Kurswechsel bei den Grünen Trittin streift Bürgerschreck-Image ab

Berlin · Langsam erholen sich die Grünen von Rückschlägen: Die Partei erreicht in Umfragen jetzt wieder bis zu 16 Prozent. Dafür rückt die Partei von ihrem Kurs ab. Plötzlich wird ein Abbau der Subventionen für Windräder gefordert. Spitzenkandidat Jürgen Trittin streift sein Bürgerschreck-Image ab.

 Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin auf der Plattform eines Windrades an der Küste: Auch Trittin will die Subventionen für Windstrom an Land kürzen.

Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin auf der Plattform eines Windrades an der Küste: Auch Trittin will die Subventionen für Windstrom an Land kürzen.

Foto: dpa

Meistens trägt Jürgen Trittin keine Krawatte, aber für diesen publikumswirksamen Auftritt hat er sich ein grünes Exemplar umgebunden. Der Termin in der Bundespressekonferenz am Dienstag ist gut gesetzt: Zwei Tage, bevor Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) seine neuen Vorschläge zur Begrenzung der Ökostrom-Kosten mit den Umweltministern der Länder besprechen will, preschen die Grünen mit eigenen Vorschlägen vor.

Trittin, die inoffizielle Nummer eins der Grünen im Bundestagswahlkampf, gibt sich neben aller zur Schau gestellten Kampfeslust konstruktiv: Ja, auch die Grünen nähmen die Sorgen vieler Menschen über die steigenden Energiekosten "sehr ernst". Und dann kommt die eigentliche Überraschung: Die Grünen im Bund und in den Ländern seien dafür, die zu hohen Subventionen für Windräder an Land in windreichen Gebieten zu kürzen.

Fast unbemerkt leiten die Grünen damit in ihrem ureigenen Kerngebiet — der ökologisch ausgerichteten Umwelt- und Energiepolitik — einen vorsichtigen Kurswechsel ein. Sie wollen in den kommenden Monaten nicht als sture Verhinderer der Strompreisbremse Altmaiers auftreten. Denn auch die Grünen wissen: Bleibt die Politik hier untätig, drohen in den kommenden Jahren massive weitere Strompreissteigerungen, weil die Vergütungen nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz zu üppig bemessen sind — und der Windstrom-Ausbau seinen Boom erst noch erleben wird.

Konstruktiver Kurs kommt an

Der neue konstruktive Kurs der Grünen auch in der Finanz-, Sozial- und Gesellschaftspolitik kommt bei den Bürgern gut an. Im gestern veröffentlichten ARD-Deutschlandtrend klettern die Grünen im Vergleich zur Vorwoche um einen Punkt auf 16 Prozent und damit auf den besten Wert seit Februar 2012. Auch Trittins persönliche Beliebtheitswerte gehen steil nach oben. Vorbei sind die Bürgerschreck-Zeiten des einstigen Dosenpfand-Umweltministers.

Ein verträgliches Image in eher bürgerlichen Kreisen verleiht den Grünen überdies Trittins Co-Spitzenkandidatin, Katrin Göring-Eckardt. Die besonnene und zurückhaltende Kirchenfrau bildet im Grünen-Wahlkampf ein willkommenes Gegengewicht zum scharfzüngigen Frontmann Trittin, der nach außen gerne den Linken mimt.

Stark sind die Grünen vor allem bei jüngeren Frauen, die sich von den übrigen Parteien, auch von der SPD, zu wenig repräsentiert fühlen. "Wir sind näher am Lebensgefühl der jungen Frauen", glaubt Fraktionsvize Kerstin Andreae. Durch die bei den Grünen seit Jahrzehnten geltende Frauenquote gibt es viele Spitzenfrauen in der Partei. Die Grünen sind strikt gegen das Betreuungsgeld und das Ehegattensplitting — und für den Kita-Ausbau. Ihr Programm entspricht damit der Lebenswirklichkeit junger Mütter.

Schwarz-Grün wird wahrscheinlicher

Die Bürger hielten die Grünen auch daher für kompetent, weil sie keine fantastischen Forderungen aufstellten, sondern diese stets mit wissenschaftlichen Gutachten und durchgerechneten Zahlen unterlegten, sagt Andreae. Eine Forderung nach dem Motto "Rente mit 67 oder Hartz IV abschaffen" würde es bei den Grünen nicht mehr geben.

Auch die schwarz-grüne Option nach der Wahl wird umso denkbarer, je mehr beide Seiten sich in den kommenden Wochen in der Energiepolitik aufeinander zubewegen. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) gelte doch jetzt schon als einer der besten Freunde von CSU-Chef Horst Seehofer und der Bundeskanzlerin, sagt einer aus dem engen energiepolitischen Umfeld von Angela Merkel.

(mar)
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