Nach Urteil des Kölner Landgerichts Streitfall Beschneidung

Seit das Kölner Landgericht die rituelle Beschneidung von Kleinkindern als strafbar erklärte, ist eine Debatte über Religionsfreiheit, den Glauben und die Zukunft des Judentums hierzulande entbrannt.

 Die Aufnahme zeigt ein Beschneidungsritual in Istanbul.

Die Aufnahme zeigt ein Beschneidungsritual in Istanbul.

Foto: dpa, Tolga_Bozoglu

Wer glaubt, hat recht. Das ist das Recht einer persönlich erfahrenen Wahrheit und Gewissheit des Glaubens; es bewährt sich im Vollzug. Dieses Recht ist nicht mehr unbestritten, seit es — im Fall der Beschneidung — in Kollision geraten ist mit dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Das Kölner Landgericht hat jüngst darüber so befunden: Die Entfernung der Vorhaut bei Säuglingen und Kindern — ein bei Juden und Muslimen religiös bedeutsamer Ritus — ist als strafbare Handlung zu werten.

Kein Tag vergeht seither ohne erregte Beiträge zu einer Debatte, die religiös vielschichtig, historisch brisant und rechtlich grundsätzlich ist. Dabei geht es nicht um das eigentliche Ritual der Beschneidung, was im Empörungsfuror fast unterzugehen droht. Die Religionsfreiheit bleibt gewahrt, weil die Art solcher Zugehörigkeitsbekundung im Grundsatz unberührt bleibt. Justiziabel wird allein der Zeitpunkt der Beschneidung.

Der aber markiert den Konfliktfall: Der irreversible Körpereingriff darf nur mit Einwilligung des Patienten geschehen, und wo dies unmöglich ist — wie etwa bei Säuglingen —, bedarf es der Einwilligung durch die Eltern. Was aber, wenn auch das Votum der Eltern dem Wohle des Kindes im Wege zu stehen scheint? Dann, so das Gericht, sei das kindliche Recht auf körperliche Unversehrtheit höher zu bewerten als etwa das Sorgerecht oder das Recht auf Freiheit der Religion.

Dazu verhalten sich erwartungsgemäß viele: Während der Bundesverband der niedergelassenen Kinderchirurgen das Urteil begrüßt und rät, von rituellen Beschneidungen an Kleinkindern abzusehen, sieht die deutsch-türkische Sozialwissenschaftlerin Necla Kelek darin sogar eine archaische Sitte, die in gleicher Weise zu ächten sei wie die Genitalverstümmelung bei kleinen Mädchen.

Die beiden christlichen Volkskirchen hierzulande aber halten die religiöse Bedeutung des Ritus für maßgeblich; ein Verbot ist ihrer Ansicht nach gleichermaßen unsensibel wie ungerechtfertigt. Zuletzt meldete sich der Religionsphilosoph Robert Spaemann zu Wort mit der bagatellisierenden Einschätzung, dass die Schwere des Eingriffs einer Masernimpfung entspreche.

In seltener, aber erwartbarer Eintracht hatten sich als Erste Islamverbände und der Zentralrat der Juden geäußert — mit Entrüstung und Enttäuschung, mit der Ankündigung rechtlicher Schritte, mit Hinweisen auf die große historische Tradition sowie der dunklen Prophezeiung, dass jüdisches Leben, sollten Beschneidungen illegal werden, in Deutschland nicht mehr möglich wäre. So mehrfach Zentralratspräsident Dieter Graumann.

Nun ist die Religionszugehörigkeit nicht von einer Beschneidung abhängig — weder im Islam noch im Judentum. Sie wird aber durch das Ritual demonstriert. Im Judentum wird sie als abrahamitischer Bund verstanden, der nach biblischer Überlieferung bei gesunden Jungen am achten Tage nach der Geburt vollzogen wird. Zugeständnisse sind vor diesem Hintergrund kaum möglich; man müsse da schon mit dem lieben Gott verhandeln, sagt Graumann.

Auch im Judentum selbst ist die Beschneidung nicht mehr unumstritten. In Israel gibt es eine "Organisation gegen Genitalverstümmelung", die 1998 vor das Oberste Gericht zog und vergeblich versuchte, Beschneidungen für illegal erklären zu lassen. Und vor sechs Jahren ergab die Umfrage eines israelischen Elternportals, dass ein Drittel der Eltern lieber ganz auf das Ritual verzichten würde.

Die hohe Emotionalität des Themas liegt auch in der Symbolkraft des Ritus mit seiner sowohl kulturellen als auch religiösen Identitätsbildung. Gibt es überhaupt ein stärkeres Zeichen der Zugehörigkeit als dieses? Das Körpermal ist eine im wahrsten Sinne des Wortes leibhaftige Bekundung. Nur ist ein Säugling kein aus eigenem Willen Bekundender.

Wenn es aber unmöglich sein soll, die Beschneidung von Kleinkindern zu unterbinden, drängt sich die Frage auf, ob die körperliche Unversehrtheit eines Kindes abhängig von religiösen Riten sein darf. Das Kölner Landgericht hat darin zu einer Meinung gefunden. Nun sind auch Gerichtsurteile nicht unfehlbar. Sie werden immer noch von Menschen gefällt. Ihre unbestrittene Qualität aber ist, dass sie in Unabhängigkeit getroffen werden, ohne Ansehen der Person also und ohne Ansehen ihrer Religion.

Das beschreibt Wesen und Kern unseres Rechtsstaates; und es ist überdies eine Lehre aus unserer Vergangenheit, in der Gerichte — ihrer Unabhängigkeit beraubt — zu Handlangern der Macht und zu fürchterlichen Vollstreckern von Unrecht wurden. Unser heutiger Rechtsstaat gehört zum Fundament der Demokratie. Ein Gerichtsurteil darum mit dem Vorwurf zu konfrontieren, mit ihm werde jüdisches Leben in Deutschland unmöglich, ist ein problematischer Umgang mit der Geschichte. Im weitesten Sinne implizit damit auf die Shoah anzuspielen, zielt am Kern der Debatte vorbei.

Das Kölner Urteil ist in seiner distanzierten und abwägenden Haltung selbstverständlich säkular gefärbt. Doch ist der Hinweis, die Religionsfreiheit stehe auf dem Spiel, damit nicht gerechtfertigt. Denn diese Freiheit ist kein absoluter Wert; sie kann nicht geltend gemacht werden, wenn Menschenrechte bedroht oder gar verletzt sind. So ist es ja auch keine Frage von Religionsfreiheit, möglicherweise die Scharia — das religiöse Gesetz des Islam — in ihrer strengen Auslegung hierzulande zuzulassen.

Wer glaubt, hat recht. Und so stehen in der Debatte um die Rechtmäßigkeit der Beschneidung an Kleinkindern hohe Werte auf dem Spiel: unveräußerliche Menschenrechte und grundlegende Glaubensrechte.

Es wird darum gehen, wie Glauben und Glaubensidentität in einer postmodernen und zunehmend säkularen Gesellschaft angemessen gelebt werden können. Auch darum werden wir das Urteil des Kölner Landgerichtes als große Chance begreifen müssen, uns über die Werte unseres Lebens, der Gesellschaft und unseres Glaubens wieder klarzuwerden.

(RP/csi)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort