Parteitag in Bonn Schulz dringt auf Zustimmung für Groko-Verhandlungen

In einer sehr emotionalen Rede hat der SPD-Vorsitzende Martin Schulz seine Partei beschworen, in Verhandlungen mit der Union zur Bildung einer großen Koalition einzutreten: "Wir können viele Dinge in Deutschland verbessern."

 SPD-Chef Martin Schulz bei seiner Parteitagsrede in Bonn.

SPD-Chef Martin Schulz bei seiner Parteitagsrede in Bonn.

Foto: rtr, MMA

Nur als Regierungsmitglied könne die SPD Deutschland mitgestalten, sagte Martin Schulz in Bonn: "In meinen Augen wäre es fahrlässig, diese Chance nicht zu ergreifen." Schulz verteidigte das Ergebnis der Sondierungsgespräche mit der Union. Sie seien eine Grundlage für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen. "Wir haben vieles erreicht."

Als Beispiel nannte der SPD-Chef die Rückkehr zur Parität in der gesetzlichen Krankenversicherung, die Arbeitnehmer bei den Beiträgen entlaste und ein Stück Gerechtigkeit wiederherstelle. Dazu zähle die Vereinbarung über eine bessere Bezahlung für die Pflegekräfte und mehr Pflegekräfte.

Zugleich hätte die SPD die Grundrente und die doppelten Haltelinien bei Beitragsbegrenzung und Beibehaltung des bisherigen Rentenniveaus durchgesetzt. Schulz nannte auch die Abschaffung des Solidaritätszuschlags für niedrige und mittlere Einkommen. Als Leuchtturm bezeichnete es der Parteivorsitzende, dass der Weg von der Kita bis zur Universität und dem Meisterbrief gebührenfrei sein soll. "Das könnte endlich Realität werden", warb Schulz für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen.

Schulz ging in seiner über einstündigen Rede breit auf die Skeptiker in seiner Partei ein. Er könne die Zweifler verstehen, sagte der SPD-Chef. Das Wahlergebnis am 24. September habe anderen das Mandat zur Regierungsbildung gegeben. Deshalb sei die Entscheidung am Wahlabend, in die Opposition zu gehen, richtig gewesen.

Doch das Scheitern der Jamaika-Gespräche sei ein Wendepunkt gewesen. Die SPD hätte diese demokratische Sondersituation nicht zu verantworten. Zugleich gelte aber, dass Jamaika dieses Land falsch regiert hätte.

Deshalb sei es sein Politikverständnis, dass die SPD in dieser Sondersituation ausloten müsse, was sie "für die Verbesserung im Leben der Menschen in Deutschland und Europa erreichen" könne. Da verbitte er sich Nachhilfe von Parteien, die an die staatspolitische Verantwortung der Sozialdemokraten appellieren. Es gehe um konkrete Verbesserungen für die Menschen, nicht um abstrakte Verantwortung, irgendeine Regierung zu bilden. "Solche Nachhilfe geht mir auf den Keks", sagte Schulz.

Forderungen wurden gehört

Um den Unmut in Teilen der Partei zu begegnen, sind der SPD-Vorsitzende und seine Führung bereit, neue Forderungen in die Koalitionsverhandlungen aufzunehmen. Dazu zählte er die stärkere Einschränkung befristeter Arbeitsverhältnisse, die nur die Ausnahme sein dürften. Auch die Überwindung der Zwei-Klassen-Medizin, etwa durch Öffnung der gesetzlichen Krankenversicherung für Beamte, und eine großzügigere Regelung beim Familiennachzug, nannte er in diesem Zusammenhang.

Die Einbeziehung dieser Punkte in den Leitantrag war bis zuletzt umstritten. Denn viele glauben, dass die Union zu weitergehenden Zugeständnissen nicht bereit sei und die Verhandlungen deshalb von vornherein belastet wären.

Allerdings sollen die Nachforderungen nicht zur Bedingung, zur roten Linie werden. Das sieht der umformulierte Leitantrag vor, der lediglich von "konkret wirksamen Verbesserungen" spricht, die erreicht werden müssten. Aber Konsequenzen, etwa die Ablehnung des Bündnisses, sieht der Antrag nicht vor.

Ein Manifest für ein europäisches Deutschland

Schulz nannte das Sondierungspapier auch ein Manifest für ein europäisches Deutschland. Es sei ein Ja zu mehr Investitionen, zu starken Arbeitnehmerrechten und zum Prinzip des gleichen Lohns für gleiche Arbeit. Es sei dadurch möglich, mehr Mittel im Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit zu mobilisieren. "Der Geist der Neoliberalismus muss endlich ein Ende in Europa haben", erklärte der SPD-Politiker.

Schulz machte klar, dass es jetzt - nach dem Scheitern von Jamaika - nur zwei Optionen gebe: Koalitionsverhandlungen mit der Union oder Neuwahlen. "Meine Haltung in dieser Frage ist ganz klar: Ich glaube nicht, dass Neuwahlen für uns der richtige Weg sind", sagte der SPD-Politiker.

Denn die Union sei zu einer geduldeten Minderheitsregierung oder anderen Kooperationsmodellen nicht bereit. Und auch die Grünen-Führung hätte zu möglichen Bündnissen mit SPD und Union klar nein gesagt. Neuwahlen könnten auch den rechten Rand noch weiter stärken, befürchtete der SPD-Chef.

Mäßiger Applaus

Schulz kündigte eine Erneuerung der Partei an, er wolle die Beteiligung der Mitglieder stärken, Männer und Frauen gleichmäßig in Parteiämter bringen und die Regierungsarbeit an den Vorgaben der Partei ausrichten. "Jede Regierung, an der wir uns beteiligen, muss eine SPD-Regierung sein", sagte der Parteivorsitzende. Eine neue Regierung müsse offener, nahbarer, transparenter und zugänglicher sein. Sie müsse auch zu gleichen Teilen aus Männern und Frauen bestehen.

Der SPD-Chef warb um Vertrauen der Delegierten. Das hätte durch die Beteiligung an zwei großen Koalitionen gelitten. Schulz will auch das Vertrauen der Wähler durch die Regierungsarbeit wieder zurückgewinnen. "Dann kann unsere Partei auch wieder Wahlen gewinnen", sagte Schulz. Seine Rede wurde nur mit mäßigem Beifall bedacht. Trotzdem erwarten die meisten Beobachter, dass der Parteitag für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union stimmt.

(kess)
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