Volker Bouffier im Interview "Wachstum geht auch sauber"

Der hessische Ministerpräsident über Unterrichtsausfall, realistische Asylpolitik und darüber, was er vom grünen Koalitionspartner gelernt hat.

 Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (Archiv).

Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (Archiv).

Foto: Kay Nietfeld/dpa

Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier spricht im Interview über Unterrichtsausfall, realistische Asylpolitik und darüber, was er vom grünen Koalitionspartner gelernt hat.

Volker Bouffier war einmal der Albtraum aller Linksliberalen, ein "schwarzer Sheriff". Ausgerechnet er regiert nun in Hessen seit vier Jahren mit den Grünen, ohne größere Krisen. Ausgerechnet in Hessen, wo der politische Kampf immer besonders scharf war. Ende Oktober wird der Landtag neu gewählt - einer der ersten großen Stimmungstests nach der Regierungsbildung im Bund. Bouffier empfängt im Büro des Ministerpräsidenten im Wiesbadener Landtag.

Er oder ich, das ist die Frage in Hessen, sagt ihr Herausforderer bei der Landtagswahl, Thorsten Schäfer-Gümbel. Herr Bouffier, zittern Sie schon?

Volker Bouffier Nein, das ist auch nicht die richtige Frage. Die richtige Frage ist: Was muss die Politik tun, damit Hessen ein so starkes Land bleibt? Es geht um Inhalte. Und da gibt es einen Unterschied, ob die CDU oder die SPD die Regierung stellt.

Ach ja? Welchen denn?

Bouffier Haben wir ein gutes Bildungssystem, das den Menschen trotzdem die Freiheit lässt, ihren Weg zu gehen, oder haben wir eine Einheitsschule? Oder in der Finanzpolitik: Wir haben 2010 in der Landesverfassung verankert, mit breitem Rückhalt der Bevölkerung durch die Volksabstimmung, dass wir ab 2020 keine neuen Schulden machen wollen. Jetzt machen wir seit zwei Jahren keine neuen Schulden mehr, zum ersten Mal seit 50 Jahren. Wir zahlen sogar alte Schulden zurück. Und trotzdem investieren wir so viel wie nie. Die SPD will neue Schulden machen und damit künftigen Generationen unbezahlbare Lasten aufbürden. Das ist der falsche Weg.

Die SPD will Investitionen in Schule und Infrastruktur. Das ist doch richtig.

Bouffier Wir investieren doch so viel wie nie. In den Straßenbau, in den ÖPNV. In den Wohnungsbau, auch in die Schulen. Wir haben die höchsten Pro-Kopf-Bildungsinvestitionen, die beste Schüler-Lehrer-Relation und die geringste Schulabbrecherquote in Deutschland. Das sind die Fakten.

Trotzdem gibt es Unterrichtsausfall.

Bouffier Die Kampagne der SPD verfängt nicht. Wir haben an unseren Schulen eine Lehrerversorgung, von der andere Länder träumen, nämlich 105 Prozent, also mehr, als notwendig wären. Und eine sinnvolle Vertretungsstunde ist auch kein Unterrichtsausfall. Nein, diesem Land geht es gut, und das ist offenbar ein Problem für die SPD. Wir haben vorgesorgt und so Spielräume geschaffen, zum Beispiel für eine bessere Nachmittagsbetreuung der Kinder. Wir machen eine nachhaltige Finanzpolitik. Wir entschulden die Kommunen. Wir bieten den Kommunen jetzt an, ihre Schulden mit der Hessenkasse zu übernehmen und einen Neustart zu wagen, wenn sie sich im Gegenzug verpflichten, künftig ohne Schulden auszukommen. Das kostet fünf Milliarden Euro. Über all dies können wir gerne im Wahlkampf streiten. Auch mit meinem Herausforderer, der ja im dritten Anlauf auch keine ganz neue personelle Alternative ist.

Sie galten unter Roland Koch als konsequenter Innenpolitiker und regieren nun relativ geräuschlos mit den Grünen. Sind Sie grüner geworden?

Bouffier Meine Grundüberzeugungen habe ich behalten. Wir haben mit der Koalition von CDU und Grünen Gräben überwunden und gezeigt, dass Ökonomie und Ökologie kein Gegensatz sind. Wachstum geht auch sauber. Die CDU setzt auf die Bewahrung der Schöpfung, die Grünen sprechen von Nachhaltigkeit. Die Ziele sind aber ähnlich. Beispiel: Wir bauen den Flughafen aus, aber verschärfen den Lärmschutz. Die Regierungszeit mit den Grünen hat selbstverständlich das Verständnis für die Grünen insgesamt verstärkt, auch für ursprünglich grüne Themen, Beispiel Tierwohl. Das sehe ich heute etwas anders. Wir schreiben aber nicht vor, was die Bauern tun sollen, wir setzen Anreize für eine ökologische Landwirtschaft. Wir haben einen Pakt zur Zukunft der Landwirtschaft geschlossen, in dem Tierschutzverbände genauso mit uns arbeiten wie Bauernverbände. Wir haben eine Professur mit der Frage eingerichtet, ob es ethische Tierversuche geben kann.

Wünschen Sie sich Schwarz-Grün?

Bouffier Wir werben für uns. Wir wollen so stark werden, wie es geht. Wir haben gut mit der FDP zusammengearbeitet und tun das jetzt mit den Grünen. Es läuft gut. Aber wir sind unterschiedliche Parteien. Die FDP macht der SPD ja auch Avancen. Ich sehe das gelassen. Nur eines ist klar: Wir werden weder mit der Linken noch mit der AfD, falls diese in den Landtag kommt, reden. Wir brauchen klare Verhältnisse.

Wird die Asyl- und Migrationspolitik Thema im Wahlkampf?

Bouffier Wir sprechen über alle Themen, ohne Schaum vor dem Mund. Wer zu uns kommt und bleiben will, muss sich an die Regeln halten. Dazu gehören etwa die Schulpflicht für Kinder, die Gleichberechtigung der Frauen, das Prinzip Fördern und Fordern in der Arbeitsmarktpolitik. Wir wollen, dass die Leute beschäftigt werden und aus Hartz IV rauskommen - Hilfe zur Selbsthilfe. Aber wer keine Termine der Bundesagentur für Arbeit annimmt und erkennbar keinen Job annehmen will, der muss sanktioniert werden. Und wenn der Asylantrag eines Asylbewerbers in einem fairen, rechtsstaatlichen Verfahren abgewiesen wird, muss er das Land verlassen. So einfach ist das eigentlich.

Theoretisch jedenfalls. Sollten auch abgelehnte Asylbewerber alle staatlichen Leistungen bekommen?

Bouffier Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass jedem Bedürftigen das Minimum für den Lebensunterhalt zur Verfügung gestellt werden muss. Das gilt auch für Asylbewerber, deren Antrag abgelehnt wurde, die aber noch in der rechtlichen Auseinandersetzung stehen. Ich habe seit jeher die Meinung vertreten, dass man diesen Asylbewerbern aber bis zur rechtlichen Klärung der Asylfrage Sachleistungen zur Verfügung stellen sollte, anstatt Geld zu überweisen.

Integration ist das Megathema der kommenden Jahre?

Bouffier Ja, und deshalb brauchen wir ganzheitliche Ansätze. Wir haben in Hessen im September 2015 einen Asylkonvent einberufen, in dem Vertreter von Politik, Kirchen, Migrantenverbänden, Ärztekammern, Wohlfahrtsorganisationen, Polizei und Handwerksvertreter darüber sprechen und auch handeln, wie wir Flüchtlinge so integrieren können. Wir haben über 1000 Flüchtlinge in Ausbildung gebracht, Sprachschulen gegründet, Ärzte mit Dolmetschern und Praktikern zusammengebracht, um auf kulturelle Unterschiede bei den Medizin-Checks einzugehen. 400 Richter und Staatsanwälte geben freiwillig in den Aufnahmezentren für Flüchtlinge in sogenannten Rechtsstaatsklassen Unterricht, wie unser Land funktioniert. So etwas brauchen wir bundesweit, deshalb würde ein solches Bündnis für Integration Sinn ergeben.

(brö)
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