Viktor Orbán bei Helmut Kohl Die Sphinx aus Oggersheim

Düsseldorf · Auf seine alten Tage schaltet Helmut Kohl sich noch einmal in die Politik ein. Heute ist der umstrittene ungarische Präsident Viktor Orbán bei ihm zu Gast. Die beiden sind alte Freunde. Doch es geht um mehr.

 Eine Aufnahme aus dem Jahr 2002 zeigt Helmut Kohl und Viktor Orbán in jugendlich anmutender Frische.

Eine Aufnahme aus dem Jahr 2002 zeigt Helmut Kohl und Viktor Orbán in jugendlich anmutender Frische.

Foto: dpa

Orbán betrat das Wohnhaus Kohls im Stadtteil Oggersheim gegen Mittag mit einem großen Blumenstrauß. Polizeiwagen riegelten das Haus des Altkanzlers hermetisch ab. Immerhin hatte sich die örtliche Antifa angekündigt. Der Aufruhr illustriert nur zu gut, dass das Treffen weitaus mehr ist als ein privater Austausch zweier Politiker. So formulierte es bislang Kohls Büro. Schon seit dem Bekanntwerden Anfang April wird es als Signal an Kanzlerin Merkel gedeutet.

Orbán ist in Europa so etwas wie die Antipode zur Willkommenskanzlerin. Mit Stacheldrahtzäunen an den Grenzen und seinem rigiden Abschottungskurs gegen Flüchtlinge verkörpert er wie kaum ein Zweiter die Rückkehr zur nationalstaatlichen Politik in der EU.

Entsprechend werten Merkels Kritiker das Treffen dankbar als Seitenhieb auf die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin. Der Berliner "Tagesspiegel" hatte am Wochenende aus dem Vorwort zur ungarischen Ausgabe von Kohls Buch "Aus Sorge um Europa" zitiert, in dem der Altkanzler die Grenzöffnung für Flüchtlinge thematisiert. "Die Lösung liegt in den betroffenen Regionen. Sie liegt nicht in Europa. Europa kann nicht zur neuen Heimat für Millionen Menschen weltweit in Not werden", schrieb er.

Auch wenn Kohl darin seine Nachfolgerin nicht beim Namen nennt, galt die Passage Beobachtern und Politikdeutern als Verweis auf Merkels einsame Entscheidung vom September 2015. Damals lud die Kanzlerin über Nacht in Ungarn festsitzende Flüchtlinge zur Weiterreise nach Deutschland ein, ohne sich auf europäischer Ebene abzusprechen. Sie begründete dies stets als Reaktion auf eine humanitäre Notlage.

Zudem betonte Kohl in seinem Buch seine Freundschaft mit Orbán. Tatsächlich verbindet die beiden eine lange gemeinsame Geschichte. Im Sommer 1998 kam es zu einem für beide prägenden Moment. Damals hatte Orbán mit seiner Fidesz-Bewegung überraschend die Wahlen in Ungarn gewonnen. Als Politikanfänger stellte er sich daraufhin bei Kohl vor und bat ihn um Rat. Er haben Fragen eines "politischen Grünschnabels" gestellt, erinnerte sich Orbán später. Jetzt zählt er sich "zu den Schülern von Helmut Kohl". Der umschmeichelte Altkanzler unterstützte Orbán daraufhin 2002 offen im Wahlkampf, später pries er ihn als großen Europäer. Bei CDU-Parteitagen wurde Orbán regelmäßig als Gast begrüßt.

Ohne öffentlich ein Wort zu sagen, hat Kohl damit eine Debatte ausgelöst, wie das Treffen und sein Vorwort zu verstehen sind.

FDP-Chef Christian Lindner wertete die Andeutungen als klares Signal an die CDU. "Offenbar wünscht sich der Kanzler der Einheit ein konservativeres Profil seiner Partei, eine stärker kontrollierte Flüchtlingspolitik und ein Ende der deutschen Alleingänge", sagte Lindner der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Er halte es dennoch für problematisch, dass er dafür einem Politiker eine Plattform biete, der wieder in nationalen und nicht europäischen Kategorien denke.

Helmut Kohl stellt neues Buch "Aus Sorge um Europa - Ein Appell" vor
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Die Zwischentöne lassen aufhorchen

SPD-Generalsekretärin Katarina Barley rief Kohl auf, seinen Einfluss auf Orbán zu nutzen und für europäische Solidarität zu werben. "Europa darf sich nicht weiter spalten lassen", sagte Barley dem Blatt.

Freilich sind auch anderen Deutungen denkbar. Kohl war die europäische Einigung immer eine Herzensangelegenheit. Schwer vorstellbar, dass die ebenfalls im Alleingang beschlossene Schließung der Balkanroute durch die Visegrád-Staaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn bei ihm auf Zustimmung stieß. Zudem klingen in seinem Vorwort neben Lob für Orbán und Warnungen vor der möglichen Überforderung Europas auch andere Töne an. "Einsame Entscheidungen, so begründet sie dem Einzelnen erscheinen mögen, und nationale Alleingänge müssen der Vergangenheit angehören", schreibt Kohl. Das kann für Merkel gelten. Aber ebensogut für Orbán.

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Foto: AP/Petr David Josek

Erklärung angekündigt

So rät Kohl den Regierungen der EU-Staaten auch zu "mehr Miteinander statt Gegeneinander, mehr Vertrauen als Misstrauen, mehr Verlässlichkeit und Berechenbarkeit im Umgang miteinander". Er sei heute "zugleich voller Zuversicht wie voller Sorge". Europa müsse "wieder verstärkt an einem Strang ziehen. Ungarn darf dabei nicht fehlen", schließt Kohl sein Vorwort. Dem 86-Jährigen geht es um sein Lebenswerk.

Das Treffen in Oggersheim findet nun im vertraulichen Rahmen statt. Ein Auftritt vor der Presse oder der Öffentlichkeit ist nicht vorgesehen. Kohls Büro kündigte für später allerdings eine schriftliche Erklärung zum Treffen der beiden Männer an.

(pst)
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