Debatte um Sterbehilfe Viele Ärzte für assistierten Suizid

Berlin · Entgegen der offiziellen Meinung von Ärzteverbänden wünschen sich Palliativmediziner eine offene Diskussion in der Sterbehilfe-Debatte.

Debatte um Sterbehilfe: Viele Ärzte für assistierten Suizid
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Ärzte, Schwestern und Pfleger wollen offenbar im Extremfall Sterbenden beim Suizid helfen. Eine bislang unveröffentlichte Umfrage unter 274 Palliativmedizinern in Nordrhein-Westfalen kommt zu dem Ergebnis, dass das von den Fachverbänden offiziell vertretene Verbot jeder Sterbehilfe durch Ärzte von der Basis nicht geteilt werde. Nach Angaben des Arztes Matthias Thöns vom Palliativnetz Witten sprachen sich 61,7 Prozent aller teilnehmenden Palliativexperten gegen ein Sterbehilfe-Verbot aus.

Die Bereitschaft zu einer Suizidassistenz ist demnach umso größer, je mehr das Leiden eines Sterbenden mit dem eigenen Umfeld eines Befragten zu tun hat. "Höchste Zustimmung zur Vereinfachung der Sterbehilferegeln gab es bei den Palliativexperten, die selbst schwer krank waren oder die das Sterben eines Familienangehörigen als leidvoll empfunden haben", sagt Thöns, der die Befragung leitete. Die Mehrheit (54,7 Prozent) von ihnen sei bereit, selber bei einer Selbsttötung zu helfen.

Der Bundestag will bis Herbst nächsten Jahres die Sterbehilfe in Deutschland gesetzlich neu regeln. Dazu liegen aus dem Kreis der Abgeordneten parteiübergreifend bislang fünf Entwürfe vor. Drei wollen die organisierte Sterbehilfe mit unterschiedlicher Intensität unterbinden, einer möchte sie generell zulassen, ein weiterer den Ärzten die Möglichkeit einräumen, freiwillig in Ausnahmesituationen und unter bestimmten Voraussetzungen die Sterbehilfe vornehmen zu dürfen.

Der dritte, nach Bundestagsvizepräsident Peter Hintze (CDU) benannte Ansatz fand in der Befragung unter den NRW-Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) mit 50,7 Prozent die größte Unterstützung. Hinter dem generellen Sterbehilfe-Verbot für Ärzte, wie es von der DGP und Ärzteverbänden gefordert wird, standen dagegen nur 38,3 Prozent der Umfrage-Teilnehmer. Grundsätzlich erlaubt sein sollte die Sterbehilfe nach Ansicht von 6,2 Prozent der Befragten. Gegen ein Sterbehilfeverbot stimmten die DGP-Mitglieder zu 63,9 Prozent, wenn sie selbst im Familienkreis das Leiden eines Sterbenden erlebt hatten. Unter dem Pflegepersonal waren es 66 Prozent und unter den DGP-Mitgliedern, die selbst schwer krank waren, 66,7 Prozent.

Die Initiatoren der Umfrage sind enttäuscht darüber, dass einschlägige Fachzeitschriften wie das Ärzteblatt den wissenschaftlichen Artikel über die Ergebnisse der Befragung ohne das übliche Gutachterverfahren ablehnten. Sie haben nach Angaben von Thöns den Verdacht, dass "Andersdenkende zum Schweigen" gebracht werden sollen.

Die neue Umfrage bestätigt und präzisiert den Trend einer Bochumer Untersuchung. Anfang des Monats hatten Medizinethiker der Ruhr-Universität Bochum darauf hingewiesen, dass von bundesweit 734 befragten Ärzten nur 25 Prozent ein Sterbehilfe-Verbot für Ärzte befürworteten, 34 Prozent dieses ablehnten und 41 Prozent unentschieden seien.

Nach Ansicht von Hintze zeigt das Ergebnis der NRW-Umfrage, "dass die Verbandspräsidenten irren, wenn sie den Ärzten mit Verweis auf die Meinung des eigenen Berufsstandes Gewissensfreiheit bei der Suizidassistenz absprechen". Je näher Menschen am Leid anderer Menschen seien, desto mehr setzten sie sich für Selbstbestimmung auch am Lebensende als Kern der Menschenwürde ein. Hintze begrüßte im Gespräch mit unserer Zeitung, dass die Umfrage nun für Klarheit sorge. "Ich hoffe sehr, dass die Ärztekammern und der Bundestag den Mehrheitswillen von Bevölkerung, Ärzten und Pflegefachkräften beachten", betonte der CDU-Politiker.

Nach einer im November gestarteten Umfrage des Instituts Infratest dimap lehnen nur zwölf Prozent der Deutschen die Sterbehilfe grundsätzlich ab. Dagegen wollen 46 Prozent die Beihilfe zur Selbsttötung erlauben, weitere 37 Prozent auch die aktive Sterbehilfe legalisieren. Nach dem derzeit geltenden Recht ist Hilfe bei der Selbsttötung nicht verboten. Allerdings haben neun Landesärztekammern ein berufsrechtliches Verbot ausgesprochen.

(may-)
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