Designierte Parteichefin Jetzt soll es Andrea Nahles für die SPD richten

Berlin · Die Fraktionsvorsitzende der SPD soll auch die Partei führen - das macht sie zu Merkels mächtigster Gegenspielerin. Behält Nahles ihre Ämter bis 2021, dürfte sie auch Kanzlerkandidatin werden.

 Der SPD-Parteichef und seine designierte Nachfolgerin: Schulz, Nahles am Mittwoch in Berlin.

Der SPD-Parteichef und seine designierte Nachfolgerin: Schulz, Nahles am Mittwoch in Berlin.

Foto: dpa, ped exa

Irgendwann in dieser denkwürdigen Nacht haben sie den Knoten durchschlagen: Martin Schulz, Olaf Scholz und Andrea Nahles. Im Lichte der bald fertigen Ergebnisse der Groko-Verhandlungen haben sie ihren Plan vollendet. Wer wird was? Welche Rochade löst welche nächste Bewegung aus? Was wären die Folgen? Schulz ahnt schon länger, dass der demnächst bevorstehende SPD-Mitgliederentscheid seine ohnehin nicht komfortable Situation als Parteichef noch komplizierter machen könnte.

Noch hat Schulz den ersten Zufriff

Aber jetzt hat Schulz den ersten Zugriff. Noch ist er Vorsitzender seiner Partei. Noch kann er entscheiden - auch über seine eigene Zukunft. Schulz wählt die vorletzte Ausfahrt aus dem Amt des Vorsitzenden und entschädigt sich mit dem Anspruch auf das Außenministerium einer großen Koalition. Die letzte Ausfahrt wäre ein Mitgliedervotum geworden. Bei einem Scheitern hätte Schulz auf dem Pannenstreifen wohl den Notdienst rufen müssen.

Die nächsten Wochen werden hart - und entscheidend. Die SPD braucht eine Führungsfigur mit Autorität, Durchzug, Begeisterungskraft und Angriffslust. So wie am 21. Januar, beim Sonderparteitag in Bonn. Andrea Nahles betritt die Bühne. Vorne sitzt die irgendwie träge, weil unentschlossene Schar der Genossen dieses Parteitages. Der Vorsitzende hat schon gesprochen. Aber oben auf dem Podium ist im Gesicht von Nahles zu sehen, dass diese Rede von Martin Schulz nicht gereicht hat, um den Parteitag mitzunehmen, geschweige denn mitzureißen für den Weg in eine nächste große Koalition.

"Groko - ja oder nein?"

Nahles muss ran. Und sie mag diese Situationen, wenn es eng wird, wenn Kampfgeist gefragt ist, wenn man kurz vor Schluss einem Rückstand hinterherläuft und weiß: Dieses Spiel kann man noch drehen. Nahles kommt, dreht auf, sagt ihren Leuten unten im Saal, die Menschen draußen im Land würden über die SPD doch sagen: "Die haben einen Vogel!" Erst meckern, dann verweigern, dabei hätten sie doch all die Jahre mitregiert. "Der blöde Dobrindt", dem überlasse man das Land jedenfalls nicht: "Nicht mit uns." Der Beifallspegel im Saal steigt. Nahles redet eine müde, eine gespaltene SPD in der Frage "Groko - ja oder nein?" wach. Als sie endet, sieht man einen leichten Schweißfilm auf ihrer Stirn. Dieser Auftritt war eine Energierede.

Reaktionen auf die Groko
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Foto: Jens Dresling/AP

Mit dieser Energie soll die 47 Jahre alte Literaturwissenschaftlerin, Tochter eines Maurermeisters aus der Vulkaneifel, künftig auch die SPD führen. Nahles bekommt jetzt doppelte Macht. Den Vorsitz der SPD-Bundestagsfraktion hat sie schon direkt nach der Bundestagswahl übernommen. Jetzt soll sie auch Schulz' Nachfolgerin werden. "Das schönste Amt neben Papst", hat Franz Müntefering einmal gesagt. Er muss es wissen: Er war gleich zweimal SPD-Chef. Nahles ist nun die erste Päpstin der SPD. Und sie kann nun beides: Ein Bündnis mit CDU-Chefin Angela Merkel für die Zeit dieser Groko schmieden und zugleich, gewissermaßen in Merkels totem Winkel, für die Zeit danach planen. Keine Frage: Nahles wird mit der Fülle und dem Einfluss der Ämter der Partei- und Fraktionsvorsitzenden zur mächtigsten Gegenspielerin der Kanzlerin.

"In die Fresse"

Nahles kann auch Straßenkampf, wenn es darauf ankommt. "Ab morgen kriegen sie in die Fresse", hatte sie kurz nach ihrer Wahl zur SPD-Fraktionschefin in die Kameras gesagt. So was mag sie, so was kann sie. Sie ist geschult aus ihrer Zeit (1995 bis 1999) als Bundesvorsitzende der Jusos. Wer da nicht angreift, wird nix in der SPD. Von daher könnte Juso-Chef Kevin Kühnert noch eine Karriere bevorstehen - angeblicher Zwergenaufstand hin oder her.

Nahles muss von diesem Februar-Tag, da Merkel, Schulz und der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer ihre Einigung über eine große Koalition verkündet haben, die Sache für sich nach vorne denken: hin zur nächsten Bundestagswahl. Sicher, politische Karrieren sind kaum planbar. Aber sollte sie bis 2021 (oder bis zu einer vorgezogenen Newahl) immer noch Partei- und Fraktionschefin der SPD sein, wird die Partei an ihr als nächster Kanzlerkandidatin nur schwer vorbeikommen.

"Müde. Aber zufrieden. Der Vertrag steht!"

In der vergangenen Woche noch hat Nahles gezeigt, dass sie jene Flexibilität und Geschmeidigkeit besitzt, die über politische Karrieren mitentscheiden. Die Fraktionen von Union und SPD handelten am Ende in nur zwei Tagen einen Kompromiss zum Familiennachzug aus, den sowohl CDU/CSU als auch SPD später als Erfolg für sich deuteten. Die Union sah darin auch künftig eine Begrenzung von Zuwanderung, die SPD wiederum nahm für sich in Anspruch, mit dem Kompromiss den Einstieg in den Familiennachzug (1000 Personen pro Monat) überhaupt erst wieder ermöglicht zu haben. Wenn dann die Grünen im Bundestag der SPD vorwerfen, die Sozialdemokraten seien "eingeknickt", kommt Nahles richtig auf Touren. Sie schimpft in der ersten Reihe wie ein Rohrspatz. Und ihre Tiraden gegen die Grünen wollen gar kein Ende nehmen. Bätschi!

Mit den Worten "Müde. Aber zufrieden. Der Vertrag steht!" haben die SPD-Spitzenverhandler gestern Vormittag ein Bild herumgeschickt. Nahles ist mit drauf. Sie steht vorne. Hinter ihr, fast verdeckt, Schulz. So ist jetzt die Lage. Nahles war SPD-Generalsekretärin. Sie hat Wahlkämpfe geleitet. Jetzt übernimmt sie den höchsten Posten der Sozialdemokratie. Der nächste Wahlkampf kommt bestimmt. Vielleicht der erste, der auf sie zugeschnitten ist.

(hom)
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