Breite Zustimmung für Atomausstieg Viel Pathos und noch mehr Spott

Berlin (RPO). Pathos auf der einen, Spott auf der anderen Seite: So schnell können sich alte Fronten auflösen. Eine ganz große Koalition formierte sich am Donnerstag im Bundestag in der Debatte um das schwarz-gelbe Gesetzespaket zur Energiewende: Die Ära der Atomkraft in Deutschland soll in gut zehn Jahren enden.

Gewinner und Verlierer des Atomausstiegs
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Foto: dapd

Damit endet auch eines der heikelsten Streitthemen der Republik. Und in einer der letzten Debatten geht es noch einmal um neue Einsichten und alte Überzeugungen, um Ehrlichkeit und Opportunismus, um den Willen zum Konsens und die Notwendigkeit der Abgrenzung.

Für Kanzlerin Merkel ist der Ausstieg eine argumentative Gratwanderung, schließlich hatte sie erst im Herbst die Verlängerung der Akw-Laufzeiten nach dem rot-grünen Ausstiegsbeschluss von 2001 durchgeboxt. Ein "Irrtumsbereinigungsgesetz" seien die Regierungsvorlagen, spottet SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier.

"Sie können sich doch hier nicht hinstellen als Erfinderin der Energiewende in Deutschland", ruft er Merkel zu. "Das zieht einem doch die Schuhe aus."

Die Kanzlerin behält ihr Schuhwerk im Plenum sicher an den Füßen - dass sie aber in ihrer Regierungserklärung tatsächlich einen Irrtum zu bereinigen hat, ist ihr wohl klar. "So sehr ich mich auch für die Verlängerung der Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke eingesetzt habe: Fukushima hat meine Haltung zur Kernenergie verändert", sagt Merkel. "Ich habe eine neue Bewertung vorgenommen."

Merkels Regierung greift im Plenum bisweilen zum Pathos, um den Sinneswandel zu erklären. Die Reaktorkatastrophe in Japan sei eine "neue Menschheitserfahrung", sagt Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU). Nicht weniger als eine "nationale Pioniertat" sei der Ausstieg.

Röttgen fordert die Opposition auf, sich durch die Zustimmung zu Merkels Plänen "in den Dienst der Fortentwicklung der Gesellschaft" zu stellen. Es sind große Worte, welche den Atom-Schwenk der Koalition ganz klein aussehen lassen sollen.

Die Opposition feixt. Ihre gute Laune stützt sich auf die Gewissheit, all jenes, was Merkels Regierung nun als neue Erkenntnis anpreist, doch schon seit Jahrzehnten verfolgt zu haben. "Willkommen, gnädige Frau, im 21. Jahrhundert", ruft Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin. Merkels Atomwende sei "spät, aber richtig".

Linksfraktionschef Gregor Gysi wirft der Regierung angesichts ihrer Kehrtwende "Dreistigkeit" vor. Seine Partei lehnt Merkels Pläne ab, weil ihr das Jahr 2022 als Ausstiegsdatum zu spät ist.

Grundsätzlichen Widerspruch gegen den Ausstieg gibt es im Bundestag nicht - wohl aber Abstufungen beim Enthusiasmus über das bevorstehene Atom-Ende. FDP-Chef Philipp Rösler verkneift sich jedes Pathos. Er spricht nüchtern von den wirtschaftlichen Chancen der erneuerbaren Energien, von Versorgungssicherheit und bezahlbarem Strom. Rösler weiß, dass in seiner Fraktion Abgeordnete sitzen, denen der Ausstiegsbeschluss zu schaffen macht.

Während Merkel die schnelle Abschaltung älterer Meiler begründet, klatschen zwar auch Parlamentarier der Opposition, nicht aber einige führende Liberale.

Bereits am 30. Juni soll der Bundestag endgültig über den Atomausstieg entscheiden, am 8. Juli soll der Bundesrat abstimmen. Die SPD will dem Ausstieg im Grundsatz zustimmen, fordert aber Nachbesserungen bei der Förderung der erneuerbaren Energien. Die Grünen wollen ihr Abstimmungsverhalten am 25. Juni auf einem Sonderparteitag festlegen.

(AFP/pes-)
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