Nach der Landtagswahl Thüringen droht eine Wackel-Regierung

Düsseldorf · Die pulverisierte SPD kann sowohl Christine Lieberknecht (CDU) als auch Bodo Ramelow (Linke) zum Regierungschef machen. Politikwissenschaftler Eckhard Jesse schließt Neuwahlen nicht aus. Der Druck auf die Grünen wächst.

Wahl in Thüringen: Entsetzen bei SPD und FDP
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Wahl in Thüringen: Entsetzen bei SPD und FDP

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Denkt man an die merkwürdige Landtagswahl in Thüringen, kommt einem ein Zitat von Bertolt Brecht in den Sinn: "Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen, den Vorhang zu und alle Fragen offen." Die Hälfte der 1,8 Millionen Wahlberechtigten hat von ihrem Recht Gebrauch gemacht - nun bekommen alle Thüringer eine neue Landesregierung. Welche das sein wird, weiß bis auf Weiteres niemand.

Der Chemnitzer Politikwissenschaftler Eckhard Jesse reagierte entsetzt auf die jüngsten Ereignisse und ungeklärten Verhältnisse im Freistaat. Den Spitzenpolitikern von CDU, Linkspartei, SPD und Grünen stehe ein "Himmelfahrtskommando" bevor, sagte Jesse unserer Zeitung. "Man muss sich das mal vergegenwärtigen: die beiden angeblich großen Parteien zusammen bei nur 45,9 Prozent." Jesse zeigte sich verblüfft über die Naivität von Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) und deren Herausforderer, Bodo Ramelow (Linke). Dass beide den Eindruck erweckten, sie könnten eine stabile schwarz-rote beziehungsweise rot-rot-grüne Koalition schmieden, sei absurd. "Beides ginge nicht gut bei jeweils nur einer Stimme Mehrheit im Parlament."

CDU-Regierungschefin Lieberknecht, seit 2009 im Amt, weiß das. Deshalb streckte sie bereits am Tag nach der Wahl Fühler zu den Grünen aus. Jesse sprach sich für eine schwarz-rot-grüne Koalition als "einzig denkbare" aus. Selbst die katholische Kirche in Thüringen rief gestern dazu auf, angesichts der knappen Mehrheiten ein solches Bündnis zu prüfen. Winfried Weirich, Leiter des katholischen Büros Erfurt, hofft nach eigenem Bekunden auf eine stabile Regierungskoalition.

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Gegen eine Regierung von CDU, SPD und Grünen haben vor allem Letztere etwas. Grünen-Spitzenkandidatin Anja Siegesmund und ihre Parteigenossen geben zu bedenken, dass sie in dieser Konstellation rechnerisch nicht wirklich gebraucht würden, weil Christ- und Sozialdemokraten es gemeinsam auf eine Mehrheit von 46 Landtagsmandaten brächten.

Siegesmunds Lieblingsprojekt ist deshalb wohl ein rot-rot-grünes Bündnis unter Führung von Bodo Ramelow. Er könnte 25 Jahre nach dem Mauerfall mit SPD-Hilfe als erster Linken-Politiker Regierungschef eines Bundeslandes werden. Jesse rechnet jedoch damit, dass der politische Druck auf die thüringischen Grünen in den nächsten Wochen sehr stark werden wird, sich dem allgemeinen Wunsch nach großer Stabilität nicht zu versagen und mit CDU und SPD ins Regierungsboot zu steigen. Das Problem wird dann sein, dass etwas zusammen gezwungen würde, was eigentlich nicht recht zusammenpasst. Noch in diesem Jahr muss im Landtag der Haushalt verabschiedet werden. Jesse hält es deshalb für wahrscheinlich, dass eine schwarz-rot-grüne Regierung schnell auseinanderfiele und es bereits 2015 zu Neuwahlen kommt. Diese würden von den Wahlberechtigten jedoch als politisches Armutszeugnis der Verantwortlichen empfunden, sagte Jesse.

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Die Sozialdemokraten in Thüringen wurden vom Wähler doppelt bestraft: Zum einen wegen ihrer unausgesprochenen Bereitschaft, sich einem Ministerpräsidenten der Linkspartei als Juniorpartner anzubieten; zum anderen wegen ihrer fehlenden Klarheit in der Koalitionsfrage. Auch deshalb würden die Sozialdemokraten bei baldigen Neuwahlen aus ihren Fehlern lernen und Farbe bekennen.

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Doch wie auch immer sich die SPD festlegt - Juniorpartner der Linken oder der CDU -, fest steht: Sie wird in ihrer verbliebenen Anhängerschaft Zustimmung verlieren. Die SPD ist eine gespaltene Landespartei. Und Thüringen ist ratlos.

(RP)
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