Verfassungsschutzpräsident im Interview Warum können Sie kein WhatsApp-Konto knacken, Herr Maaßen?

Köln · Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen spricht im Interview mit unserer Redaktion über den NSU-Skandal, die AfD und die EM als mögliches Terrorziel. Auf die Frage, ob deutsche Ermittler eine extremistische WhatsApp-Gruppe knacken können, gibt er eine überraschende Antwort.

 Hans-Georg Maaßen wuchs in Mönchengladbach-Rheindahlen auf.

Hans-Georg Maaßen wuchs in Mönchengladbach-Rheindahlen auf.

Foto: dpa, soe fdt

Der Geheimdienstchef hat ein Vorabkommando. Zwei Beamte inspizieren vor dem Termin mit Hans-Georg Maaßen unsere Räumlichkeiten — Fenster, Fluchtwege. Maaßen gehört zu den bestbewachten Beamten im Land. In seiner roten Mappe, die er täglich bekommt, stehen brisante Meldungen. Immer öfter Terrorhinweise. Maaßen ist ein gelassener, freundlicher Typ. Er kommt pünktlich, bestellt einen Kaffee. Wir scherzen über die Borussia aus seiner Heimat Mönchengladbach. Dann wird es ernst.

Sie vertreten einen Geheimdienst, der spätestens seit dem NSU-Skandal mit einem miesen Ruf leben muss. Kein schöner Job, oder?

Maaßen Ich glaube nicht, dass mein Haus einen so schlechten Ruf hat. Laut Umfragen haben über 70 Prozent der Menschen Vertrauen in die Nachrichtendienste. Sie wissen, dass wir leistungsstarke Dienste brauchen. Gerade nach den Anschlägen von Paris und Brüssel ist die Sicherheitslage etwa in Stadien und U-Bahn-Stationen kritischer geworden. Die Menschen verlassen sich darauf, dass wir eine gute Arbeit machen.

Beim NSU-Skandal entstand aber der Eindruck, dass Verfassungsschützer denen zu nahe waren, die sie eigentlich beobachten sollten.

Maaßen Das hat der Untersuchungsausschuss meinem Amt nicht vorgeworfen. Es hätte niemals passieren dürfen, dass Akten vernichtet wurden, aber diese hatten nach allem was wir wissen zumindest nicht unmittelbar etwas mit dem NSU zu tun. Richtig war, dass die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden nicht funktioniert hat. Da sind wir besser geworden, müssen uns aber noch weiter verbessern.

Es gab den wiederholten Verdacht, dass V-Leute die Szene erst stark gemacht haben.

Maaßen Es ist notwendig und im Übrigen auch gesetzgeberischer Wille, dass die Polizei und die Nachrichtendienste V-Leute einsetzen. Das sind aber keine Heiligen und im Übrigen auch gar keine Mitarbeiter von uns. Das sind Leute aus der Szene. Ohne sie hätten wir aber deutlich weniger Informationen. Je größer die Hürden der technischen Auswertung sind, desto wichtiger ist es, verlässliche V-Leute zu haben.

Haben Sie für den Umgang mit V-Leuten etwas gelernt aus den NSU-Erfahrungen?

Maaßen Wichtig ist, dass wir uns potenzielle V-Leute mehrfach gründlich anschauen. Wichtig ist, dass wir jetzt einheitliche Standards haben. Dass eine Landesbehörde, wie vormals in Thüringen, viel Geld ausgibt für Leute, die nicht nur der Szene angehören, sondern den eigentlichen Kern bilden, darf nicht passieren. Aber die Landesämter sind eigenständige Behörden, sie unterstehen nicht dem Bundesamt. Eins ist allen klar, das Instrument der V-Leute muss professionell und verantwortungsvoll eingesetzt werden.

Bei der NPD verzichten Sie nun auf V-Leute, klappt das auch ohne?

Maaßen Abgeschaltet wurden die V-Leute, die auf der Ebene von Bundes- und Landesvorständen Informationen beschafft haben. Die anderen blieben aktiv. Aber natürlich haben wir einen erheblichen Erkenntnisverlust. Im letzten Jahr haben sich die Straf- und Gewalttaten insbesondere gegen Asylbewerber und deren Unterkünfte verfünffacht. Deshalb müssen wir dringend wissen, was die Szene denkt und was sie vorhat. Das ist ausgesprochen schwierig ohne menschliche Quellen.

Und wenn Sie keine Kontaktperson in einer geschlossenen, rechtsextremistisch klingenden Facebook- oder WhatApp-Gruppe haben?

Maaßen Wenn wir konkrete Erkenntnisse haben, dass sich Personen im Internet zu Anschlagsplanungen verabreden, dann können wir eine Quelle hineinspielen oder Überwachungsmaßnahmen nach dem G-10-Gesetz beantragen. Aber außerhalb davon haben wir nicht die Möglichkeiten, die wir gerne hätten.

Sie kriegen eine extremistische WhatsApp-Gruppe nicht geknackt?

Maaßen Bei Meinungsäußerungen, auch bei extremistischen, gibt es keinen Grund für einen Eingriff. Bei der Planung schwerster Straftaten hätten wir eine rechtliche Grundlage, aber die technischen Herausforderungen sind nicht ohne.

Das heißt, wenn sich hier Gefährder in geschlossenen Gruppen über mögliche Anschläge verständigen, bekommen Sie nichts davon mit?

Maaßen Es gibt immer verschiedene Wege, um an Erkenntnisse zu gelangen. Ein Beispiel sind Informationen, die wir von ausländischen Partnern bekommen. Die USA etwa haben eine kluge Wirtschafts- und Sicherheitspolitik betrieben: Nahezu alles, was im Cyber-Raum relevant ist, Router, Hardware, Software, ist amerikanisch. Das erleichtert das Aufbrechen von Kryptosoftware, und das erleichtert die Auslieferung von Daten auf der Grundlage amerikanischen Rechts.

Es geht also nur mit der NSA, wenn wir vor Anschlägen geschützt sein wollen?

Maaßen Wir brauchen die amerikanischen Dienste und andere Partner in der jetzigen Situation ganz besonders, um ein Mehr an Information zu bekommen und ein Mehr an Sicherheit für Deutschland zu gewährleisten.

Und daraus erwachsen dann täglich bis zu vier Hinweise auf angeblich geplante Anschläge? Wie viele waren es heute?

Maaßen Wenn ich gleich an meinen Schreibtisch zurückkehre, liegen dort sicherlich wieder einige solcher Hinweise.

Ist die Fußball-EM in Frankreich dabei auch ein Thema?

Maaßen Derzeit haben wir keine Hinweise auf konkrete Anschlagsplanungen. Aber es gibt ein relativ starkes "Grundrauschen", also eine erhöhte Anzahl von Hinweisen, dass der IS, Al-Qaida oder Al-Nusra Anschläge gegen westliche Ziele begehen wollen. Und wir wissen, dass der IS die EM ins Visier genommen hat. Wir kennen auch die Aufforderungen des IS an Islamisten in Europa, hier Anschläge zu verüben. Dem gehen wir gezielt nach. Die französischen Kollegen sind mit uns und anderen Partnerdiensten hierzu natürlich in einem engen Informationsaustausch.

Gilt die Sorge auch den Public-Viewing-Plätzen?

Maaßen Die Lage ist zwar ernst, aber wir sollten unser normales Leben führen. Wir können U-Bahn fahren, wir können Fußball schauen. Wer etwas Auffälliges sieht, sollte das natürlich immer den Behörden melden.

Wie viele Hinweise bekommen Sie auf Menschen, die sich radikalisieren?

Maaßen Für den Bundesverfassungsschutz kann ich sagen, dass bei unserem Hinweistelefon seit den Anschlägen in Paris und Brüssel deutlich mehr Hinweise auf Radikalisierungsprozesse und Anschlagsplanungen eingehen.

Würde es helfen, wenn in den Moscheen nur noch auf Deutsch gepredigt werden dürfte?

Maaßen Die Sprache ist nicht das Hauptproblem. Es gibt Probleme mit islamistischen, mit salafistischen Gemeinden. Sie sind das Vorfeld der Radikalisierung. Und deshalb haben wir eine Vielzahl unter Beobachtung genommen.

Werden Flüchtlinge umso anfälliger, je länger sie hier auf ihre Verfahren, auf ihre Integration warten müssen?

Maaßen Die allermeisten wollen sich integrieren. Aber es gibt natürlich auch die Enttäuschten, die den Schleusern geglaubt hatten, dass sie hier ein Haus, ein Auto und eine Ehefrau bekämen. Und es gibt die vielen Männer, die in Großeinrichtungen leben, ihre gesellschaftliche Stellung verloren haben und nicht wissen, was sie tun sollen. Da entsteht mitunter auch Frust und Gewaltbereitschaft. Diese Personengruppe könnte uns mittelfristig Probleme bereiten. Für sie drängt die Zeit für die Integration, um eine Radikalisierung zu verhindern.

Wie viele Gefährder waren unter den im letzten Jahr gekommenen Flüchtlingen?

Maaßen Etwas mehr als zehn. Zwei der Attentäter von Paris kamen als Flüchtlinge, zwei Festnahmen in Salzburg geschahen durch unsere Erkenntnislage, eine Festnahme in Attendorn, wir wissen von drei Aufnahmen in Ulm und dann haben wir noch ein paar weitere auf dem Radarschirm.

Ist der Links- oder der Rechtsextremismus gefährlicher?

Maaßen Gefährlich ist vor allem die steigende Gewaltbereitschaft, und das gilt für rechts wie für links. Im letzten Jahr hat es in diesen Bereichen eine enorme Zunahme der Gewalttaten gegeben: Im Linksextremismus um über 60 Prozent und im Rechtsextremismus um über 40 Prozent. Die Zahl der gewaltorientierten Linksextremisten ist anhaltend hoch, die Zahl der gewaltorientierten Rechtsextremisten ist im letzten Jahr deutlich von 10.500 auf über 11.800 gestiegen. Linksextremisten begehen in hohem Maße Gewalttaten gegen Polizeibeamte und gegen Rechtsextremisten. Rechtsextremisten wiederum begehen vor allem Gewalt gegen Migranten.

Ist die AfD eine verfassungsfeindliche Partei?

Maaßen Die AfD ist aus unserer Sicht derzeit keine rechtsextremistische Partei. Wir sehen keine Anhaltspunkte, dass die Partei die Voraussetzungen erfüllt, um Beobachtungsobjekt des Bundesverfassungsschutzes zu sein. Wir schauen uns aber an, ob Extremisten in die AfD oder in andere Parteien hineinwirken und diese rechtsextremistisch beeinflussen.

Wie viele sind es in der AfD?

Maaßen Da wir die AfD nicht beobachten, gibt es darüber keine Zahlen. Wir schauen uns Personen nicht wegen ihrer AfD-Mitgliedschaft sondern wegen ihrer rechtsextremistischen Bestrebung an.

Auch unter Funktionsträgern?

Maaßen Wir beobachten die AfD nicht.

Und was Herr Höcke da so sagt, ist alles verfassungsgemäß?

Maaßen Es bleibt dabei: Nicht jede Äußerung eines Politikers, die radikal ist oder die Grenzen der Meinungsfreiheit antastet, begründet die Zuständigkeit des Verfassungsschutzes.

Soll der Verfassungsschutz nicht auch den Anfängen wehren?

Maaßen Sicher. Unser Auftrag ist, zu beobachten, ob eine Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung besteht. Das sehen wir bei der AfD derzeit nicht. Wir sind aber nicht die Hilfstruppe der etablierten Parteien, wir können nicht der Konkurrenzschutz in einer Frage sein, die als politische Auseinandersetzung über Positionen geführt werden muss. Das gilt nach links wie nach rechts. Soweit Politiker sich in strafrechtlich relevanter Weise äußern, ist das eine Sache für die Polizei und die Gerichte.

Michael Bröcker, Martin Kessler und Gregor Mayntz führten das Interview.

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