Parteitag in Berlin SPD beschließt Gespräche mit Union — 81,9 Prozent für Schulz

Berlin · Martin Schulz setzt sich mit seinem Kurs für ergebnisoffene Gespräche mit der Union durch und entschuldigt sich für die Wahlniederlage. Bei seiner Wiederwahl zum Parteichef muss er sich mit 81,9 Prozent der Stimmen zufrieden geben.

Die Jungsozialisten in der SPD sind mit ihrem Antrag gescheitert, eine große Koalition bei den anstehenden Gesprächen der Sozialdemokraten mit CDU und CSU auszuschließen. Der Parteitag in Berlin nahm stattdessen mit breiter Mehrheit den Leitantrag des SPD-Vorstands an, mit der Union ergebnisoffen über eine mögliche Regierungsbeteiligung zu sondieren. Bei der Wahl zum Parteivorsitzenden erhielt der bisherige SPD-Chef Martin Schulz 81,9 Prozent der Delegiertenstimmen. Am 19. März dieses Jahres hatte er als designierter Kanzlerkandidat noch 100 Prozent erhalten. Schulz zeigte sich etwas enttäuscht, versprach aber, die SPD "in bessere Zeiten zu führen".

Eine lange Debatte

Der Abstimmung über den Leitantrag und der Wahl zum Vorsitzenden war eine viereinhalbstündige Debatte vorausgegangen, in der viele Delegierte sich sehr skeptisch gegenüber einer großen Koalition äußerten. Entschärft wurde der Streit schließlich durch einen Änderungsantrag der NRW-SPD, der in den Leitantrag eingearbeitet wurde. Danach wird es nach den Sondierungen einen Sonderparteitag geben, der dann über die Aufnahme von Koalitionsgesprächen abstimmen sollte. CDU-Vize Julia Klöckner begrüßte den Beschluss der SPD. "Es ist richtig, dass die SPD offen für Gespräche ist. Die Tür der CDU steht offen", sagte die Christdemokratin unserer Redaktion.

Der SPD-Vorsitzende Martin Schulz übernahm in seiner 75-minütigen Parteitagsrede so deutlich wie nie zuvor die Verantwortung für die Niederlage seiner Partei für die Bundestagswahl. "Ich bitte für meinen Anteil an dieser bitteren Niederlage um Entschuldigung", sagte der SPD-Politiker beim Parteitag, der über das weitere Vorgehen der Sozialdemokraten in der aktuellen Regierungskrise beriet. Zugleich hatte der Spitzen-Sozialdemokrat für ergebnisoffene Gespräche mit der Union geworben. "Wir haben eine Führungsverantwortung als Sozialdemokraten in Deutschland", sagte der SPD-Chef. Dann stellte er klar: "Wir müssen nicht um jeden Preis regieren. Aber wir dürfen auch nicht um jeden Preis nicht regieren wollen." Es sei entscheidend, was die SPD durchsetzen könne.

"Niemand muss uns belehren"

Widerstand gegen ergebnisoffene Gespräche und eine mögliche großen Koalition kam vor allem von den Jungsozialisten. "Wir brauchen uns von niemand in Sachen Verantwortung belehren lassen", sagte der neue Juso-Chef Kevin Kühnert. Er forderte die Beibehaltung des Beschlusses, in die Opposition zu gehen. "An den Fakten hat sich nichts geändert."

Schulz machte deutlich, dass es "verschiedene, gleichwertige Wege" gebe, um zu einer Regierungsbildung in Deutschland zu kommen. Der am Ende erfolgreiche Leitantrag des Parteivorstands sei eine "Beschreibung der unterschiedlichen Optionen". Der SPD-Vorsitzende nannte auch die Themen, um die es bei künftigen Gespräche gehen müsse. Einen breiten Raum nahm die Europapolitik ein. Schulz sprach sich für die "Vereinigten Staaten von Europa" spätestens im Jahr 2025 aus, was Kanzlerin Angela Merkel (CDU) allerdings postwendend zurückwies. Es solle, so Schulz, auch einen europäischen Verfassungsvertrag geben, der ein föderales Europa schaffe. Zugleich lehnte er ein europäisches Spardiktat ab. "Vier weitere Jahre Europapolitik à la Wolfgang Schäuble kann sich unser Kontinent nicht leisten", sagte der Sozialdemokrat.

Viele Delegierten bleiben kritisch

Schulz rief dazu auf, die soziale Spaltung der Gesellschaft zu überwinden. "Wir wollen keine app-gesteuerte Dienstbotengesellschaft", forderte der SPD-Chef. Die Sozialdemokraten müssten sich deshalb bei den Gesprächen für eine Abschaffung der sachgrundlosen Befristung und die Eindämmung prekärer Beschäftigung einsetzen. Auch für eine nationale Bildungsallianz machte Schulz sich stark. "Wir müssen die Partei der Bildungsrevolution werden", sagte der oberste SPD-Politiker. Auch in der Umweltpolitik setzte Schulz neue Akzente. Man könne die Klimaziele nur mit einem Ende der Kohleverstromung erreichen, sagte der SPD-Chef. Das dürfe nicht auf Kosten der Beschäftigten geschehen. Schulz: "Wir müssen für diesen Wandel immer die Menschen mitnehmen." Die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt zeigte sich eher skeptisch. "Die Kohlepartei SPD muss den Kohleausstieg nicht nur fordern, sie muss ihn jetzt auch umsetzen", sagte sie unserer Redaktion.

Viele Delegierten des Parteitags reagierten auf den neuen Kurs des Vorsitzenden äußerst kritisch. Von einer Vertrauenskrise in die Parteiführung war immer wieder die Rede. Hilfe erhielt Schulz von führenden SPD-Politikern. "Die Lage hat sich geändert. Das können wir nicht ignorieren", sagte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer in Anspielung auf das Scheitern der Jamaika-Sondierungen. Auch SPD-Bundestagsfraktionschefin Andrea Nahles warnte ihre Parteifreunde davor, jede Regierungsbeteiligung auszuschließen. "Wir dürfen uns nicht verweigern, wenn wir sozialdemokratische Inhalte durchsetzen können." Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil erklärte "Wir dürfen nicht kneifen." Schulz lobte den Stil der Debatte, die

(kes)
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