Interview mit dem SPD-Fraktionschef Steinmeier warnt vor EU-Ausscheiden Londons

Berlin · Der frühere Außenminister und SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier fürchtet im Gespräch mit unserer Redaktion eine Schwächung der Beziehungen zwischen Europa und Amerika, wenn Großbritannien aus der EU ausscheidet. Die Vorwürfe gegen Bundespräsident Wulff wegen eines Privatkredits sieht er als "Belastung" und hält eine Beschädigung des Amtes für möglich.

 SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier spricht mit unserer Redaktion über die Folgen eines Sonderwegs Großbritanniens in der EU.

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier spricht mit unserer Redaktion über die Folgen eines Sonderwegs Großbritanniens in der EU.

Foto: dapd, Axel Schmidt

Wie bewerten Sie die Debatte um den Privatkredit, den sich der Bundespräsident als Landesminister für den Kauf seines Wohnhauses hat gewähren lassen?

Steinmeier Das ist eine Belastung und der Bundespräsident wird sie spüren. Deshalb gehe ich davon aus, dass Christian Wulff sich baldmöglichst äußert und seinerseits das Notwendige zur Aufklärung tut.

Kann das Amt des Bundespräsidenten dadurch beschädigt werden?

Steinmeier Wenn es Unregelmäßigkeiten gibt, die nicht aufgeklärt und erklärt werden können: Ja.

Rechnen Sie wegen des Euro in der Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr mit weiteren Krisensitzungen auf EU-Ebene?

Steinmeier Ich selbst freue mich auf Weihnachten, auf meine Familie und auf die längste Jahreszeit, auf die Zeit zwischen den Jahren.

Wird es denn Krisensitzungen geben?

Steinmeier Wir sind nach dem letzten europäischen Gipfel nicht über den Berg. Aber ich sehe nicht, dass weitere Krisentreffen zwischen Weihnachten und Neujahr das in Brüssel Versäumte aufholen können.

Auf europäischer Ebene wurde nun eine Art Stabilitätsunion verabredet. Begrüßen Sie die Entscheidung?

Steinmeier Nichts braucht Europa so sehr wie Stabilität. Ob der Gipfel oder die deutsch-französischen Vorschläge den Weg dahin geebnet haben, daran zweifle ich allerdings sehr! Kernprobleme werden nicht angegangen: Wie bringen wir Wachstum in Gang, wie gehen wir mit Altschulden der am höchsten verschuldeten Länder um, wie beteiligen wir die Finanzmärkte an den Kosten der Krise? Nichts davon ist im Gipfelbeschluss von Brüssel enthalten.

Immerhin wurde das Vorziehen des Euro-Rettungsschirms ESM beschlossen, was Sie immer gefordert haben.

Steinmeier Dennoch: Die Lösungsvorschläge gehen in weiten Teilen am Problem vorbei. Die Behauptung, der Gipfel habe automatische Sanktionen zur Haushaltsdisziplin der europäischen Staaten vereinbart, ist schlicht unwahr. Deshalb sind wir auch von einer Fiskalunion weit entfernt. Kanzlerin Merkel und der französischen Staatspräsident Sarkozy räumen mit diesen Beschlüssen doch ein, dass der Rettungsschirm von September zu knapp war. Sie suchen aber nicht in der Politik nach der Zustimmung für Erweiterung, sondern bauen einen neuen Hebel ein, indem über die Bundesbank und die europäische Zentralbank Geld an den Internationalen Währungsfonds IWF fließt und von dort nach Europa zurückkommt - unter Umgehung der Parlamente.

Was werden Sie unternehmen?

Steinmeier Wir werden die Zustimmung des Bundestages dazu einfordern.

Das heißt, die SPD will der IWF-Ermächtigung nicht zustimmen?

Steinmeier Ich habe im September gesagt, gemessen an den Aufgaben, die der Europäische Rat dem Rettungsschirm zugewiesen hat, ist er zu eng gestrickt. Deshalb bin ich nicht prinzipiell gegen eine Erweiterung des Garantierahmens, aber selbstverständlich nicht völlig am Parlament vorbei!

Wo sehen Sie Licht am Ende des Tunnels?

Steinmeier Die Krise des Euro wird sich nur lösen lassen, wenn die Regierung Merkel nicht länger das Kernproblem Schulden-Altlast unter den Tisch kehrt. Der Sachverständigenrat der Wirtschaftsweisen hat dazu einen klugen Vorschlag gemacht. Ein Teil der Altschulden der europäischen Länder sollte in einen europäischen Schuldentilgungsfonds fließen und von den Ländern über einen langen Zeitraum von 25 Jahren zu einem erträglichen Zinssatz zurückgezahlt werden.

Wie schlimm ist für die Europäische Union die Isolierung Großbritanniens?

Steinmeier Auch ich hab mich oft genug geärgert über britische Sonderinteressen! Aber uns muss bewusst sein, dass wir mit dem Verlust von Großbritannien ein historisches Element der europäischen Einigungsgeschichte aufgeben. Ich will mir nicht vorstellen, dass wir die europäische Zukunft ohne einen so wichtigen Partner wie Großbritannien schreiben.

Können häufige EU-Treffen ohne Briten dazu führen, dass Großbritannien aus der EU herausgeht?

Steinmeier Ich fürchte, der entscheidende Schritt für ein Ausscheiden Großbritanniens aus der EU ist getan. Wenn die regelmäßige Veranstaltungsform der EU ein Europa der 26 ohne Großbritannien wird, dann ist ein Entfremdungsprozess unvermeidbar und am Ende unumkehrbar.

Wird durch die Isolierung Großbritanniens auch die transatlantische Partnerschaft geschwächt?

Steinmeier Amerika orientiert sich zunehmend pazifisch. Eine weitere Schwächungen der transatlantischen Partnerschaft sollten wir unbedingt vermeiden. Bei einer Trennung Großbritanniens von Europa wäre das aber unweigerlich der Fall.

Muss die Politik das Grundgesetz im nächsten Jahr an die neuen europäischen Verträge anpassen?

Steinmeier Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat dem Gesetzgeber die Grenzen aufgezeigt. Sie fordert die Politik auf, bei der Übertragung von Hoheitsrechten auch die rechtlichen und wenn notwendig, auch die verfassungsrechtlichen Konsequenzen zu ziehen. Dass das notwendig sein wird, kann ich nicht ausschließen.

Beim Parteitag haben Sie den Eindruck erweckt, als hätten Sie Lust, noch einmal Kanzlerkandidat zu werden. Ist das richtig?

Steinmeier Das war ein toller Parteitag. Peer Steinbrück, Sigmar Gabriel und ich haben auf dem Parteitag das getan, was wir auch auf früheren Parteitagen getan haben: Wir haben geredet.

Wer war denn der Beste?

Steinmeier (lacht): Helmut Schmidt war doch klasse, oder?

Kann sich die SPD erlauben, bis nach der Niedersachsen-Wahl 2013 mit der Entscheidung über den Kanzlerkandidaten zu warten?

Steinmeier Die SPD wäre schlecht beraten, sich einen Zeitplan aufdrängen zu lassen. Wir entscheiden Ende 2012 oder Anfang 2013.

Das neue Selbstbewusstsein der SPD schlägt sich noch nicht wirklich in den Umfragewerten nieder. Was muss geschehen, damit sie mit der Union auf Augenhöhe kommen?

Steinmeier Es bewegt sich doch was! Wir sind in den Umfragen um die 30 Prozent und arbeiten daran, dass es noch mehr wird. Und ich bin zuversichtlich: Der Parteitag hat gezeigt, dass die inhaltliche Erneuerung gut vorankommt und mit Blick auf die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern wird doch auch sichtbar, dass in der SPD gutes Personal von der kommunalen Ebene nachrückt. Mit Torsten Albig, Stephan Weil und Christian Ude treten gleich drei Oberbürgermeister an, in den kommenden drei Landtagswahlen Ministerpräsident zu werden.

Von dem Parteitag ist ein starkes rot-grünes Signal ausgegangen. Wird es 2013 einen Lagerwahlkampf geben?

Steinmeier Schwarz-Gelb hat keine Zukunft mehr, weil der Union der liberale Partner verloren geht. Ein Politikwechsel kann nur mit Rot-Grün gelingen.

Wenn es für Rot-Grün nicht reicht, fangen Sie die Liberalen in einer Ampelkoalition auf.

Steinmeier Welche Liberalen?

Sind die Liberalen nach Lindners Rücktritt noch regierungsfähig?

Steinmeier Wenn sich in den letzten zwei Jahren eins erwiesen hat, dann doch, dass diese FDP in der ganzen Zeit nie regierungsfähig war. Die Westerwelle-FDP hat die Idee des Liberalismus auf eine reine Steuersenkungsideologie reduziert. Sie hat keine Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit und ist an der Realität gescheitert. Frau Merkel und ihrer Koalition bricht jetzt der Boden unter den Füßen weg.

Das Gespräch führten Michael Bröcker und Eva Quadbeck.

(RP/felt/das/top)
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