KSK-Kommandeur Ammon im Gespräch Töten gehört zum Auftrag

Düsseldorf (RPO). Brigadegeneral Hans-Christoph Ammon, Kommandeur des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr in Calw, zur kritischen Lage in Afghanistan, zur Geheimhaltung bei Einsätzen, zum Problem des Tötens, zur schwierigen Nachwuchsgewinnung, zum Idealbild des Kämpfers und zu Frauen als Kommandosoldaten.

Bundeswehr übt Geiselbefreiung
10 Bilder

Bundeswehr übt Geiselbefreiung

10 Bilder

Düsseldorf (RPO). Brigadegeneral Hans-Christoph Ammon, Kommandeur des Kommandos Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr in Calw, zur kritischen Lage in Afghanistan, zur Geheimhaltung bei Einsätzen, zum Problem des Tötens, zur schwierigen Nachwuchsgewinnung, zum Idealbild des Kämpfers und zu Frauen als Kommandosoldaten.

Wo ist das KSK zurzeit im Einsatz?

Ammon: In Afghanistan. Daraus machen wir kein Geheimnis. Wir haben den Auftrag, zum Schutz der deutschen Soldaten direkt und indirekt beizutragen.

Was heißt das konkret? Gehen Sie aktiv gegen die Taliban vor, die die deutschen Soldaten bedrohen?

Ammon: Ja, das ist richtig. Aber mehr möchte ich dazu nicht sagen.

Sie waren selbst mehrfach in Afghanistan, haben unter anderem Kampfeinsätze der internationalen Schutztruppe Isaf koordiniert. Deren heutiger Kommandeur Stanley McChrystal spricht von einem Unentschieden zwischen den Kontrahenten. Wie beurteilen Sie die Entwicklung?

Ammon: Ich bin nicht so vermessen, dass ich General McChrystal widerspreche oder es gar besser weiß. Er ist vor Ort und verfügt über ein umfassenderes Lagebild. Unabhängig davon sehe ich es auch so: Die Lage hat sich speziell im Norden über die letzten zwei Jahre deutlich verschlechtert. Dem gilt es Einhalt zu bieten.

Wäre nicht ein Abzug die einfachere Lösung?

Ammon: Wir haben dort im Auftrag des deutschen Bundestages, also unseres Volkes 2001 eine Aufgabe übernommen, die wir noch nicht zu Ende geführt haben. Wenn wir sie heute abbrechen würden, weil es uns zu sehr schmerzt, dann würden wir die Menschen in Afghanistan in ein Elend zurückstoßen, das vielleicht sogar noch schlimmer ist als das, was sie vor 2001 erleiden mussten. Sie müssen in einer Sicherheit leben dürfen, die es ihnen erlaubt, über ihr Leben selbst zu bestimmen. Da haben wir noch eine Menge zu tun.

Versteht dies die deutsche Öffentlichkeit? Desinteresse wie Ablehnung scheinen groß zu sein. Macht es Sie wütend, wenn in den Augen vieler Bürger "Deutschland sucht den Superstar" ungleich wichtiger ist als zum Beispiel eine Trauerfeier für gefallene Soldaten?

Ammon: Wütend? Nein. Es ist aber manchmal erschwert zu ertragen, mit welchem Unverstand und mit welcher Gleichgültigkeit Teile der Bevölkerung auf das Aufgabenfeld der Soldaten im Einsatz reagieren. Das muss für uns Anlass sein darüber nachzudenken, wie das zu ändern ist. Ich denke, es geht nur durch offene, ehrliche Informationen darüber, was im Einsatzland geschieht und was unsere Soldaten dort zu tun haben. Es hat dramatischer Ereignisse bedurft, um die Denkweise der politischen Verantwortungsträger zu ändern. Aber wir sind 8jetzt auf dem richtigen Weg. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg ist hier an erster Stelle zu nennen. Er hat auch uns Soldaten dazu ermuntert, selbst zur Information der Gesellschaft beizutragen.

Einsatz, das bedeutet stete Lebensgefahr für die Soldaten. Wie gehen Sie als verantwortlicher Vorgesetzter damit um?

Ammon: Zur Klarstellung: Ich bin nicht verantwortlich für die Führung meiner Männer im Einsatz. Das übernimmt das "Kommando Führung Operationen von Spezialkräften" in Potsdam. Ich bin lediglich der Truppensteller und bereite meinen Soldaten auf die Einsätze vor. Ich kann diese Frage aber sehr wohl beantworten: Die Auftragserfüllung steht an erster Stelle. Dennoch weiß ich um meine Verantwortung für die unterstellten Soldaten. Im Fall ihrer Verwundung oder ihres Todes muss ich mich vor ihren Angehörigen, der Gesellschaft und vor Gott rechtfertigen können. Mit dieser Schuld, mit dieser Last muss ich leben können.

Geheimschutz ist für Spezialkräfte wichtiger als für andere militärische Verbände. Irritiert es Sie, wenn über Ausrüstung, Einsätze und Gliederung des KSK inzwischen im Internet scheinbar pikanteste Details nachzulesen sind?

Ammon: Nein. Man schmunzelt über vieles, was sich da finden lässt. Es muss aber nicht alles qualifiziert und richtig sein.

Aber Spezialkräfte umgeben sich doch gern mit einem geheimnisvollen Schleier, oder?

Ammon: Es gibt zwei Bereiche, in denen ich die Geheimhaltung sehr ernst nehme: Einerseits bei der Identität meiner Soldaten, damit sie und ihre Angehörigen vor möglichen Racheakten unter anderem von Terroristen geschützt sind. Das ist auch die Begründung, warum sie bei öffentlichen Auftritten eine Maske tragen müssen. Andererseits bei Operationen, die wir gerade durchführen. Es darf doch zum Beispiel ein potentielles Ziel nicht vorher gewarnt werden. Alles darüber hinaus ist Geheimniskrämerei. Sie wurde früher unreflektiert angewendet und trug zu Legendenbildung und Gerüchten um unser Kommando bei. Dem trete ich energisch entgegen.

Es wurde bislang auch nur als Gerücht gehandelt, dass das KSK unter anderem Kriegsverbrecher im ehemaligen Jugoslawien gefasst und dem Internationalen Gerichtshof übergeben hat. Darf man darüber jetzt sprechen?

Ammon: Ja, das ist kein Geheimnis mehr: Selbstverständlich war das KSK im Balkan eingesetzt, in Bosnien genauso wie im Kosovo.

Sie trainieren auch die Geiselbefreiung. Im Fall der von Piraten entführten "Hansa Stavanger" sollte im Mai 2009 aber die GSG 9 der Bundespolizei tätig werden, obwohl Sie wahrscheinlich besser mit der Deutschen Marine zusammengearbeitet hätten. Wo ist die Trennlinie?

Ammon: Diese Trennlinien werden zurzeit zwischen dem Innen- und dem Verteidigungsministerium neu definiert. Das kommentiere ich deshalb nicht weiter. Damals gab es die klare Festlegung, dass die Bundespolizei für die Befreiung von Geiseln zuständig ist.

Sind Sie als "General Spezialkräfte" der Bundeswehr auch Vorgesetzter der Kampfschwimmer der Marine?

Ammon: Nein, das ist nicht einheitlich organisiert. Wir haben Handlungsbedarf für eine zukunftsorientierte Neuausrichtung. Im Rahmen der gerade eingeleiteten Neustrukturierung der Bundeswehr erhoffe ich mir eine effektivere Lösung.

Interessieren sich genug junge Menschen für diese gefährliche Aufgabe, die noch dazu im Verborgenen geleistet werden muss? Es ist immer wieder von Nachwuchsmangel die Rede.

Ammon: Das Thema begleitet uns, so lange das KSK existiert, also 14 Jahre. Es stimmt: Wir haben seitdem nicht die volle Stärke bei den Kommandosoldaten erreicht. Das liegt am sehr harten Auswahlprozess, dem nur wenige standhalten. Wir rekrutieren unsere Offiziere und Unteroffiziere auf zwei Wegen: Die Bewerber kommen zu 70 Prozent aus der Truppe, die anderen sind Ungediente, die sich über die Zentren für Nachwuchsgewinnung melden und erst einmal drei Jahre zum Feldwebel ausgebildet werden. Erst dann folgt das Eignungsfeststellungsverfahren — hier unterziehen wir die Kandidaten unter anderem fünf Tage lang höchsten Belastungen, um festzustellen, ob sie auch jenseits der Schmerzgrenze noch in der Lage sind, gezielt und kontrolliert Leistung abzurufen. Diese körperliche Fitness und besondere mentale Stärke machen den Kommandosoldaten aus, sie machen ihn zur Elite. Da darf man sicht nicht wundern, wenn nur jeder dritte Bewerber diese Auswahltests übersteht.

Wie muss der ideale Kommandosoldat denn aussehen? Wie der muskelgestählte Superheld in amerikanischen Kriegsfilmen?

Ammon: Es muss ein innerlich gefestigter, sozial integrierter und belastbarer Mensch sein, kein Einzelgänger. Der Satz, er sollte kein Rambo-Typ sein, ist mir zu abgegriffen. Aber es stimmt schon: Genau den brauchen wir nicht. Die harten Anforderungskriterien werden durch die Realität der Einsätze bestimmt. Dafür finden sich geeignete Soldaten eben nur schwer. Deshalb wird es noch vier bis fünf Jahre dauern, bis das Personal-Soll erreicht ist.

Wie lange kann ein Soldat in Ihrem Verband bleiben?

Ammon: Er verpflichtet sich für mindestens sechs Jahre. Er erhält zunächst zwei Jahre Basisausbildung, ob Feldwebel oder Offizier. Danach ist er einsatzbereit, wird aber weiter spezialisiert, zum Beispiel als Fachmann für das Räumen von Sprengfallen. Das dauert wieder zweieinhalb Jahre. Deswegen sind wir daran interessiert, dass die Männer so lange wie möglich bei uns bleiben. Das tun sie auch gerne. Wir haben derzeit intern die Altergrenze bei 41 Lebenjahren festgelegt. Das Durchschnittsalter unserer Kämpfer liegt derzeit bei 34,5 Jahren. Das ist gut so. Denn diese Männer sind nicht tollkühn, sie sind erfahren, entsprechend vorsichtig und können ihr Risiko genau einschätzen. Das ist auch der Grund, warum bis heute kein einziger Soldat des KSK im Einsatz gefallen ist.

Sie schildern Gefahren, Qualen, Entbehrungen. Was reizt den Bewerber, sich beim KSK zu melden?

Ammon: Die Masse der Soldaten ist vom Gedanken beseelt, zu den Besten zu gehören. Sie reizt auch die Vielzahl der zu leistenden Aufgaben. Es ist allerdings ein hartes Leben mit der Gewissheit, im Jahr mindestens viereinhalb Monate im Einsatz zu sein. Dazu kommt die weltweite Ausbildung, so dass die Soldaten im Schnitt sieben von zwölf Monaten nicht zu Hause sind. Das führt zu erheblichen Erosionen im sozialen Gefüge. Wir haben eine deutlich höhere Scheidungsrate als im Durchschnitt der Bundeswehr.

Honoriert die Bundeswehr diese Belastungen entsprechend?

Ammon: Die zusätzlich zum Gehalt gewährte Erschwerniszulage ist 2008 noch einmal deutlich auf knapp 1000 Euro monatlich vor Steuern angehoben worden. Dazu kommen Prämien, zum Beispiel nach Bestehen der Auswahltests. Ab dem siebten Dienstjahr gibt es für die Männer 5000 Euro im Jahr zusätzlich, sofern sie die regelmäßigen Fitnesstests bestehen.

Werden Kommandosoldaten besonders psychologisch betreut?

Ammon: Die hohe Belastung des Verbandes einschließlich der Familien erfordert eine besondere Betreuung. Deshalb haben wir — untypisch in der Bundeswehr - zwei eigene Truppenpsychologen, die zusammen mit unseren Ärzten und zwei Pfarrern sowie einer Sozialpädagogin und einer eigenen Familienbetreuungsstelle ein sogenanntes psycho-soziales Netzwerk bilden. Mit diesem Personal bereiten wir auf Einsätze vor, begleiten sie und betreuen die Rückkehrer — wenn sie wollen, gemeinsam mit Ehefrauen, Lebensgefährtinnen und Kindern. Es geht ja nicht nur um die Themen Tod und Verwundung oder Stressbewältigung, sondern es geht auch um die Frage: Wie bewältige ich das Töten? Denn die Einsätze haben sich verändert: Unsere Soldaten müssen regelmäßig töten. Darum herumzureden, erscheint mir verkehrt. Aber auch diese so hoch belastungsfähigen Männer sind in diesem Punkt keine Maschinen. Sie haben eine sehr empfindliche Seele, die der Hilfe bedarf.

Die Truppe beklagt die langwierigen juristischen Untersuchungsverfahren, wenn sie auftragsgemäß zur Waffe gegriffen hat und fühlt sich beschuldigt, obwohl sie im Auftrag Deutschlands am Hindukusch tätig wird. Läuft da etwas falsch?

Ammon: Gerade das Kommando Spezialkräfte bewegt sich nicht in einem rechtsfreien Raum. Selbstverständlich ist ein Schusswaffeneinsatz dann juristisch zu untersuchen, wenn dabei Unbeteiligte zu Tode gekommen sind. Da darf man nicht zur Tagesordnung übergehen. Insofern müssen wir als Soldaten solche staatsanwaltschaftlichen Untersuchungen ertragen. Sie sind Bestandteil unserer staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung. Die Diskussion ist im Gange, ob es dafür eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft geben sollte oder die Bundesanwaltschaft zuständig ist. Ich denke, dass wir uns nach dem umstrittenen Luftangriff auf die entführten Tankwagen bei Kundus nunmehr in die richtige Richtung bewegen.

Sie kämpfen gegen Terroristen in Zivil, die sich hinter Zivilisten verschanzen. Passen da die Einsatzregeln?

Ammon: Die Diskussionen sind vorbei, nachdem diese Regeln im letzten Jahr neu gefasst worden sind. So durfte ein Aufständischer nicht mehr bekämpft werden, wenn er den Angriff abbrach. Für unsere Soldaten war das schwer verständlich, weil der Taliban dann an anderer Stelle wieder auftauchte und unsere Männer erneut beschoss.

Sie sagen immer "Männer". Denken Sie darüber nach, das KSK auch Frauen zu öffnen?

Ammon: Unser Aufgabenbündel erfordert geschlechtsneutral einen Soldaten, der über eine hohe physische und psychische Stabilität verfügt. Zum Beispiel wiegen wir regelmäßig unsere Männer, bevor sie einen Hubschrauber besteigen, damit sie dessen zulässiges Gesamtgewicht nicht überschreiten. Das Ergebnis: Der normale Kommandosoldat hat, wenn er ins Gefecht geht, ein Gewicht von 140 bis 145 Kilo. Das bedeutet rund 50 Kilo Zuladung, bei Spezialisten sogar bis zu 75 Kilo. Und das begründet, warum sich bisher keine einzige Frau unter unserem Kommandosoldaten befindet. Die Frage ist doch eher: Gibt es bei den Einsatzkräften eine Rolle, wo die spezifischen Fähigkeiten von Frauen gefragt sind? Wir sind dabei, diese möglichen Aufgaben zu definieren. Allerdings ist anzumerken, dass in den Unterstützungskräften, zum Beispiel bei unseren Fernmeldern, bereits heute Frauen erfolgreich ihren Dienst leisten.

Das Interview führte Helmut Michelis

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort