Urwahl bei den Grünen Cem Özdemirs Sieg ist ein Dämpfer

Meinung | Berlin · Grünen-Chef Cem Özdemir hat die Wahl zur Spitzenkandidatur mit einem hauchdünnen Vorsprung von nur 75 Stimmen vor Robert Habeck gewonnen. Das ist angesichts seiner viel größeren Bekanntheit und seiner viel längeren politischen Karriere ein schwaches Ergebnis.

 Cem Özdemir (Archivfoto) wurde mit 75 Stimmen Vorsprung zum Spitzenkandidaten neben Katrin Göring-Eckardt gewählt.

Cem Özdemir (Archivfoto) wurde mit 75 Stimmen Vorsprung zum Spitzenkandidaten neben Katrin Göring-Eckardt gewählt.

Foto: dpa, mut gfh htf

Özdemir hat zwar gewonnen, kann aufatmen und jetzt durchstarten. Aber er hat gleichzeitig auch einen Dämpfer erfahren.

Denn der bundesweit eher unbekannte schleswig-holsteinische Vize-Regierungschef Habeck gilt wie Özdemir als Vertreter des Realo-Flügels bei den Grünen. Er ist kein Befürworter von Rot-Rot-Grün, so sehr er das in den letzten Wochen auch zu verschleiern versucht hat. Doch die Hälfte jener 70 Prozent der Grünen-Mitglieder, die mit dem moderaten Realo-Kurs kein Problem haben, entschied sich lieber für Habeck statt für Özdemir. Das muss dem ehrgeizigen 50-Jährigen aus Baden-Württemberg zu denken geben.

Der dritte im Spiel, Fraktionschef Anton Hofreiter, hatte dagegen keine Chance. Er unterlag klar mit nur 26 Prozent der Stimmen. Auch das ist ein klares Signal: Der Linkskurs, für den Hofreiter steht, ist unter den Parteimitgliedern weniger en vogue als unter den Parteitags-Delegierten, die die Partei zuletzt etwa auf die Einführung einer Vermögensteuer festgelegt hatten. Anders ausgedrückt: Die Basis der Parteimitglieder tickt deutlich weniger links als die Funktionäre.

Zu denken geben muss den Grünen die geringe Wahlbeteiligung von nur 59 Prozent. Mehr als 40 Prozent der Mitglieder ignorierten den Wahlaufruf. Das sagt viel über die Politikverdrossenheit aus auch unter Grünen-Anhängern. Auch dass mit Katrin Göring-Eckardt nur eine einzige Frau zur Wahl stand, war eine Schwäche dieser Urwahl. Allerdings konnten die Mitglieder auch Göring-Eckardt einen kleinen Denkzettel verpassen. Göring-Eckardts Wahlergebnis von nur 71 Prozent ist nicht berauschend.

Schwarz-Grün oder Jamaika sind etwas wahrscheinlicher geworden

Fazit: Von dieser Urwahl geht ein Signal aus, das lässt sich nicht wegreden. Mit Özdemir und Göring-Eckardt an der Spitze blinkt die Partei nun klar in Richtung Schwarz-Grün. Oder, was mit Blick auf die aktuellen Umfragen realistischer ist: In Richtung Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen. Rot-Rot-Grün ist zwar weiterhin nicht ausgeschlossen, doch weder Özdemir noch Göring-Eckardt stünden für eine solche Verbindung.

Schwarz-Grün oder Jamaika sei mit der CSU nicht möglich, heißt es zwar überall in Berlin. Tatsächlich haben auch die Grünen nach der CSU eine rote Linie gezogen: Einen Koalitionsvertrag, der die von der CSU geforderte Obergrenze für die Flüchtlingszuwanderung enthielte, würden sie nicht unterschreiben.

Das würde allerdings auch die CDU-Vorsitzende Angela Merkel nicht. Insofern: Schwarz-Grün oder Jamaika sind mit dem heutigen Tag etwas wahrscheinlicher geworden.

(mar)
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