Verfassungsrechtler im NSA-Ausschuss Staat soll Bürger vor Spionage schützen

Berlin · Der Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der NSA-Abhöraffäre hat am Donnerstag in einer Marathonsitzung die ersten Sachverständigen in Berlin befragt. Die von Protesten der Piratenpartei begleitete öffentliche Anhörung dauerte am Ende mehr als fünf Stunden. Drei führende Verfassungsrechtler appellierten dabei an die Pflicht der Bundesregierung, den Schutz deutscher Bürger vor Ausspähung und Überwachung zu gewährleisten.

Edward Snowdens Antworten bei der Internet-Fragestunde
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Foto: afp, CHANNEL 4

Es gebe eine staatliche Verpflichtung, sagte der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, für eine Grundrechte wahrende und sichere Kommunikationsinfrastruktur zu sorgen. Sein früherer Kollege, der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht, Wolfgang Hoffmann-Riem, ergänzte, ausländische Nachrichtendienste wie die amerikanische NSA hätten kein Recht, in Deutschland Kommunikation zu überwachen. Wenn dies geschehe, müsse der deutsche Staat das unterbinden.

Der Mannheimer Professor für Öffentliches Recht, Matthias Bäcker, übte unterdessen Kritik an der Arbeit des Bundesnachrichtendienstes (BND). Er beklagte, für die Arbeit der Behörde fehle zum Teil eine ausreichende gesetzliche Grundlage — etwa für die Überwachung von Telekommunikation im Ausland. Das Recht setze dem BND an dieser Stelle im Grunde keine Grenzen. Wenn der BND aber alles dürfe, was man ausländischen Nachrichtendiensten vorwerfe, "dann ist das in einem Rechtsstaat kein besonders erfreulicher Zustand", kritisierte Bäcker.

Papier für Rechtsverschärfung

Dass aber eben dieser Zustand herrscht und auch Rechtsverstöße ausländischer Nachrichtendienste in Deutschland an der Tagesordnung waren, belegen Unterlagen des früheren US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden. Durch seine Veröffentlichungen wurde vor knapp einem Jahr bekannt, dass die National Security Agency (NSA) und andere ausländische Nachrichtendienste in großem Stil deutsche Daten abgeschöpft haben; Snowden floh nach Moskau.

Das Datensammeln sei so umfangreich geschehen, sagte Verfassungsrechtler Papier mit Bezug auf ein von ihm verfasstes Gutachten, dass die Spähprogramme der NSA und anderer Nachrichtendienste offenbar einer flächendeckenden und anlasslosen Erhebung und Speicherung von Telekommunikationsdaten ähnelten. Eine solche Vorratsdatenspeicherung sei in Deutschland und auch in der EU nicht zulässig, wie das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof entschieden hätten.

Die Chronologie des Falles "Edward Snowden"
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Sein Appell an die Bundesregierung fällt umso deutlicher aus: Weil die Grundrechte der Deutschen auch im Ausland Geltung haben, müsse es eine Rechtsverschärfung geben, damit das Strafrecht besser für Taten anwendbar sei, die im Ausland gegen deutsche Bürger begangen würden, sagte Papier.

Flisek: "Überzeugt, dass wir Snowden werden vernehmen können"

Roderich Kiesewetter, Unions-Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss, zeigte sich glücklich, dass die Juristen die Freiheitsrechte so stark betont hätten. "Gleichzeitig haben sie klargemacht, dass unsere Nachrichtendienste nicht verfassungswidrig handeln. Ich teile aber die Auffassung, rechtliche Vorschriften teilweise anpassen zu müssen", sagte er unserer Redaktion.

Unterdessen lässt Christian Flisek, für die SPD im Untersuchungsausschuss, wenig Zweifel an der Möglichkeit, Edward Snowden vor dem Gremium hören zu können. "Ich bin überzeugt, dass wir Edward Snowden werden vernehmen können", sagte Flisek.

Noch immer ist jedoch unklar, wo und in welchem Rechtsrahmen das geschehen könnte. Denn sowohl in seinem Moskauer Unterschlupf als auch in Berlin drohen Edward Snowden unangenehme Konsequenzen — sei es eine Änderung seines Aufenthaltsrechts in Russland oder eine erzwungene Auslieferung von Berlin in die Vereinigten Staaten, wo ihm Geheimnisverrat vorgeworfen wird. Fest steht, dass die Ausschussmitglieder Edward Snowden noch vor der parlamentarischen Sommerpause im Juli in Moskau besuchen wollen — selbst wenn dann nicht zur Sache gesprochen werden dürfte.

(jd)
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