Verfassungsgericht Bundesregierung könnte Wahlkampfauftritte verbieten

Karlsruhe/Berlin · Die heftig umstrittenen Wahlkampf-Auftritte türkischer Regierungsmitglieder in Deutschland könnten durch die Regierung verboten werden – das stellten die Richter des Karlsruher Bundesverfassungsgerichts am Freitag klar.

Eine AKP-Wahlkampfveranstaltung im März 2017 in Hessen (Archivbild).

Eine AKP-Wahlkampfveranstaltung im März 2017 in Hessen (Archivbild).

Foto: dpa, brx gfh tba

Die heftig umstrittenen Wahlkampf-Auftritte türkischer Regierungsmitglieder in Deutschland könnten durch die Regierung verboten werden — das stellten die Richter des Karlsruher Bundesverfassungsgerichts am Freitag klar.

Im Rahmen einer abgewiesenen Verfassungsbeschwerde erklärten sie, dass weder das Grundgesetz noch das Völkerrecht ausländischen Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern einen Anspruch gebe, nach Deutschland zu reisen, um amtliche Funktionen auszuüben.

Die Bundesregierung plant auch nach dem Karlsruher Beschluss keine Einreiseverbote. Die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer verwies in Berlin auf die hohe Bedeutung der Meinungsfreiheit. "Was wir von anderen fordern, sollten wir eben selber leben."

Der Streit um den türkischen Wahlkampf in Deutschland und die Nazi-Vergleiche türkischer Politiker schaukelt sich seit Tagen hoch. Die Beziehungen zwischen den Nato-Partnern Deutschland und Türkei sind auf einem Tiefpunkt. Am Sonntag hatte Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan Deutschland "Nazi-Praktiken" vorgeworfen.

Vize-Ministerpräsident Nurettin Canikli wiederholte Erdogans Nazi-Vorwurf am Freitag. Er nannte es "äußerst beunruhigend", dass "die Praktiken der Nazis und des Nationalsozialismus" wieder auftauchten. Dabei hatte sich Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) nach einem Treffen mit seinem Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu Cavusoglu am Mittwoch in Berlin weitere Nazi-Vergleiche verbeten. "Es gibt Grenzen, die man nicht überschreiten darf", warnte Gabriel. Eine Reaktion der Bundesregierung auf den neuen Nazi-Vergleich gab es aber zunächst nicht.

Zudem warf Canikli Deutschland und anderen EU-Ländern "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" vor. Er begründete dies mit der angeblichen Unterstützung, die "allen voran Deutschland, Holland und Österreich" Terroristen zukommen ließen, die in der Türkei Unschuldige ermordeten. Derartige Vorwürfe zielen in der Regel auf die auch in Deutschland verbotene Terrororganisation PKK.

Die türkischen Politiker wollen vor den gut 1,4 Millionen in Deutschland lebenden Wahlberechtigten für eine umstrittene Verfassungsreform werben, über die am 16. April per Referendum abgestimmt wird. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan will seine Machtbefugnisse damit massiv ausweiten. Ob Erdogan selbst einen Auftritt in Deutschland anstrebt, war zuletzt unklar. Bislang sind einzelne Veranstaltungen von den betroffenen Kommunen aus Sicherheitsgründen untersagt worden. Die Bundesregierung selbst wurde aber noch nicht aktiv.

Nun merken die Karlsruher Richter in ihrem Beschluss (Az. 2 BvR 483/17) an, dass Wahlkampf-Auftritte immer von der Zustimmung der Bundesregierung abhängen. Politiker, die hier "in amtlicher Eigenschaft und unter Inanspruchnahme ihrer Amtsautorität" auftreten wollen, können sich demnach nicht auf Grundrechte berufen. Würde ihnen der Auftritt untersagt, sei das eine außenpolitische Entscheidung im Verhältnis zweier souveräner Staaten. Das impliziert, dass ein Verbot nach Auffassung der Richter zumindest keinerlei rechtlichen Bedenken begegnen würde.

Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht sprach mit Blick auf die Entscheidung von "dankenswerter Klarheit". "Die Bundesregierung muss jetzt endlich Farbe bekennen und darf die Bürgermeister von Städten und Gemeinden nicht länger mit dem Problem allein lassen", sagte sie.

"Die Bundesregierung macht bewusst von ihren Möglichkeiten keinen Gebrauch, die Werbung für eine autoritäre Türkei bei uns zu unterbinden. Das ist nun klar", sagte FDP-Parteichef Christian Lindner der "Heilbronner Stimme"(Samstag). "Es ist ein falsches Verständnis von Toleranz, den Gegnern der Meinungsfreiheit Meinungsfreiheit zu gewähren."

Der türkische Sportminister Akif Cagatay Kilic wollte am Freitagabend in der Kölner Innenstadt eine Veranstaltung besuchen. Bei dem Auftritt handele es sich um eine private Veranstaltung, die nicht angemeldet werden müsse, sagte ein Sprecher der Kölner Polizei. Der Vermieter des Saals sagt, ihm sei eine Kulturveranstaltung zugesichert worden. Nach Angaben der Veranstalter werde Kilic eine kurze Rede halten - jedoch nicht über die anstehende Verfassungsreform sprechen.

(isw/dpa)
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