Thomas Oppermann im Interview "Frau Merkel redet Unsinn"

Düsseldorf · Der Chef der SPD-Bundestagsfraktion spricht im Interview mit unserer Redaktion über ein Modell zur Familienarbeit, Kinderfreibeträge und mögliche Machtoptionen für die SPD nach der Bundestagswahl.

 Thomas Oppermann sprach mit unserer Redaktion.

Thomas Oppermann sprach mit unserer Redaktion.

Foto: imago

Thomas Oppermann durchreist gerade NRW. Stationen: der Computerhersteller Wortmann in Hüllhorst/Westfalen, ein Schrebergarten mit SPD-Frauen in Castrop-Rauxel und der Duisburger Oberbürgermeister Sören Link. Auch in unserer Redaktion hat er vorbeigeschaut und die Vorzüge von SPD-Ministerpräsidentin Kraft gepriesen. Sein Kommentar zu den Wahlchancen des CDU-Kandidaten Laschet: "Eher steigt Fortuna Düsseldorf in die Bundesliga auf."

Herr Oppermann, die SPD will beim Modell zur Familienarbeit 150 Euro pro Elternteil extra zahlen, wenn beide ihre Arbeit reduzieren. Warum brauchen wir neue Familienleistungen?

Oppermann Die Familienleistungen sind oft nicht zielgenau genug, das gilt insbesondere für die Kinderfreibeträge, von denen alle profitieren — auch die, die gar keine Unterstützung brauchen. Für Familien ist es grundsätzlich am besten, wenn wir mehr in Bildung und Betreuung für Kinder investieren. Das entlastet Familien am stärksten. Deshalb: Elterngeld, gebührenfreie Kita und Ganztagsangebote sind der wichtigste Beitrag zur Modernisierung des Landes vor dem Hintergrund des demografischen Wandels.

Wenn Sie sagen, Kinderfreibeträge kommen allen zugute, den Reichen wie den Armen, gilt das doch genauso für die gebührenfreie Kita.

Oppermann Das sind zwei grundlegend verschiedene Dinge. Von den Kinderfreibeträgen profitieren besonders die reichen Eltern. Die gebührenfreie Kita muss als Bildungseinrichtung verstanden werden, wo Kinder aller Bildungsschichten von- und miteinander lernen.

Aber was spricht dagegen, dass reiche Familien dafür zahlen und andere eben nicht?

Oppermann Dieses Argument würde auch für Schulgebühren sprechen. Für uns gilt die Devise von Hannelore Kraft: "Kein Kind zurücklassen". Jeder muss in Deutschland einen Schul- und Berufsabschluss machen können. Deswegen sagen wir: Bildungseinrichtungen sollen von der Kita bis zur Hochschule allen frei zugänglich sein. Auch die Gebühren für die Meisterausbildung wollen wir abschaffen. Das Handwerk ist mit 5,4 Millionen Beschäftigten bundesweit der größte Arbeitgeber, hat aber gleichzeitig die größten Nachwuchsprobleme.

Wer zahlt denn die neuen Familienleistungen der SPD?

Oppermann Alle Steuerzahler beteiligen sich an der Finanzierung unseres Gemeinwesens.

Will die SPD mal wieder die Steuern erhöhen?

Oppermann An unserem Steuerkonzept arbeiten wir noch. So viel aber vorab: Wir brauchen mehr Steuergerechtigkeit in Deutschland. Die Union will eine Steuersenkung nach dem Gießkannenprinzip. Das lehnt die SPD ab, weil davon die hohen Einkommen am meisten haben und die niedrigen Einkommen am wenigsten.

Wir fragten aber nach Steuererhöhungen.

Oppermann Wir werden Be- und Entlastungen neu justieren. Dazu gehört, dass wir die Lasten für die unteren und mittleren Einkommen vermindern — ob bei Sozialabgaben oder Steuern, ist noch nicht entschieden. Auf jeden Fall muss für den Staat ausreichend Spielraum bleiben, um für Bildung und eine moderne Infrastruktur sorgen zu können. Im Übrigen können wir nur das verteilen, was vorher erwirtschaftet worden ist.

Werden Sie doch konkreter. Der jetzige Spitzensteuersatz von 42 Prozent greift bereits bei 54.058 Euro. Das ist das Gehalt eines gut verdienenden Facharbeiters. Ist das gerecht?

Oppermann Da greift der Spitzensteuersatz eindeutig zu früh.

Wenn Sie diese Gruppe entlasten, wen wollen sie belasten?

Oppermann Wir denken darüber nach, ob die Reichensteuer von 45 Prozent ab einem Einkommen von 250.000 Euro für Ledige und 500.000 Euro für Verheiratete so bleibt oder in den progressiven Einkommensteuertarif eingearbeitet wird.

Mit der Union geht das wohl nicht. Merkel hat Rot-Grün in NRW so hart angegriffen wie lange nicht mehr.

Oppermann Das zeigt nur, wie nervös Merkel und die CDU sind. Jetzt behauptet sie auch noch, NRW-Innenminister Ralf Jäger sei schuld am Stimmungsumschwung gegenüber den Flüchtlingen. Das ist natürlich Unsinn.

Was hat das mit Steuern zu tun?

Oppermann Gar nichts — Sie haben Merkels Angriffe gegen die SPD angesprochen. Frau Merkel will sich auf dem internationalen Parkett weiter als Flüchtlingskanzlerin feiern lassen und schiebt alle Probleme anderen in die Schuhe. Das ist mir etwas zu billig.

Merkel hat aber auch Milliarden für die Länder und Kommunen locker gemacht ...

Oppermann ... weil Hannelore Kraft und Olaf Scholz sie dazu gebracht haben.

Die SPD hat bei den Wahlen im Saarland einen Rückschlag erlitten. Ist Ihnen die Perspektive auf einen Regierungswechsel abhanden gekommen?

Oppermann Im Gegenteil, wir kämpfen jetzt noch engagierter. Aber es ist klar geworden, dass wir uns nicht für die Vorstellungen anderer Parteien in Haftung nehmen lassen dürfen.

Jetzt suchen Sie anstelle der Linkspartei einen Partner aus der bürgerlichen Mitte. Wäre FDP-Chef Lindner ein solcher Partner?

Oppermann Ich suche keinen Partner. Ich mache für die SPD und niemanden sonst Wahlkampf. Wir wollen stärkste Kraft im Bundestag werden und den Kanzler stellen. Wir können grundsätzlich mit allen koalieren außer der AfD. Aber richtig, die Linkspartei macht sich nicht gerade interessant für uns.

Dann lieber Herrn Lindner von der FDP, die Sie so gern als Partei der Besserverdienenden beschimpfen?

Oppermann Noch mal: Wir machen keine Koalitionsaussage. Die anderen Parteien werden das auch nicht tun. Herr Lindner bemüht sich, nicht länger am Rockzipfel von Frau Merkel zu hängen und Brücken zu anderen Parteien aufzubauen. Das finde ich richtig, denn es gibt bei manchen Themen sicher Überschneidungen. Aber zu einer Koalition ist es noch ein weiter Weg.

Michael Bröcker, Martin Kessler und Julia Rathcke führten das Gespräch.

(RP)
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