Wowereit-Nachfolger Der farblose Herr Müller führt Berlin

Berlin · Ein biederer Handwerker soll für die SPD gegen den Bundestrend in der Hauptstadt gewinnen: Wowereit-Nachfolger Michael Müller.

Michael Müller ist neuer Regierender Bürgermeister von Berlin
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Michael Müller ist neuer Regierender Bürgermeister von Berlin

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Foto: afp, bb

Wer in den Büros der Macht auf politische Führer wartet, der hört ihre gewichtigen Schritte oft schon beim ausgreifenden Annähern auf dem Flur. Spätestens beim Öffnen der Türe drücken sie Aura, Kraft oder Einfluss ins Zimmer, versuchen den Gast in den Griff zu nehmen. An diesem Nachmittag im Büro des Regierenden Bürgermeisters von Berlin ist alles anders. Leise und unbemerkt ist Michael Müller hinter dem Rücken des Besuchers an seinen Schreibtisch gegangen. Er ist plötzlich einfach da.

So haben es Jan Stöß und Raed Saleh am 18. Oktober 2014 auch erlebt. Der Parteichef und der Fraktionschef hatten Müller zuvor aus diesen Ämtern gedrängt und wollten nun per Mitgliederbefragung die Nachfolge von Klaus Wowereit unter sich ausmachen. Müller schien als Stadtentwicklungssenator gründlich entsorgt. Auch sein Weggefährte Wowereit hatte seinen tiefen Fall nicht verhindert. Und dann das: Mit 59 Prozent haute die Basis die Chefs aus dem Weg und entschied sich für den biederen Müller als neuen Regierenden.

Ein Prototyp bodenständiger Langeweile

Ausgerechnet in der hippen Hauptstadt, in der 3,5-Millionen-Metropole, die in Teilen immer unter Strom zu stehen scheint, kommt einer nach ganz oben, der erkennbar nicht aufpeitschen, nicht mitreißen, nicht emotionalisieren will, sondern ein Prototyp bodenständiger Langeweile ist. Und bei den herannahenden Landtagswahlen hilft nicht mal Genosse Trend. Müller gibt sich ganz entspannt. "Man muss es nehmen, wie es kommt, lamentieren hilft nichts", meint er lapidar zum Sturz der Umfragewerte für die Bundes-SPD ins Bodenlose.

In Berlin würde es nicht einmal mehr für die große Koalition reichen, würde schon nächsten Sonntag und nicht erst am 18. September gewählt. Auch über seine rot-schwarze Regierung wurde oft geschrieben, sie sei am Ende. "Das stimmt schlicht nicht", widerspricht Müller und gießt sich mit ruhiger Hand einen Fruchtsaft ein. Mit der CDU habe die SPD in fünf Jahren auch "sehr viel Gutes vorangebracht", in der Finanz-, in der Wirtschafts-, in der Bildungspolitik.

Mögen auch viele in Berlin auf ein neues rot-rot-grünes Bündnis setzen, Müller macht dahinter erst noch ein Fragezeichen. Noch sei eine mögliche Mehrheit nur theoretisch. Erst in Koalitionsverhandlungen werde es konkret, gehe es um Personen, Inhalte, Kompromissbereitschaft. "Wir machen jetzt einen profilierenden Wahlkampf, und dann reicht es auch wieder für Zweier-Koalitionen", legt sich der Regierende fest.

Für Müller dürfen es gern noch mehr Zugezogene sein

Aber wie war das letzten Herbst mit den verheerenden Bildern vom Berliner Versagen bei der Flüchtlingsregistrierung? "Es stimmt, dass wir das nicht gut organisiert haben", räumt der Regierende ein. Dadurch sei aber verdrängt worden, was besser gelaufen sei als andernorts, etwa die schnelle Beschulung der Kinder. Und die monatelangen Wartezeiten in den Meldeämtern? Müller will die Probleme nicht kleinreden, antwortet aber auch damit, dass es keine Probleme damit gebe, jährlich 40.000 Menschen zusätzlich aufzunehmen — jedes Jahr eine ganze Kleinstadt dazu!

Für Müller dürfen es gerne noch mehr werden. Vor allem Bonner. Dass die Bundesministerien "eher früher als später in Berlin konzentriert" sein werden, ist für ihn eine Zwangsläufigkeit. "Das kommt von ganz allein" — selbst wenn es nicht im nächsten Koalitionsvertrag 2017 stehen sollte. Da gehöre es jedoch hinein, damit sich alle darauf einstellen könnten.

"Klein-Istanbul ist auch Berlin"

Es ist ein Berlin, in dem sein Parteifreund Thilo Sarrazin Anschauungsmaterial für muslimische Parallelgesellschaften sammelte. "Es gab Zeiten des Wegsehens", sagt Müller, aber daraus habe die Stadt gelernt — für eine Integration, die nie abgeschlossen sei, sondern stets neu verabredet werden müsse. Und auch dazu steht er: "Klein-Istanbul ist auch Berlin". Seine Stadt, das sei Savigny-Platz, kleiner Wannsee, aber eben auch Nord-Neukölln — "ein Melting Pot, ein Schmelztiegel der Kulturen und Religionen". U

nd wo ist darin sein privater Wohlfühlort? "Unterschiedlich", antwortet er ausweichend. Jedenfalls sei er immer gerne in der Druckerei seiner Familie. Rückzugsort Handwerk. Vielleicht ist es das Bemühen des Bodenständigen um Bodenhaftung, wenn er sich mit dem Milliardenfiasko Flughafen BER herumschlägt. Auch heute sagt er die Eröffnung nicht verbindlich zu oder ab. Es werde nur immer "schwieriger und knapper, den Termin Ende 2017 zu halten", sei aber "noch möglich".

Dynamisch wachsendes Berlin, Maß nehmen an den Metropolen der Welt, die alle zwei, drei Airports haben. Müsste nicht ein Regierender heute die Notbremse ziehen und wenigstens einen Zweitflughafen, also Tegel, erhalten? Müller erinnert an den Konsensbeschluss mit der Bedingung für BER, die anderen stillzulegen. Das war 1996, als die Einwohnerzahl sank und die Wirtschaftskraft schrumpfte. Es ist anders gekommen. Müller nickt. "Heute würde man es vielleicht anders entscheiden", sagt er leise. Und dann wieder bestimmt: "Ich halte es für den richtigen Weg, auf einer guten juristischen Grundlage das Thema weiter seriös abzuarbeiten." Seriöses Abarbeiten: Metropolen-Politik im Müller-Stil.

(may-)
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