Inge Viett Von der Ex-Terroristin zur Demonstrantin

Berlin/Düsseldorf (RP). Inge Viett wurde am Rande des Rekrutengelöbnisses am Berliner Reichstag festgenommen. Sie hatte einst einen Polizisten lebensgefährlich verletzt und war in die DDR abgetaucht. Erinnerungen an die RAF werden wach.

Was aus RAF-Terroristen wurde
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Foto: ddp

Die Demonstrantin trägt eine dunkle Sonnebrille, eine schwarze Jacke, rote Jeans und Turnschuhe. Zwei Polizisten halten sie fest ­ der Frau wird "versuchte Gefangenenbefreiung” sowie "Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte” vorgeworfen. Die 64-Jährige ist keine Unbekannte. Ihr Name: Inge Viett. Sie gehörte zu den bekanntesten Mitgliedern der Terror-Organisation RAF.

Um genau 20.25 Uhr am Sonntagabend nahm die Berliner Polizei Viett vorübergehend fest, zusammen mit sechs weiteren Personen. Die Strafanzeige bearbeitet der Staatsschutz, erklärte die Berliner Polizei.

Was sich anhört wie ein Déjà-vu der RAF-Ära, war eine eher harmlose Aktion, die Umstehende kaum zur Kenntnis nahmen. Die schmächtige Frau hatte zusammen mit mehreren hundert Demonstranten versucht, das erste Bundeswehr-Gelöbnis vor dem Reichstag zu stören. Als die Beamten Sirenengeheul aus einem Lautsprecher der Gelöbnisgegner unterbinden wollten, kam es zu einem Handgemenge. Dabei wollte Inge Viett einem "Gelöbnix”-Demonstranten zu Hilfe kommen, wurde aber von zwei kräftigen Polizeibeamten daran gehindert.

Das Rekrutengelöbnis selbst blieb von der etwa 500 Meter entfernten Protestaktion ungestört. Im offiziellen Polizeibericht heißt es, das Gelöbnis sei "ohne besondere Vorkommnisse” geendet.

Angehörige der "Bewegung 2. Juni"

Viett war als Angehörige der "Bewegung 2. Juni” an der Entführung des Berliner CDU-Politikers Peter Lorenz beteiligt. 1981 hatte sie in Paris einen Polizisten durch Schüsse schwer verletzt, der seitdem gelähmt ist. Anfang der 80er Jahre tauchte Viett in der DDR unter. Im Juni 1990 wurde sie in Magdeburg enttarnt und festgenommen. Zwei Jahre später verurteilte sie das Oberlandesgericht Koblenz wegen versuchten Mordes zu 13 Jahren Haft, sie kam 1997 auf Bewährung frei. Der Regisseur Volker Schlöndorff nutzte Motive aus ihrer Biografie für seinen Film "Die Stille nach dem Schuss”.

Viett hatte nach ihrer Haftentlassung mehrfach an linken Demonstrationen teilgenommen, zum Beispiel im vergangenen Jahr an der 1. Mai-Demonstration in Berlin. Sie hatte den RAF-Terror wiederholt gerechtfertigt und als "Klassenkampf von unten” verharmlost. Anderen ehemaligen RAF-Terroristen, die sich von ihren Taten distanzierten, soll Viett Verrat vorgeworfen haben. Die neuerliche Festnahme wundert Szene-Kenner nicht. "Inge ist sich treu geblieben”, heißt es im Umfeld des ehemaligen Angehörigen-Unterstützerkreises.

Keinen Grund zur Aufregung

Burkhard Hirsch, Bürgerrechtler und ehemaliger Innenminister von NRW, sieht in dem Vorfall keinen Grund zur Aufregung. "Nach ihrer Haftverbüßung ist Frau Viett so zu behandeln wie jeder andere Bürger auch”, sagt der FDP-Politiker. Formen zivilen Ungehorsams müsse "die Demokratie aushalten”. Wilhelm Achelpöhler, Anwalt der linken Szene in Münster, sagte, man müsse es akzeptieren, dass Ex-RAF-Häftlinge politisch aktiv würden.

Bärbel Höhn, Vize-Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, kritisierte Viett. "Ich persönlich fand das Gelöbnis vor dem Reichstag in Ordnung”, sagte Höhn. "Aber es gab inhaltliche Kritik an dem Veranstaltungsort. Ob Inge Viett dem Sach-Protest einen Gefallen getan hat, ist zu bezweifeln.” Jetzt rede jeder über die Ex-Terroristin ­ und nicht mehr über die Argumente gegen das Gelöbnis.

(RP)
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