Hilfsorganisationen im Noteinsatz "Die Menschen in Aleppo brauchen alles"

Düsseldorf · Katastrophen, Krieg und Chaos gehören für die Mitarbeiter des Kinderhilfswerks Unicef oder von Caritas International zum Alltag. Die Lage im syrischen Aleppo stellt aber auch die erfahrenen Helfer vor Herausforderungen.

 Ein Junge wärmt sich in Aleppo an einer Feuertonne. Unicef versorgt die Kinder.

Ein Junge wärmt sich in Aleppo an einer Feuertonne. Unicef versorgt die Kinder.

Foto: Unicef/Ahmed Wail and Rahfi

Zum einen ist auch nach der Rückeroberung Ost-Aleppos durch die Regierungstruppen noch unklar, wie viele Menschen in diesem Teil der Stadt Hilfe brauchen. Zum anderen, weil der Osten der Stadt für Helfer auch weiterhin nicht zu erreichen ist. Die Helfer können von West-Aleppo aus lediglich warten, dass die Menschen bei ihnen ankommen.

Hauptaufgabe der Hilfsorgansiationen ist daher die Versorgung der Menschen, die aus Ost-Aleppo in den Westteil oder das Umland fliehen. Unicef versucht zudem, die Wasserversorgung aufrecht zu erhalten. Mitarbeiter reparieren Leitungen, bereiten Wasser chemisch auf und bringen Wassertanks in entlegene Gebiete. In der aktuellen Situation gelte es aber, so schnell wie möglich bei den Menschen zu sein — um Nahrung und Medizin zu verteilen. Außerdem sei es wichtig zu ermitteln, welche konkreten Hilfen die Familien brauchen, sagt Angela Gärtner, Referentin von Caritas International für Irak und Syrien. Genau wie Caritas International hat auch Unicef während des Bürgerkriegs sein Büro in West-Aleppo nicht geschlossen.

Zu den körperlichen Leiden kommen die seelischen

Unicef ist derzeit mit 19 Helfern vor Ort, die meisten von ihnen sind Syrer. In den kommenden Tagen soll das Team aufgestockt werden. Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen hofft, dass nach der Rückeroberung Ost-Aleppos wieder mehr Hilfe möglich ist. Gleichzeitg gehen die Organisationen davon aus, dass noch Zehntausende Menschen nach West-Aleppo fliehen. Dafür werden mehr Helfer und viele Hilfsgüter gebraucht. Der Osten Aleppos war seit dem Sommer quasi von der Außenwelt abgeriegelt. Lebensmittel gab es dort kaum noch.

Das größte Problem sei der Gesundheitszustand der Menschen, vor allem der Kinder, sagt Ninja Charbinneau, Sprecherin von Unicef in Deutschland. Die meisten Kinder seien stark unterernährt, teils lebensbedrohlich.Unicef sorgt in diesen Fällen für therapeutische Nahrung. So bekommen die Kinder als erste Hilfe die dringend nötigen Nährstoffe und werden wieder ans Essen herangeführt. Im Notfall organisieren die Unicef-Mitarbeiter auch die Behandlung in Krankenhäusern.

Zu den körperlichen Leiden der Kinder kämen die seelischen. Fast alle Kinder, die derzeit zu Hunderten in den Notlager in West-Aleppo und Itlib ankommen, ständen unter Schock. "Unsere Mitarbeiter berichten von Kindern, die nicht mal mehr auf die Frage nach ihrem Namen oder Alter antworten", sagt die Unicef-Sprecherin. Eine Mitarbeiterin habe berichtet, dass einige Kinder hysterisch zu lachen beginnen, wenn sich die Helfer bei Detonationen erschrecken. In diesen Fällen müsse so schnell wie möglich eine psychologische Betreuung beginnen.

"Wir müssen den Kindern ins Leben zurück helfen"

Neben den unmittelbar lebenswichtigen Maßnahmen müsse für die Betreuung der Kinder gesorgt werden. Für sie sei es besonders wichtig, wieder Normalität zu erleben, sagt Bidjan Nashat, Vorstand und Projektleiter von "Save the Children Deutschland". Einige Kinder hätten in ihrem Leben noch nichts anderes als Krieg erlebt. Die Eltern hätten fortwährend unter Stress gestanden, um das Leben der Familie zu sichern. Diese Kinder müssten wieder einen Alltag erleben. Dafür sei Unterricht wichtig.

Deshalb verteilt "Save the Children" in den besetzten Städten und Notlagern Bildungspakete. Mit denen können sich die Kinder sogar gegenseitig unterrichten. "Die Kinder müssen spielen und lernen. Das Lachen kommt dann tatsächlich zurück. Diese Kinder sind keine verlorene Generation, aber wir müssen ihnen ins Leben zurück helfen", sagt Nashat, der selbst regelmäßig Flüchtlingslager im Libanon und Jordanien besucht.

"Save the Children" arbeitet in Syrien mit lokalen Organisationen zusammen. Sie betreuen Familien und Schulen und versorgen die Menschen mit dem Nötigsten. 300 der Helfer sind derzeit noch in Ost-Aleppo. Der Kontakt zu ihnen sei allerdings schwierig. Die Hilfsorganisation ist darauf vorbereitet, dass in den kommenden Tagen Zehntausende Menschen aus Aleppo in Itlib ankommen könnten und versorgt werden müssen. Schulgebäude und Notlager mit Zelten stehen für die Ankommenden zur Verfügung.

Außerhalb der belagerten Städte gibt es noch funktionierende Märkte

Darauf stellen sich derzeit auch die Mitarbeiter von Caritas International ein. "Wir stehen bereit, wenn die Evakuierung aus Aleppo tatsächlich erfolgt", sagt Angela Gärtner. Lebensmittel, Antiobiotika, Schmerzmittel, Verbandsmaterial und Winterkleidung seien nur die wichtigsten Sachen, die die Menschen aus Aleppo nun benötigen würden. "Die Leute brauchen alles. Erstmal geht es für uns um die Basisversorgung", sagt die Caritas-International-Referentin.

Winterkleidung und Haushaltswaren besorgen die Hilfsorganisationen direkt in Syrien. Derzeit seien viele Helfer mit dem Einkauf und der Bestellung der Hilfsmittel beschäftigt. Daher sei die beste Möglichkeit, den Menschen in Aleppo zu helfen, Geld zu spenden. Das Sortieren und Transportieren von Sachleistungen sei viel teurer als in Syrien einzukaufen. Gleichzeitig unterstütze man so die lokalen Händler, sagt die Unicef-Sprecherin. Und Gärtner betont, dass es außerhalb der belagerten Städte in Syrien durchaus noch gut funktionierende Märkte gebe.

Medikamente schicken viele Hilfsorganisationen hingegen nach Syrien. So zum Beispiel die Action Medeor aus Tönisvorst. Im Januar will sie den nächsten Container mit Antiobiotika und Schmerzmitteln an ihre Partnerorganisationen nach Aleppo schicken. "Wir warten auf Grund der unklaren Lage derzeit aber noch ab, was wirklich benötigt wird", sagt eine Sprecherin der Organisation.

(rent)
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