Kieler SPD-Regierungschef Torsten Albig eröffnet die Gabriel-Debatte

Berlin · Sie hatten schon immer ein gespanntes Verhältnis. Jetzt eröffnet der Kieler SPD-Regierungschef Torsten Albig eine Sommerdebatte um einen angeschlagenen SPD-Chef Sigmar Gabriel. Er stellte angesichts der Popularität von Kanzlerin Angela Merkel einen Sieg seiner Partei bei der Bundestagswahl 2017 offen infrage.

 Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel mit Thorsten Albig (r.).

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel mit Thorsten Albig (r.).

Foto: dpa, reh tmk tba

Der Hammer von der Förde kommt in 13 Schlägen auf die SPD-Parteizentrale nieder: "Ob die Bezeichnung Kanzlerkandidat noch richtig ist oder nicht, das werden wir sehen." Das sagt kein Zyniker einer Polit-Satire. Das sagt ein Spitzen-Genosse: der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Thorsten Albig. Er war Peer Steinbrücks Pressesprecher, bevor er Oberbürgermeister in Kiel wurde. Er kennt sich mit den Medienmechanismen bestens aus. Und er weiß, was seine Worte zu Beginn der Sommerpause bewirken können: Das Signal, dass diese SPD sich jetzt schon aufgibt, und dass es dafür einen Schuldigen gibt: den Parteichef, der für den Zugriff auf den Posten des Kanzlerkandidaten naturgemäß den ersten Zugriff hat.

Dass diese SPD gegen diese CDU nichts zu vermelden hat, drückt Albig in dem Interview mit dem NDR für Genossen-Mund höchst ungewöhnlich durch ein überschwängliches Lob für Angela Merkel aus. "Sie macht das ganz ausgezeichnet — sie ist eine gute Kanzlerin." Damit versucht ausgerechnet Albig die Bundes-SPD in die Funktionsrolle der abgewählten FDP zu bugsieren: Wählt SPD, damit Merkel Kanzlerin bleibt und es weiter eine gute Politik für Deutschland gibt.

Tatsächlich goutieren die Menschen auch die Arbeitsleistung der SPD-Minister in Merkels Kabinett, finden die Inhalte gut, die die SPD in den Koalitionsverhandlungen durchgesetzt hat — und schreiben das Merkel und ihrer Partei gut. Die Union klettert gegen alle Traditionen zur Halbzeit von Bundesregierungen von 40 auf 41, dann auf 42, jetzt wird sie von einzelnen Meinungsforschern schon bei 43 Prozent gesehen. Die SPD dagegen verharrt unterhalb von 25 Prozent, bewegt sich eher Richtung 23 Prozent. Derzeit scheint es leichter für die FDP, wieder über die fünf Prozent-Hürde zu kommen, als für die SPD, die 30-Prozent-Marke zu überwinden.

Die mit Albigs Interview suggerierte Fortsetzung der großen Koalition als Wahlkampfinhalt ist daher eher unwahrscheinlich, wenn der Trend anhält. Merkel rückt immer näher an die absolute Mehrheit heran. Wenn die FDP wieder reinkommt, gibt es die Option für eine Neuauflage von Schwarz-Gelb. Aber auch Schwarz-Grün ist drin. Das von Gabriel und Lindner möglicherweise ausgelotete Ampel-Bündnis aus SPD, FDP und Grünen ist zwar theoretisch möglich, aber nur wenn Union und Linke noch deutlich an Stimmen verlieren.

Vor allem ist Albig nicht als Anhänger dieser Konstellation bekannt. Er selbst hätte nach den Landtagswahlen genau diese Karte ziehen können. Und es gab auch Erwartungen aus den Reihen der Bundes-SPD in diese Richtung. Doch er erklärte diese Ampel für "out" und entschied sich für eine "neue" Ampel aus SPD, Grünen und Südschleswigschem Wählerverband. Die Ampel in Berlin zu promoten, dürfte auch heute nicht hinter seinem Interview-Vorstoß stecken.

Ist es also der Versuch, die große Koalition, mit der auch der Großteil der Bevölkerung sehr zufrieden ist, als Lösung über 2017 hinaus als SPD-Perspektive zu verankern, so lange sie gegen eine übermächtige CDU-Kanzlerin nicht ankommt? Das wäre ein Schwenk, denn in der Vergangenheit war Albig eher unter den Kritikern der Berliner Groko anzutreffen.

Ganz besonders richtete sich aber seine Kritik gegen Gabriel selbst. Dessen Konzept, die Ökostromfinanzierung zu kürzen, bezeichnete er im Januar 2014 als "volkswirtschaftlich unsinnig". Und schon im Mai 2012 war aufgefallen, dass sich Albig am Tag nach der Wahl bei Olaf Scholz in Hamburg und bei seinem Landeschef Ralf Stegner ausdrücklich bedankte. Gabriel erwähnte er nicht.

Albig bekommt natürlich auch mit, wie sich die Stimmung innerhalb der SPD verfinstert hat, und wie die Genossen zunehmend Zweifel bekommen, wenn sie auf Gabriels Taktieren angesprochen werden. Mit der gegen den Willen von Justizminister Heiko Maas durchgeboxten Vorratsdatenspeicherung hat er viele Widerstände entfacht. Die erklärte Absicht Gabriels, die SPD zur Wirtschaftspartei machen zu wollen, hat nicht nur der linke Flügel nicht verstanden. Und seine jüngsten Volten in Sachsen Grexit steigerten erneut die Anti-Gabriel-Reflexe.

So ging es in den Gesprächen bei den Berliner Sommerfesten zu vorgerückter Stunde immer wieder um die Zukunft von Gabriel als Parteichef. Die Debatten endeten zumeist in Genossen-Frust: So kommen wir aus dem 23-Prozent-Tunnel nicht raus. Aber wir sehen auch keine Alternative.

Mit Albig könnte die SPD dazu gedrängt werden, darüber noch mal nachzudenken. Die naheliegendste Variante kommt jedoch auch schon in Gang: Albig ins Abseits alberner Äußerungen zu drängen.

(may-)
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