Bundeswehr darf Terrorjets abschießen Drückt Ursula von der Leyen alleine auf den Abschussknopf?

Berlin · Die Bundesregierung plant eine Verfassungsänderung, um auf die Entführung von Flugzeugen künftig rechtlich einwandfrei reagieren zu können. Die wichtigsten Aspekte einer prekären Entscheidungssituation.

Dezember 2013: Von der Leyen in Afghanistan
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Die Bundesregierung will die Verfassung ändern, um das Abschießen entführter Terrorflugzeuge zu regeln. Entsprechende Sondierungsgespräche hat der frühere Verteidigungs- und jetzige Innenminister Thomas de Maizière (CDU) bestätigt. Damit will die große Koalition mit ihrer verfassungsändernden Mehrheit durchsetzen, was seit den Anschlägen mit entführten Flugzeugen 2001 in den USA auch in Deutschland immer wieder zu heftigen Kontroversen führte — und bis heute in einer rechtlichen Grauzone verläuft. Wir beantworten die wichtigsten Fragen zum sogenannten Renegade-Fall, also der alarmierenden Situation, dass ein Flugzeug dem regulären Flugverlauf "abtrünnig" (englisch: renegade) und zu einer akuten Gefahr für viele Menschen wird.

Warum will die Regierung handeln?

Weil die Handlungsoptionen in Deutschland seit fast 13 Jahren immer noch rechtlich unscharf sind: Die traumatisierenden Angriffe islamistischer Terroristen auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington mit entführten Flugzeugen hatten auch die damalige rot-grüne Regierung zu einem ersten Anlauf veranlasst, mit einem Luftsicherheitsgesetz den Einsatz der Bundeswehr zur Abwehr derartiger Katastrophen zu ermöglichen. Es wurde vom Verfassungsgericht aufgehoben.

Dürfen auch ganz normale Passagierflugzeuge abgeschossen werden?

Rüstungsflops - von peinlich bis tödlich
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Foto: Bundeswehr

So war es ursprünglich vorgesehen — nach der Devise, dass der Verteidigungsminister dann entscheiden müsse, ob 70 Menschen in einem entführten Flugzeug geopfert werden, um das Leben von 70.000 im voll besetzten Fußballstadion zu retten, das Entführer offenkundig mit einem entführten Jet in eine Flammenhölle verwandeln wollen. Doch das Verfassungsgericht las aus dem Grundgesetz das eindeutige Verbot für den Staat heraus, ein Menschenleben gegen ein anderes abwägen zu dürfen. Das folge aus den ersten drei Grundrechten auf Menschenwürde, Leben und Gleichbehandlung. Etwas anderes gelte lediglich, wenn in einem entführten Flugzeug nur Terroristen säßen.

Ist die Bundeswehr jetzt schon beteiligt?

Ja, rund um die Uhr sind in Wittmund (Niedersachsen) und Neuburg (Bayern) Eurofighter-Piloten startbereit, um binnen Minuten Kurs auf Flugzeuge aufzunehmen, bei denen die Einsatzzentrale in Kalkar Anlass für eine Überprüfung in der Luft sieht. Sie reagieren nicht auf Funkkontaktversuche, dringen in gesperrte Lufträume ein oder kommen vom Kurs ab. Die sogenannten Alarmrotten nehmen Blickkontakt auf, helfen verirrten Piloten zurück auf ihren Kurs oder versuchen, sie entsprechend den Vorgaben der Nato-Luftverteidigung abzudrängen.

Drückt Ursula von der Leyen alleine auf den Abschussknopf?

Es ist zwar sichergestellt, dass die Verteidigungsministerin oder ihr Vertreter, Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), stets erreichbar ist, um über Reaktionen in einem Entführungsfall entscheiden zu können. Die Ministerin erwartet dann eine Empfehlung der militärischen Führung. Doch die rechtliche Basis erscheint verworren. Nachdem das Verfassungsgericht 2006 das Luftsicherheitsgesetz verworfen hatte, stellten sich die jeweiligen Verteidigungsminister darauf ein, in einer Art "übergesetzlichem Notstand" schlimmstenfalls den Abschussbefehl zu geben und dann die politische Verantwortung zu übernehmen. Die Kompetenzen sind aber umstritten.

Was lässt die Verfassung derzeit zu?

Die Verfassungsrichter haben 2006 entschieden, dass auch die Bundeswehr bei einem solchen "Renegade"-Einsatz im Innern lediglich Waffensysteme benutzen darf, über die auch die Polizei verfügt. 2012 kassierten die Richter die eigene Entscheidung und ließen fortan den Einsatz auch "spezifisch militärischer Waffen" zu. Freilich verwies das Gericht auf die klare Formulierung in Artikel 35 über die Unterstützungsleistungen der Streitkräfte bei Naturkatastrophen und schweren Unglücksfällen, wonach nur die gesamte Bundesregierung und nicht eine einzelne Ministerin entscheiden darf. Weil es bei Entführungen aber um Minuten geht, gilt das als nicht praktikabel und soll durch die geplante Verfassungsänderung klargestellt werden — mit klarer Kompetenzzuschreibung zugunsten des Verteidigungsministers und dessen Vertreters.

Welche Befürchtungen sind mit der Änderung verbunden?

Dass damit der Widerstand gegen inländische Militärmissionen unterlaufen wird: "Hier soll ein Einfallstor für Exekutivbefugnisse zum Einsatz der Bundeswehr im Innern unter dem Deckmantel der Terrorabwehr geschaffen werden", befürchtet etwa FDP-Vize Wolfgang Kubicki. Damit schreite die "Militarisierung der Politik der schwarz-roten Koalition weiter voran".

Kann die Regierung mit Rückhalt im Parlament rechnen?

Ja. Auch wenn sich SPD-Verteididungsexperte Rainer Arnold darüber ärgert, dass das Parlament von den Plänen erst aus der Zeitung erfahren hat, erklärt er doch klar: "Es gibt einen kleinen Handlungsbedarf." Dabei gehe es nicht um den ohnehin untersagten Abschuss von entführten Passagierflugzeugen. Doch es sei immerhin denkbar, dass Terroristen Kleinflugzeuge chartern und mit Sprengstoff beladen. Darauf militärisch zu reagieren, könne nach derzeitiger Rechtslage erst nach einer Abstimmung im gesamten Bundeskabinett entschieden werden. "Das ist wirklichkeitsfremd, deshalb müssen wir darüber reden", sagt Arnold.

Kommt es auch auf die Opposition an?

Zunächst kaum, denn die große Koalition verfügt im Bundestag über mehr als 80 Prozent der Mandate. Doch im Bundesrat braucht sie die Grünen, um auch dort die erforderliche Zweidrittelmehrheit zu erreichen.

(may-)
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