CDU reagiert empört Steinbrück greift Merkels DDR-Herkunft an

Berlin · Der Kanzlerkandidat löst Wirbel mit dem Satz aus, mangelnde Europa-Liebe habe mit Merkels Sozialisierung zu tun.

Mit der DDR konnte Peer Steinbrück schon als junger Mann nicht viel anfangen. 1981, Steinbrück war 33 Jahre alt und Wirtschaftsreferent im Kanzleramt unter Helmut Schmidt, wurde er als Wirtschaftsreferent in die Ständige Vertretung der Bundesrepublik nach Ost-Berlin entsandt — eine Zeit, die Steinbrück später mürrisch als "Kinderlandverschickung" bezeichnete. An die Luftverschmutzung und die bedrückende Atmosphäre erinnerte er sich noch.

Nun hat sich der SPD-Kanzlerkandidat erneut mit den Befindlichkeiten in der DDR befasst und darin gleich eine Erklärung für die Europapolitik der Kanzlerin gefunden. Steinbrück nannte am Sonntag bei einer Veranstaltung des "Tagesspiegel" die DDR-Vergangenheit als möglichen Hintergrund für das angeblich leidenschaftslose Krisenmanagement der Kanzlerin in der europäischen Schuldenkrise. Das hänge wohl damit zusammen, dass Merkel in der DDR sozialisiert worden sei und ihr deshalb das Projekt Europäische Union ferner sei als einem in Westdeutschland aufgewachsenen Politiker, räsonierte Steinbrück.

"Ich halte daran fest: Die Tatsache, dass sie jedenfalls bis 1989/90 eine ganz andere persönliche und politische Sozialisation erlebt hat als die, die diese europäische Integration seit Anfang der 1950er Jahre erlebt haben, beginnend mit den Montanverträgen, das spielt in meinen Augen schon eine Rolle." Ähnlich hatte sich Steinbrück bereits 2011 in einem in Buchform erschienenen Gespräch mit Altkanzler Helmut Schmidt geäußert. Auch damals hatte er Merkel vorgeworfen, ihr fehle es an Leidenschaft für den europäischen Gedanken — und dies auf ihre ostdeutsche Vergangenheit zurückgeführt, allerdings in abgeschwächter Form. "Es ist eine spannende Frage, ob sie (die Leidenschaft, d. Red.) ihr deshalb nicht innewohnt, weil sie in der DDR sozialisiert worden ist und ihr das Projekt Europa von daher vielleicht ferner steht als einem westdeutschen Politiker, der das immer verfolgt oder sogar aktiv betrieben hat", heißt es an einer Stelle in dem Buch mit dem Titel "Zug um Zug".

Nun ist Merkel tatsächlich nicht gerade als besonders emotionale Persönlichkeit bekannt. Die promovierte Physikerin neigt eher dazu, die Dinge nüchtern zu betrachten und zu analysieren, bevor sie Partei ergreift oder Entscheidungen fällt. Gerade in europapolitischen Fragen hat Merkel aber in den vergangenen zwei Jahren wohl deutlich mehr Zeit, Gedanken und Nerven investiert als in andere Fragen. Die Euro-Rettung ist das Thema, das ihre Kanzlerschaft wie kein anderes beherrscht — und Merkel selbst hat stets betont, dass die Überwindung dieser Krise ihre größte Herausforderung bleibt.

Gröhe fordert Entschuldigung

Entsprechend verärgert reagierte die CDU am Montag auf die Äußerung Steinbrücks. Von einer "erneuten Entgleisung" sprach Generalsekretär Hermann Gröhe und forderte eine Entschuldigung. "Der SPD und dem Kanzlerkandidaten fällt scheinbar nichts mehr anderes ein als die Diffamierung ihrer Kontrahenten. Die Bürger werden ihre Schlüsse daraus ziehen", stellte der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, fest. "Steinbrücks Aussage ist einfach nur albern. Wenn jemand Europa in der Krise zusammengehalten hat, dann war es die Kanzlerin." Der Regierungsbeauftragte für die neuen Länder, Christoph Bergner (CDU), nannte die Worte "eine Brüskierung der ehemaligen DDR-Bürger". Linken-Chef Bernd Riexinger sprach von einer "bodenlosen Unverschämtheit".

In der SPD wollte man Steinbrücks Worte nicht kommentieren. Er sei "eben unserer Klartext-Kandidat", sagte ein Führungsmitglied der SPD mit Augenzwinkern. Das müsse man nicht überbewerten.

Eine Ferndiagnose der Verhältnisse in der DDR ist schon einmal in einem Bundestagswahlkampf einem Wahlkämpfer vor die Füße gefallen. Edmund Stoiber (CSU) hatte im August 2005 als damaliger Ministerpräsident Bayerns bei einer Wahlkampfveranstaltung in Baden-Württemberg mit Blick auf den Erfolg der Linken in Ostdeutschland kritisiert, die "Frustrierten" dort in den neuen Bundesländern dürften nicht über die Zukunft Deutschlands entscheiden. Dafür erntete Stoiber einen Sturm der Entrüstung. Die CDU/CSU verlor die Bundestagswahl am Ende knapp gegen Amtsinhaber Gerhard Schröder (SPD). Und Angela Merkel übernahm in der Union endgültig die Führungsrolle.

(brö / mar)
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