Tierliebe und Menschenhass "Schade, dass er nicht länger gelitten hat"

Düsseldorf · Radikale Tierrechtler bejubeln Todesfälle von Toreros und Milchbauern – und träumen öffentlich von Selbstjustiz. Ihr Hass, ihre Holocaust-Vergleiche und das verwendete NS-Vokabular alarmieren sogar Veganer und andere Tierfreunde.

 Dieses Foto zeigt eine Szene aus dem Kampf, bei dem Torero Victor Barrio später getötet wurde.

Dieses Foto zeigt eine Szene aus dem Kampf, bei dem Torero Victor Barrio später getötet wurde.

Foto: dpa, apc pro

Radikale Tierrechtler bejubeln Todesfälle von Toreros und Milchbauern — und träumen öffentlich von Selbstjustiz. Ihr Hass, ihre Holocaust-Vergleiche und das verwendete NS-Vokabular alarmieren sogar Veganer und andere Tierfreunde.

Es ist nicht die Hinrichtung der eigenen Ehefrau, die seine Emotionen weckt. Dem gefühlsfeindlichen Regime, dem der Protagonist des Films "Equilibrium" ergeben dient, stellt er sich erst entgegen, als auch ein winselnder Welpe bei lebendigem Leib verbrannt werden soll.

Diese unheilige Verbindung von Tierliebe und Menschenverachtung findet sich nicht nur in einer fiktiven Zukunft sowie in Deutschlands NS-Vergangenheit, sie ist auch in der Gegenwart populär. Jüngst schrieb bei Facebook etwa ein Mann, der frisch verheiratet ist und in einer Reha-Klinik für Krebspatienten arbeitet, zum Tod des Toreros Víctor Barrio (29) in der Arena "Bestens", und: "Leider ist er viel zu schnell und schmerzlos gestorben."

Das ist weit, sehr weit entfernt von Kritik und auch Abscheu über den Stierkampf, wie sie auch eine Kollegin von RP-Online <u>äußert.</u> Was in Spanien schon Strafanzeigen nach sich gezogen hat, sind Auswüchse einer besonderen Art von Tierliebe, deren vegan lebende Anhänger sich "Anti-Speziesisten" nennen. Wer ein Menschenleben gegenüber dem eines Tieres als wertvoller empfindet, macht sich ihrer Ansicht nach des "Speziesismus" schuldig, einer Geisteshaltung analog zu Rassismus oder Sexismus. Sie fordern ein Grundrecht auf Leben und Unversehrtheit für Tiere.

Das sehen sie durch das Tierschutzgesetz nicht gewährleistet, in dem etwa Schlachtung und Tierversuche als ausreichende, wörtlich "vernünftige" Gründe definiert sind, einem Tier "Schmerzen, Leiden oder Schaden zuzufügen". Oft wird Tierquälerei vor Gericht auch tatsächlich behandelt wie Sachbeschädigung. So nachvollziehbar die Kritik daran, an Tiertransporten oder dem "Schreddern" von Küken, die Opposition gegen Stierkampf oder auch die Bemühungen, besonders empfindsame Tiere wie Menschenaffen besser zu schützen — so schnell können "Anti-Speziesisten" zu Menschenhassern werden.

Von wegen "Die Würde des Menschen ist unantastbar"

Denn es bleibt nicht bei der bemerkenswerten, aber eben privaten Prioritätensetzung einer Frau, die bei Tierforum.de offenbart: "Meine Katzen sind mir mehr wert als ein Nachbar. Wiederum ist mir mein Verlobter mehr wert als die Nachbarskatze" — wenn auch nur "genau so viel" wie ihre eigenen.

Andere radikale "Anti-Speziesisten" kündigen im heiligen Zorn den über Jahrhunderte erkämpften Grundkonsens auf, dass die Würde des Menschen unantastbar ist — unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, Religion, geistiger und körperlicher Gesundheit und eben auch Verhalten gegenüber anderen Menschen und Tieren. Im Sprachgebrauch der Radikalen heißen tatsächliche oder vermeintliche Tierquäler "Bestien" oder "Abschaum", gern genutzt wird auch der NS-Kampfbegriff "Untermenschen".

Dabei bleibt in aufgeklärten Gesellschaften auch der schlimmste Verbrecher nicht grundlos immer Mensch — sondern im Bewusstsein, dass die "Entmenschlichung" ihrer späteren Opfer die Untaten von Hitler, Stalin, Pol Pot erst ermöglicht hat. Der Logik der radikalsten "Anti-Speziesisten" zufolge aber ist nicht nur jeder Schlachter, Nutzviehhalter und Fleischesser mitverantwortlich für "Sklaverei" und "Genozid" — quasi als pädagogische Maßnahme werden sie auch flugs entmenschlicht. Entsprechende Äußerungen finden sich zuhauf überall, wo es um böswillig ausgelegte Giftköder geht, aber auch um den Tod von Toreros oder Milchbauern oder um Massentierhaltung generell. Zu diesen "Gelegenheiten" schwelgen radikale Tierfreunde öffentlich auf den Facebook-Seiten aller möglichen Medien in Selbstjustiz-Fantasien und bejubeln Todesfälle — stets auf Basis der angeblichen Gleichwertigkeit von Menschenleben mit jenen von Stieren, Walen, Schweinen, Hamstern, Würmern.

"Verrecken sollen sie alle!"

Diese Minderheit unter den Millionen Tierfreunden ist höchst aktiv, ihre Kommentare sind auf allen Nachrichtenseiten zu finden: Unter einem Artikel von Promiflash.de schreibt etwa eine Frau Schulze, sie finde es "unfassbar", dass ein Menschenleben den meisten mehr wert sei als das eines Tieres. Ein Herr Müller bekräftigt, Tierleben seien sogar "viel mehr wert" als menschliche, weil Tiere "reine Wesen" seien, die keinen "abscheulichen geistigen Dünnschiss" absonderten. Derselbe Herr Müller drückt sodann sein Bedauern darüber aus, dass der Torero nicht "geschädigt bis an sein Lebensende elendig herumvegetieren" muss. Eine Frau Karras, die sich als "ein normal mitfühlender Mensch" einführt und beteuert, für die Hinterbliebenen des Toreros tue es ihr "unendlich leid", stimmt ihm darin zu. Ein Herr Schütte wünscht gleich jedem Zuschauer in Stierkampf-Arenen den Tod: "Verrecken sollen sie alle!" Ein weiterer Nutzer bejammert, es sei schade, dass "man ein solch minderbemitteltes Leben wie das eines Toreros nicht einfach auslöschen darf".

Reaktionen dieser Art ("Spart euch euer Mitleid mit diesem Schwein", "Abschaum") werden zunehmend auch Tierrechtlern unheimlich, die etwa die Arbeit der umstrittenen Tierrechtsorganisation Peta lange gutgeheißen haben. "Menschen werden an den Pranger gestellt und man wünscht ihnen alles, bis hin zum Tod. Sagt mal, geht's noch?", schreibt etwa George Levy Meister (59) aus einer Kleinstadt in Bayern. "Hier zeigen sich faschistoide Züge und Haltungen." Die Antwort der Organisation? Man spreche sich immer gegen Rassismus und Todeswünsche aus, einerseits — grundsätzlich aber reagierten Menschen nun einmal "zu Recht stark emotional".

Meister beklagt, Peta distanziere sich nicht glaubhaft von menschenverachtenden Kommentaren und lösche diese auch nur nachlässig. Für die gute Sache sei das kontraproduktiv. "Aber wer auf diese Missstände hinweist, wird von anderen Nutzern beleidigt und angegriffen."

Manche Kommentare wie jene Fantasie vom "Fröhlichen alljährlichen Menschenschlachten" lässt sich ja auch durchaus als sarkastischer, im weitesten Sinne wertvoller Debattenbeitrag bewerten. Keinen Interpretationsspielraum lässt hingegen die Äußerung desselben Absenders: "Ich bin gerne ein Faschist, was Tierquäler-/killer betrifft." Das aus drei Mitarbeitern bestehende Social-Media-Team von Peta fand nichts Anstößiges daran. Auch Menschen, die versprechen, bei Selbstjustiz gegenüber Tierquälern "wegsehen bzw. applaudieren" zu wollen oder sie gleich selbst Gewalt auszuüben, ernten statt Widerspruch vor allem Likes.

Die Verhältnisse sind klar: Auf den Peta-Post zum Tod des Stierkämpfers haben 900 Menschen mit dem "Haha"-Emoticon reagiert, und der Beliebteste der 1200 Leserkommentare ist eine bittere Klage darüber, dass die Organisation Barrios Tod im Ringen um eine neutrale Formulierung "einen weiteren Grund für das Ende dieser grausamen Tradition" nannte. In seiner Antwort bittet Peta — das 2004 vom Bundesverfassungsgericht davon abgehalten werden musste, eine Ausstellung namens "Der Holocaust auf Deinem Teller" durchzuführen — defensiv, dass sich ihre Fans doch zumindest "nicht öffentlich" über den Tod des Torero freuen mögen.

"Eine der menschenverachtendsten Organisationen Deutschlands", sagt ein Redakteur des Vegan-Magazins

Derlei strategische Positionierung kann man dem Tierschutzverein "Animal-Peace" nicht vorwerfen. Hier sammeln sich die Radikalsten, um mit der Vereinsvorsitzenden Silke Ruthenberg "das wirklich genussvoll zelebrierte Hineinbohren des Horns in das Herz des Toreros" als "Gänsehautmoment für jeden revolutionären Geist" zu feiern. Am Todestag des Toreros hatte sie gleich zwei Postings abgesetzt mit der Einleitung "Tusch! Jubel! Heute ist ein schöner Tag!" Man "verneige" sich vor dem "Held der Freiheit", der den "Verbrecher" "entsorgt" habe und freue sich über ein "gar köstliches und herzerfrischendes" Video der Tötung, das im Internet kursiert. Es ist ihr ernst damit.

Im selben Duktus feierte sie schon den Tod von Milchbauern durch Zuchtbullen und schrieb "Je suis Schwein — Wir sind alle Terroropfer". Den umstrittenen Großbauern Adrianus Straathof nennt sie "Schweinehitler", Geflügeltransporte in Schlachtereien "Deportation ins Vernichtungslager" und Wiesenhof den "Hühner-Daesh" (nach der arabischen Bezeichnung für den IS). Und so weiter und so weiter. Ruthenberg, die der "Spiegel" schon vor 20 Jahren porträtierte, ist Berufsprovokateuse. Mit immer radikaleren Äußerungen hat sie den zu seinen Hochzeiten wohl 30.000 Mitglieder starken Verein heruntergewirtschaftet. Heute hat er nicht einmal 4000 Facebook-Fans.

"Jeder weiß, das sind Spinner", sagt Daniel Schneider (26). Der Tübinger lebt nicht nur selbst vegan, sondern ist der Szene auch beruflich verbunden; er arbeitet als Journalist beim Veganmagazin. "Wer glaubwürdig für Tierrechte eintreten will, darf und kann grundsätzlich nicht menschenverachtend argumentieren", sagt er, und dass der Großteil der Szene diese Auffassung teile, "fast jeder, der sich ernsthaft damit beschäftigt", Millionen Menschen. Die Positionen von Peta empfindet er als provokant, aber vertretbar. "Animal Peace" hingegen nennt er "eine der menschenverachtendsten Organisationen Deutschlands", die mit ihrem "von Hass geprägten Auftreten" dem Tierschutz und der Tierrechtsbewegung massiv schade. Mit diesen Worten hat er den Verein in Artikeln sowie öffentlich bei Facebook bewertet.

Mehr Emotionen = mehr Facebook-Fans

Dass sie im Netz trotzdem so auffallen, liegt daran, dass die Mehrheit schweigt, wenn Radikale Tierliebe zu Menschenhass umdeuten — und so die gute Sache insgesamt diskreditieren. Der Deutsche Tierschutzbund betont klar und deutlich, "Beleidigungen, menschunwürdige Kommentare, Hass und Hetze" verböten sich in jedem Fall, ebenso sei ein "Vergleich von Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit Tierleid keine Option". Um Lösungen zu finden, brauche es den Schritt zur Sachlichkeit. Menschenverachtende Kommentare werden auf ihrer Seite konsequent gelöscht, während Peta die "durchaus nachvollziehbarerweise sehr emotionalen Kommentare" im Zweifelsfall stehenlässt, Androhungen von Selbstjustiz inklusive — "Netiquette" hin oder her.

Das zahlt sich aus: Der um Sachlichkeit bemühte Tierschutzbund hat nur rund 160.000 Facebook-Fans, Peta mehr als eine halbe Million. Das Netz ist nicht deckungsgleich mit der Realität (wo der Tierschutzbund mit 800.000 zu 65.000 zwölf Mal größer ist), aber dort spielt ein wichtiger und wachsender Teil davon. Vielleicht ist die fatale Außendarstellung der Tierrechtsszene ein Symptom dafür, dass die Sachlichkeit insgesamt aus der Mode kommt.

Die selbsternannte Speerspitze der Tierfreunde allerdings wurde von Vordenkern der Szene zur Radikalisierung ermutigt, angeleitet, angestachelt. Der Tierrechtler Helmut Kaplan etwa hatte 2010 zu Protokoll gegeben, er beobachte eine Abstumpfung "und sogar immer öfter regelrechte sadistische Schadenfreude" — auf der Seite von Fleischessern, versteht sich. Deshalb sei man geradezu dazu gezwungen, Holocaust-Vergleiche zu ziehen, weil das "noch aufregt und aufrüttelt". Das werde "mit jedem Tag wichtiger".

(tojo)
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