Bundeswehr in Afghanistan Volker Rühe: "Dieser Einsatz ist ein Desaster"

Berlin/Kabul (RPO). Die Kritik am Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan wird immer lauter: Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe greift seinen Nachfolger und Parteifreund Franz Josef Jung scharf an. In einem Interview bezeichnete Rühe die Afghanistan-Mission als "Desaster". Auch die Welthungerhilfe erhebt schwere Vorwürfe gegen die Bundesregierung.

 Volker Rühe war von 1992 bis 1998 Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland.

Volker Rühe war von 1992 bis 1998 Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland.

Foto: DDP

In vier Tagen wählt Afghanistan einen neuen Präsidenten, der aller Voraussicht nach der alte sein wird. Doch das Land kommt nicht zur Ruhe, erst gestern explodierte eine Bombe vor dem Nato-Hauptquartier in Kabul, sieben Menschen starben.

Schwere Vorwürfe gegen die Politik der Bundesregierung erheben nun zeitgleich die Welthungerhilfe und der ehemalige Bundesverteidigungsminister Volker Rühe (CDU). Rühe kritisierte seinen Parteifreund und Nachfolger im Verteidigungsministerium, Franz Josef Jung, in einem Interview mit dem "Spiegel" scharf: "Dieser Einsatz ist ein Desaster! Wir sollten uns dort in den kommenden zwei Jahren mit voller Kraft engagieren und dann den Abzug einleiten", sagte er dem Hamburger Nachrichtenmagazin.

Während Obama den Rückzug plane, weil er wiedergewählt werden wolle, gäbe es in Deutschland "nicht einmal im Wahlkampf eine ernsthafte Debatte darüber", so Rühe weiter. Die Erfolgschancen des Einsatzes beurteilt er sehr negativ: "Wenn Sie am Hindukusch jemandem erzählen, Sie wollen in Afghanistan die Demokratie einführen, dann werden Sie ausgelacht".

Welthungerhilfe: Afghanistan ist "Sündenfall"

Auch von der Welthungerhilfe wird der Ensatz mit deutlichen Worten gerügt. "Die Bundesregierung tat lange so, als wären in Afghanistan die deutschen Soldaten als Entwicklungshelfer im Einsatz", erklärte der Generalsekretär der Welthungerhilfe, Wolfgang Jamann, in einem Gastbeitrag für "Bild am Sonntag". Damit habe sie der Öffentlichkeit "Sand in die Augen gestreut". Diese Illusion sei nach den jüngsten Kämpfen geplatzt. "Die Bundeswehr kämpft in Afghanistan an unübersichtlichen Fronten."

Jamann nannte die "zivil-militärische Zusammenarbeit" einen "Sündenfall". "Die Aufbauprojekte der Bundeswehr sind vom Umfang her zu vernachlässigen, aber die Vermischung von Militär und Wiederaufbau hat erheblichen Schaden angerichtet", sagte er. Die Entwicklungshilfe durch die Wiederaufbauteams sei Teil der Militärstrategie geworden. Deshalb werde sie nicht mehr als unparteilich wahrgenommen. So griffen Aufständische deshalb auch Entwicklungshelfer an, obwohl diese politisch neutral und nur dem Gebot der humanitären Hilfe verpflichtet seien."

Für Hilfsorganisationen in Afghanistan ist dem Bericht zufolge der Juli mit 23 Sicherheitsvorfällen und fünf Toten der schlimmste Monat dieses Jahres gewesen. Die Deutsche Welthungerhilfe arbeite seit Anfang der Achtzigerjahre ohne Unterbrechung in dem Land am Hindukusch, "aber nie war die Sicherheitslage für Entwicklungshelfer so explosiv wie jetzt", sagte Jamann.

Auch Rühe kritisierte die Vermischung von Zivil- und Kampfeinsatz. Den Auftrag für den Wiederaufbau ziviler Strukturen sei ein Fehler, die Soldaten keine Entwicklungshelfer.

Taliban drohen Wählern mit Mord

Unterdessen haben die Taliban erstmals offen gedroht, bei der Präsidentenwahl Wahllokale anzugreifen. Auf Flugblättern, die am Sonntag im Süden des Landes auftauchten, wurden die Einwohner vor einem Urnengang gewarnt.

Auf Flugblättern, die AFP-Reportern in der Stadt Kandahar vorlagen, hieß es: "Die geachteten Einwohner sollen darüber informiert werden, dass sie nicht an den Wahlen teilnehmen dürfen, weil sie sonst Opfer unserer Operationen werden." Auch wurden Drohungen gegen Bewohner ausgesprochen, sollten diese ihr Eigentum für Wahllokale vermieten. Das Flugblatt wurde demnach von dem in Kandahar sitzenden Taliban-Führer Mullah Ghulam Haidar verfasst.

Ein Taliban-Sprecher sagte AFP: "Wir werden neue Taktiken gegen Wahllokale anwenden." Falls Bürger vor oder in den Wahllokalen verletzt würden, seien sie selbst dafür verantwortlich, denn die Taliban hätten sie vorher informiert. Die Flugblätter tauchten auch in anderen Provinzen in Moscheen und an Häuserwänden auf.

(AFP/sdr)
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