu Gauck. Wo auch immer sie in seinen Memoiren auftaucht, liest es sich wie eine Liebeserklärung. Sie kennen sich aus Schulzeiten, bereits mit 19 heiraten sie. Gegen den Willen seiner Eltern. Aber er fühlt Verantwortung für ihr Leben — unter anderem weil sie mit zehn Jahren vom Selbstmord ihrer Mutter aus der Bahn geworfen wurde. Er sei "berufen", hält Gauck sein Motiv fest, "sie vor kommendem Unheil zu schützen". Die Liebe zur Literatur habe sie zum Paar werden lassen. "Du bist für mich, ich bin für dich erwählt", lautet das Dichterwort, mit dem er ihr seine Liebe versichert.

Gaucks Schilderung lassen viel Respekt für seine Frau erkennen. Und Dankbarkeit. Sie verdient das Geld, während er studiert. Sie bringt die kleine Familie aus Vater, Mutter, Sohn unter primitiven materiellen Verhältnissen durch. Gaucks Erinnerung an diese Zeit: "Wir waren arm und reich, denn wir beschenkten uns beständig mit Zutrauen, Zärtlichkeit und schließlich einer großen romantischen Liebe."

Der Beruf stand vor der Familie

Dass er das 19 Jahre nach der Trennung in seiner Biografie detailliert festhält, mag einen Ansatz dafür bilden, warum er an der formalen Verbindung festhält. Einen andere liefert er als Kirchenmann: Das Gelöbnis eines lebenslangen Bundes sei für ihn "selbstverständliche Verpflichtung".

Es kommt hinzu: ein offenkundig schlechtes Gewissen. Weil er seine Frau mit den vier Kindern so oft alleine ließ. Aber das ist die objektive Umschreibung. Gauck selbst schildert die Klage seiner Kinder darüber und fügt hinzu: "Mit relativ gutem Gewissen habe ich die Familie dem Beruf nachgeordnet." Schließlich habe es in dem Rostocker Neubaustadtteil so viel zu tun gegeben. Wenigstens hält er fest, dass die Familie, stets an grüne Wiesen am Haus gewöhnt, sich in der Etagenwohnung schwer tat und dass dann Jahre später der Umzug in die Altstadt "für meine Frau eine reine Freude" gewesen sei.

Unumwunden gibt Gauck zu, dass er sich bei seinen Touren in das vor dem Mauerbau noch offene West-Berlin angezogen fühlte von einer jungen Studentin, der Schwägerin des Schriftstellers Uwe Johnson. "Verführerisch", lautet seine Umschreibung. Aber erlegen ist er ihr wohl nicht; schon damals fühlte er sich "in festen Händen".

Mit seiner Frau erlebt und erleidet er, wie seine Söhne seine eigene Liebe zum Westen für sich zur Maxime erheben und die Ausreise beantragen — und es nach vielen Wirren tatsächlich schaffen. Da wird Gauck zum verstörten Familienmensch: "Am Heiligen Abend 1987 fehlten zwei Kinder, zwei Schwiegertöchter, drei Enkelkinder — sieben der uns liebsten Menschen waren fort, nur wir blieben unter dem Tannenbaum, eine Mutter, ein Vater und zwei Töchter."

Gauck ist ein neuer Mensch geworden

In den folgenden Umwälzungen zerreißt auch diese Verbindung. Besonders wegen der bei der Trennung gerade erst zwölfjährigen jüngsten Tochter macht sich Gauck Gedanken. Zur Präsidentenwahl am Sonntag, 18. März, aber scheint sich ein Kreis zu schließen. Nach zehn Jahren, während derer er sich in Arbeit und Aufbau der "Gauck-Behörde" stürzte, nach zehn weiteren Jahren des Reisens mit Vorträgen, Interviews, TV-Sendungen, hat Gauck nach der Einschätzung seiner Kinder zu sich selbst gefunden, ist aus ihrem Empfinden ein ganz anderer Mensch geworden.

Gauck schreibt dasselbe auch über Joachim Gauck, seinen Vater, als dieser 1955 nach über vier Jahren Schufterei aus der Gefangenschaft aus Sibirien heimkam — und, vertrauend auf innere Werte, seinen Platz in Familie und DDR einnahm. Zwei Therapien haben seinen Sohn 56 Jahre später ebenfalls selbstbewusster gemacht, ebenfalls auf die inneren Werte gründend.

Er steht zu seiner Vergangenheit und hat für die Gegenwart die Beziehung zu Kindern und Enkeln weitgehend repariert. Und er steht zu seiner Lebensgefährtin, mit der er kurz nach Christian Wulffs Wahl zum Bundespäsidenten schon als Paar in Schloss Bellevue auftrat. Daniela Schadt gibt ihren Beruf auf, um als First Lady nun ins Schloss zu ziehen. Und Gerhild Gauck reagiert verwundert auf Fragen nach einer Scheidung: "Warum wird das jetzt wichtig?" Die Gesellschaft akzeptiere doch "andere Lebensformen". So bekommt das etwas andere Land auch einen etwas anderen Präsidenten.

(RP/rm/top)
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