Wahl in Mecklenburg-Vorpommern Merkel und die repressive Toleranz

Meinung | Düsseldorf · Man muss kein Politikwissenschaftler sein, um zu ahnen, dass der erwartete Erfolg der AfD in Mecklenburg-Vorpommern zu einem Großteil auf das Konto der dort heimischen Bundeskanzlerin geht.

 Angela Merkel bei ihrem Wahlkampfauftritt in Greifswald.

Angela Merkel bei ihrem Wahlkampfauftritt in Greifswald.

Foto: rtr, STL/CVI

Angela Merkel hat mit ihrer Version der "Basta"-Politik und ihrer Weigerung, die Fehler in der Flüchtlingspolitik zu reflektieren und Risiken zu benennen, dem latent vorhandenen Bürgerfrust gegen die Elite Auftrieb gegeben. "Die machen doch eh, was sie wollen", heißt es nicht nur am Stammtisch der Rechtspopulisten, sondern in den Salons des Bürgertums.

Dabei geht es weniger um Merkels Grenzöffnung im September — diese war in der konkreten Situation nachvollziehbar und richtig. Es geht darum, dass die Kanzlerin fortan ihre Macht in Europa über- und die Sorgen vieler von der (Integrations-)Politik Enttäuschter unterschätzte. Was sollen wir schaffen? Der Philosoph Herbert Marcuse hat einen solchen Anti-Diskurs in den 60er Jahren "repressive Toleranz" genannt. Neudeutsch: Tunneldenken.

Die Kanzlerin sagt, man könne die Menschen nur erreichen, wenn man Probleme löse. Das stimmt nicht. Man erreicht die Menschen, indem man Probleme benennt. Jahrelang haben die Merkel-Regierungen — mit SPD und FDP — Italienern und Griechen die kalte Schulter gezeigt, als diese um Hilfe bei der Flüchtlingskrise riefen. Lampedusa war weit weg. Jahrelang war es nur Altbundespräsident Horst Köhler, der sich wirklich für Afrika und Fluchtursachen interessierte. Und natürlich galt eine Debatte über Ausländer, die sich nicht so gut benehmen, als unfein.

Weil das so war, können nun rechte Populisten aus jedem Übergriff eines Flüchtlings im Schwimmbad einen Sturm der Entrüstung erzeugen, selbst wenn Hunderttausende Flüchtlinge brav im Deutschunterricht sitzen. Die rechte Propaganda gedeiht im Sumpf des Herumdrucksens. Eine Politik mit Herz und offenem Visier könnte helfen, ebenso wie der Satz: "Wir wissen noch nicht, wie wir das Problem lösen, aber ja, es ist eins und wir sind dran." Differenzieren ist anstrengend, aber unverzichtbar.

Jetzt sitzen beide Seiten in den Schützengräben und schießen wild durch die Luft. Die Kanzlerin muss umdenken, um die Frustrierten und Verunsicherten, die mit rechtem Gedankengut nichts gemein haben, wieder für die Sache zu gewinnen. Was wir brauchen, ist eine starke humanitäre Flüchtlingspolitik mit einer Integrationspolitik, die das Fordern betont. Nur so werden auch die Rechten in diesem Land wieder leiser und ihre Truppen kleiner. Und das ist wirklich jeden Schweiß wert.

(brö)
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