Gastbeitrag Versöhnen statt spalten

Düsseldorf · Wenn der Horizont brennt, vertraute Strukturen zerfallen und, wohin man auch sieht, die Zentrifugalkräfte überhandnehmen, braucht es einen kühlen und ruhigen Kopf: Frank-Walter Steinmeier.

 Der Autor war von 1998 bis 1999 neun Monate lang Chef des Bundeskanzleramtes und damit Steinmeiers Vorgänger in diesem Amt.

Der Autor war von 1998 bis 1999 neun Monate lang Chef des Bundeskanzleramtes und damit Steinmeiers Vorgänger in diesem Amt.

Foto: End

Professor Eckhard Nagel, langjähriger Freund und Transplanteur seiner Niere an die schwerkranke Ehefrau, bescheinigte ihm zum 60. Geburtstag eine "ruhige Seele". Auch im privaten Umfeld sei es quasi ausgeschlossen, mit Frank-Walter Steinmeier überkreuz zu kommen, ohne am Ende ein Vorurteil los zu sein. Das sei eben einer, der Probleme löst, wenn andere noch alles tun, sie zu verschärfen.

Ich lernte ihn im Umfeld Gerhard Schröders kennen, als dieser noch Ministerpräsident in Niedersachsen war. Nahe kamen wir uns im Kanzleramt, wo ich als "Minister mit besonderen Aufgaben" manches mit politischem Eifer (ich hielt es für Schwung) betrieb, was er lieber in Besonnenheit und Geduld reifen ließ und dann erst zur Entscheidung brachte. Wie im Fotografischen gibt es auch im Politischen die einen, denen durchaus ein Schnappschuss gelingt, und die anderen, die ihr Motiv ins Auge fassen, die Lichtverhältnisse überprüfen, ruhig Blende und Schärfe einstellen und mit dem Stativ arbeiten.

"Versöhnen statt spalten" ist menschlich wie politisch sein Prinzip. Ein Mann mit Eigenschaften also, unergiebig für tänzelnde Journalisten, die immer die Homestory suchen oder persönliche Intentionen ausleben. Unergiebig auch für Gladiatorenkämpfe in den Talkshows, wo abwägendes Denken als Regelverstoß gilt, aber ein Schwergewicht auf dem Feld globaler Krisen-Diplomatie. Alle dort wissen, dass er sich nicht über den Tisch ziehen lässt. Viele kommen ihm weiter entgegen, als sie sich selbst zugetraut hätten, denn alle spüren, dass er ihnen gute Motive unterstellt, sogar gegen besseres Wissen.

Kein charakterloser Apparatschik und kein posierender Moralist und - man denke! - auch deshalb einer mit breiter Zustimmung der Bevölkerung. Wenn der Horizont brennt, vertraute Strukturen zerfallen und, wohin man auch sieht, die Zentrifugalkräfte überhandnehmen, braucht es einen kühlen und ruhigen Kopf. Einen, der den Überblick behält. Einen, der sich nicht ins ideologische Bockshorn jagen lässt. Einen, der Gräben schließt und Brücken baut.

Bundeskanzlerin Angela Merkel zierte sich, denn längst ist Wahlkampf, da haben es gute Ideen schwer, wenn sie von der Konkurrenz vorgeschlagen werden. Andererseits ist es ihre Pragmatik, die ihr seit 16 Jahren hohe Zustimmungswerte beschert. Auch Gutes zulassen ist eine gute Tat.

Am 12. Februar 2017 fällt die Entscheidung. Am Morgen danach gibt es allerdings ein böses Erwachen, denn dann fehlt plötzlich ein guter Außenminister, und der kann mehr Schlimmes verhindern als ein Präsident Gutes tun.

(RP)
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