Eugen Brysch im Interview "Verlierer im System sind die Alten"

Der Vorsitzende der Deutschen Stiftung Patienten-Schutz, Eugen Brysch, sprach mit unserer Redaktion über die Versorgung alter Menschen, Pflege und Patientenrechte.

 Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patienten-Schutz fordert eigene Behörden für Senioren.

Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patienten-Schutz fordert eigene Behörden für Senioren.

Foto: Deutsche Stiftung Patientenschutz

Wie viel Geld muss aus Ihrer Sicht für eine Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffs und damit für die Versorgung der Demenz-Kranken ausgegeben werden?

Brysch Wir alle müssen uns darüber im Klaren sein, dass Pflege in Zukunft teurer wird. Realistisch ist, dass mindestens vier Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich investiert werden müssen, um allein den demenziell Erkrankten eine bessere Hilfe zu geben. Darunter wird es nicht zu machen sein. Seit 18 Jahren schiebt die Politik die offenen Fragen vor sich her. Weder sagt der Bericht des Pflegebeirats etwas über die jährlichen Mehrkosten, noch warum Demenz-Kranke und Menschen mit geistiger Behinderung finanziell unterschiedlich behandelt werden. Diese Schnittstelle im Leistungsrecht ist bis heute nicht definiert.

Sehen Sie außer bei den Demenz-Kranken Versorgungslücken in der Pflege?

Brysch Ja, viele, auch bei Menschen, die nicht demenziell erkrankt sind. Im Alltag erleben wir oft, dass alte Menschen zu viele und die falschen Medikamente bekommen. Die Facharztversorgung in Pflegeheimen ist häufig mangelhaft. Die Behandlungsleitlinien bei Diabetes, Bluthochdruck und Schmerzen werden zu selten angewandt.

Die Pflegenoten haben sich als Flop erwiesen. Wie wollen Sie die Qualität ermitteln?

Brysch Wir haben genug Kriterien, an denen wir die Qualität von Pflege tatsächlich erkennen können. Dazu zählen die Vorsorge vor Stürzen und Wundliegen, die Zahl der Krankenhauseinweisungen, die Sorgfalt bei der Medikamentengabe, die Qualität der Ernährung. Um diese Kriterien zu dokumentieren, bedarf es keines großen bürokratischen Aufwands. Damit kann man aber Qualität messbar machen. Es braucht aber den politischen Willen, dieses wichtige Thema nicht den Krankenkassen, Ärzten und Pflegeanbietern zu überlassen. Ein unabhängiges Gremium wäre notwendig, aber das will Bundesgesundheitsminister Bahr nicht.

Brauchen wir ein Pflege-Qualitätsgesetz?

Brysch Zurzeit lohnt sich schlechte Pflege leider. Wer gute Pflege anbietet, hat ökonomisch nichts davon. Daher brauchen wir eine neue Regelung, wonach schlampige Pflege finanziell sanktioniert wird. Es muss ein wirtschaftliches Risiko sein, Menschen schlecht zu pflegen.

Können Sie ein Beispiel geben, warum sich schlechte Pflege lohnt?

Brysch Ja. Eine alte Dame hat Pflegestufe 1 und lebt in einem Pflegeheim, sie stürzt und kommt mit einem Oberschenkelhalsbruch ins Krankenhaus. In der Regel wird sie danach nicht in die Reha entlassen, sondern kommt wieder ins Pflegeheim und erhält die Pflegestufe 3, was für das Heim mehr Einnahmen bedeutet. Diese Mechanismen müssen wir überwinden.

Reichen dafür Sanktionen?

Brysch Nein, es müssen auch klare Vorgaben über die Größe des Personalschlüssels für Pflegeheime gemacht werden. Und vor allem bedarf es guter Kontrollen, ob die Vorgaben zu Personal und Qualität auch eingehalten werden.

Welche positive Wirkung erwarten Sie von dem neuen Patientenrechtegesetz?

Brysch Offen gesagt, keine. Wir brauchen ein Patientenrechtegesetz, das Augenhöhe herstellt zwischen Patienten einerseits sowie Ärzten und Krankenkassen andererseits. Das gelingt mit dem Gesetz, das die Bundesregierung gemacht hat, leider nicht. Beispielsweise wäre eine generelle Beweislastumkehr dringend notwendig gewesen, um Augenhöhe herzustellen. Damit hätten Ärzte und andere Leistungserbringer im Fall von Kunstfehlervorwürfen belegen müssen, dass sie keinen Fehler gemacht haben. Nun müssen weiterhin die Patienten die Fehler nachweisen.

Gesundheitsminister Bahr sagt, dass die Umkehr der Beweislast zu einer Medizin der Risikovermeidung geführt hätte. . .

Brysch Bravo! Genau das wollen wir ja. Unser Problem ist ja nicht, dass zu wenig operiert wird. Im Gegenteil: Es kann nicht sein, dass für Todkranke die Quälerei mit immer neuen Operationen und Eingriffen immer weiter geht. Sie brauchen vielmehr eine gute Altersmedizin und Pflege.

Ist es keine Verbesserung, dass Patienten ihre Krankenakten auf Verlangen umgehend einsehen und erhalten können?

Brysch Ich gehe davon aus, dass die Ärzte bei diesem Thema weiterhin auf Verzögerungsstrategie setzen. Ärgerlich ist zudem, dass es nun noch nicht einmal den versprochenen Härtefallfonds gibt. Das neue Gesetz ist nur ein Sammelsurium der aktuellen Rechtsprechung.

Hilft es, dass die Patienten selbstbewusster sind als früher?

Brysch Uns geht es nicht um die Jungen und Starken, die im Zweifel tatsächlich ihre Rechte durchsetzen können. Die Verlierer in diesem System sind die Alten und die Gebrechlichen. Ein 80-Jähriger, dessen Frau ein Schwerstpflegefall ist, ist oft völlig hilflos. Noch schlimmer sind alte Menschen dran, die niemanden mehr haben, der für ihre Rechte und für ihre gute Versorgung kämpft.

Wo sehen Sie den Ausweg?

Brysch Wir sollten bei der Betreuung alter Menschen ähnliche Wege gehen wie in der Jugend- und Familienarbeit. In allen Kommunen gibt es Jugendämter. Warum gibt es keine Anlaufstellen für Senioren in Not? In einer älter werdenden Gesellschaft werden wir über die Einrichtung solcher Stellen diskutieren müssen, die auch aktiv eingreifen, wenn sich ein alter Mensch nicht mehr selbst helfen kann.

(qua)
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