Kanzlerin unter Druck Ungewöhnliche Koalition für Steuersenkung

Berlin · Ob es in dieser Legislaturperiode noch Steuererleichterungen geben werde – diese Frage war der Bundeskanzlerin vor ihrem Urlaub in ihrer Sommer-Pressekonferenz sichtlich unangenehm. Nun setzen der Sozial- und Wirtschaftsflügel der Union, SPD und Grüne die Kanzlerin unter Druck, den Abbau der "kalten Progression" bald anzugehen.

Das Kabinett Merkel im Check
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Ob es in dieser Legislaturperiode noch Steuererleichterungen geben werde — diese Frage war der Bundeskanzlerin vor ihrem Urlaub in ihrer Sommer-Pressekonferenz sichtlich unangenehm. Nun setzen der Sozial- und Wirtschaftsflügel der Union, SPD und Grüne die Kanzlerin unter Druck, den Abbau der "kalten Progression" bald anzugehen.

Die Kanzlerin beantwortete auf ihrer Pressekonferenz die Frage schmallippig, aber eindeutig: Es gebe in der mittelfristigen Finanzplanung des Bundesfinanzministers, die bis ins Jahr 2018 reiche, "keine Spielräume" für Steuererleichterungen, sagte Angela Merkel. Das klang wie ein Basta.

Eine wachsende Schar von CDU-Politikern will das Basta der Regierungs- und Parteichefin jedoch nicht akzeptieren. Nicht nur Vertreter des Wirtschaftsflügels, sondern auch der Arbeitnehmerorganisation CDA haben Sympathie für den Abbau der "kalten Progression" noch in dieser Legislaturperiode. Denn gerade Bezieher unterer und mittlerer Einkommen können profitieren, würde der Staat nicht mehr heimlich die Steuern erhöhen.

Bekommt jemand mit mittlerem Verdienst eine Gehaltserhöhung von drei Prozent, nimmt ihm der Staat davon wegen des progressiven Steuertarifs ein Gutteil ab — deshalb der Begriff "kalte Progression". Bei hoher Inflation könnte der Arbeitnehmer dadurch am Ende netto sogar weniger in der Tasche haben als ohne die Gehaltserhöhung. Bei niedriger Inflation wie zurzeit ist der negative Effekt zwar deutlich kleiner, doch er verschwindet auch nicht völlig. Jährlich werden die Steuerzahler nach Schätzungen durch die "kalte Progression" mit etwa drei bis sechs Milliarden Euro zusätzlich belastet.

Laumann: Nur dabei, wenn ohne neue Schulden machbar

"Die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft ist auch dafür, noch in dieser Legislaturperiode die ,kalte Progression' zu bekämpfen, wenn dafür die finanziellen Spielräume da sind", sagte CDA-Chef Karl-Josef Laumann. "Die heimlichen Steuererhöhungen gehen zulasten unserer Arbeitnehmer. Wir sind aber nur dabei, wenn das ohne neue Schulden machbar ist. Steuerentlastung auf Kosten der kommenden Generationen ist mit uns nicht zu machen."

Laumann will sich nun mit der Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU über einen gemeinsamen Antrag auf dem nächsten CDU-Parteitag abstimmen. "Wir reden mit den CDU/CSU-Mittelständlern, ob wir auf dem Parteitag im Dezember einen gemeinsamen Antrag zum Abbau der ,kalten Progression' vorlegen. Denn die Interessen des Mittelstandes und der Arbeitnehmer liegen hier eng zusammen", sagte Laumann. "In so einen gemeinsamen Antrag muss aber rein, dass wir das nicht auf Pump machen."

Das ist Wasser auf die Mühlen des Chefs der Mittelstandsvereinigung, Carsten Linnemann. Er will die Basis seiner Partei für den Abbau der "kalten Progression" gewinnen und damit die Parteiführung unter Druck setzen. "Wenn die Union sagt, dass es keine Steuererhöhung geben darf, dann darf es auch keine heimliche geben", sagte der 36-jährige CDU-Politiker aus Paderborn. Landes-, Kreis- und Bezirksverbände sollen einen entsprechenden Leitantrag auf dem Bundesparteitag im Dezember unterstützen. Wenn nun auch die Arbeitnehmerschaft aus der CDA mitmacht — umso besser.

Michelbach: Bis spätestens 2017 braucht es dazu ein Gesetz

Den Druck auf die Kanzlerin erhöhte am Donnerstag auch der CSU-Mittelstandspolitiker Hans Michelbach. "Das Ärgernis der ,kalten Progression' muss beseitigt werden. Bis spätestens 2017 braucht es dazu ein Gesetz", forderte er. "Ich sehe sehr wohl Spielräume für eine Bekämpfung der ,kalten Progression' noch in dieser Legislaturperiode. Und ich kann nur vor einer Blockade im Bundesrat warnen." Sein Appell "richtet sich an alle politischen Kräfte, die Bundeskanzlerin und Herr Seehofer gehören dazu".

Auch SPD und sogar Teile der Grünen wollen die "kalte Progression" bekämpfen. SPD-Chef Sigmar Gabriel hatte schon vor Monaten erklärt, die SPD sei bereit dazu, auch ohne zur Gegenfinanzierung an anderer Stelle Steuern zu erhöhen. "Gabriel sollte bereit sein, mit in die Arena zu gehen", sagte Michelbach. Auch die Wirtschaftspolitiker der Grünen plädieren für die Linderung der heimlichen Steuererhöhungen. "Ich werbe dafür, die ,kalte Progression' abzumildern und untere Einkommen zu entlasten", sagte Grünen-Fraktionsvize Kerstin Andreae.

(jd, mar)
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