Gesundheitsvorsorge am Arbeitsplatz soll gestärkt werden SPD will Lohn zwölf Wochen weiterzahlen

Berlin · Die Sozialdemokraten planen, die Lohnfortzahlung für Kranke auszudehnen und die Gesundheitsvorsorge am Arbeitsplatz zu stärken.

Krankenversicherung: Gesetzlich oder Privat?
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Im 150. Jahr ihres Bestehens erinnert sich die SPD an ihre Wurzeln als Arbeiterpartei. Die Sozialdemokraten um ihren Spitzenkandidaten Peer Steinbrück wollen deshalb im Fall eines Sieges bei der Bundestagswahl am 22. September mit einem Bündel von Maßnahmen die Rechte der Arbeitnehmer stärken.

Dazu gehören nicht nur die Forderung nach einem bundesweit einheitlichen Mindestlohn von 8,50 Euro und das Verbot von grundlos befristeten Arbeitsverträgen, sondern auch eine gesetzliche Verschärfung der Vorschriften zur Gesundheitsvorsorge in Betrieben.

Um dieses Ziel zu erreichen, drohen die Sozialdemokraten auch damit, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall auszuweiten. Sollten Arbeitgeber ihren Mitarbeitern, die nach langer Krankheit an ihren Arbeitsplatz zurückkehren, nicht konkrete Hilfsmaßnahmen zur Wiedereingliederung anbieten, sollen die Unternehmen künftig länger für kranke Mitarbeiter zahlen.

"Dafür wollen wir die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall von sechs Wochen auf zwölf Wochen verdoppeln", sagte die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Anette Kramme. Der psychische Druck am Arbeitsplatz habe stetig zugenommen, begründete Kramme die Maßnahme.

Das könnte die Arbeitgeber teuer zu stehen kommen. Die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist mit fast 40 Milliarden Euro jährlich die teuerste betriebliche Sozialleistung. Bislang zahlt ein Unternehmen seinen Arbeitnehmern und Auszubildenden im Krankheitsfall bis zu sechs Wochen weiter Lohn und Gehalt. Danach springt die Krankenkasse ein.

Die Lohnfortzahlung war in der Geschichte der Bundesrepublik stets umkämpft. 1956 hatten Arbeitnehmer der Metallindustrie 114 Tage für eine bessere Absicherung im Krankheitsfall gekämpft, es war der längste Streik der Nachkriegsgeschichte. 1969 wurde die Lohnfortzahlung schließlich Gesetz. Union und FDP kürzten die Leistungen 1996 angesichts der wirtschaftlichen Misere, SPD und Grüne nahmen die Änderungen 1998 aber wieder zurück.

Nun will die SPD Unternehmen zu einer längeren Zahlung verpflichten, sollten diese ehemals kranken Mitarbeiter nicht ausreichend beim Wiedereinstieg helfen. Welche Kriterien für ein funktionierendes Eingliederungsmanagement gelten sollen und wer diese überprüft, sagt die SPD nicht. Das CDU-geführte Arbeitsministerium ist skeptisch. Der Schutz vor psychischen Belastungen in der Arbeitswelt werde zwar wichtiger, sagte ein Sprecher.

Deshalb müsse die Prävention gestärkt werden. "Aber anders als beim physischen Arbeitsschutz, wo Kriterien, Schwellenwerte und Größen, ab denen Arbeitsbedingungen schädlich wirken, klar erforscht und formuliert sind, bestehen beim psychischen Arbeitsschutz Erkenntnislücken."

Doch die SPD will noch mehr. So soll ein Anti-Stress-Gesetz beschlossen werden, das den Arbeitgeber verpflichtet, die Gesundheitsgefahren am Arbeitsplatz detailliert zu beschreiben und Hilfsmaßnahmen anzubieten. "Ich persönlich bin der Auffassung, dass externe Gesundheitsberater alle zwei oder drei Jahre in den Betrieben die Bedingungen überprüfen müssen und mit den Mitarbeitern ungezwungen über Verbesserungen sprechen können", sagte Kramme. Anschließend müsse der Arbeitgeber mit den Sozialversicherungen über Verbesserungen beraten.

Außerdem will die SPD den Betriebsrat bei Fragen der Gesundheitsvorsorge stärker einbinden. Die Arbeitnehmervertretung soll auch über den finanziellen Einsatz von Maßnahmen zur Gesundheitsvorsorge entscheiden können.

Die FDP und der Arbeitgeberverband BDA kritisieren die Vorschläge der SPD als zu weitgehend oder überflüssig. "Die Personalzusatzkosten weiter zu erhöhen, wäre wachstums- und beschäftigungsfeindlich", sagte ein BDA-Sprecher. "Es ist im ureigenen Interesse von Arbeitergebern, dass gesundheitlich beeinträchtigte Mitarbeiter schneller und motivierter ins Berufsleben zurückfinden."

Auch die Anti-Stress-Verordnung hält der Arbeitgeberverband für unnötig. Im Arbeitsschutzrecht seien ausreichende Regelungen zu psychischen Belastungen getroffen. "Weder Gesetze noch Verordnungen können objektive Maßstäbe festlegen, die unabhängig von jeder betrieblichen und persönlichen Situation gelten."

Auch die FDP sieht keinen Änderungsbedarf bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.

(brö)
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