Wahljahr 2017 Grüne ohne Bodenhaftung

Meinung | Berlin · "Nafri"-Debatte, Streit um sichere Herkunftsländer, Pflegebedürftigen den Sex mit Prostituierten bezuschussen: Die Grünen, so scheint es dieser Tage, haben die Bodenhaftung verloren. Im Wahljahr 2017 könnte dies der Partei teuer zu stehen kommen.

 Pannenstart ins neue Jahr: Özdemir, Peter.

Pannenstart ins neue Jahr: Özdemir, Peter.

Foto: dpa, ped vfd

Die Grünen sind denkbar schlecht ins neue Jahr gestartet. Erst die "Nafri"-Debatte nach einer unpassenden Äußerung zum Einsatz der Kölner Polizei in der Silvesternacht durch Parteichefin Simone Peter. Dann der offene, parteiinterne Streit über die sicheren Herkunftsländer mit Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Es folgte die seltsame Forderung der Grünen-Politikerin Elisabeth Scharfenberg, Pflegebedürftigen den Sex mit Prostituierten staatlich zu bezuschussen. Und schließlich geht der ansonsten eher besonnene Parteichef Cem Özdemir mit der Forderung in die Bütt, den Maghreb-Staaten Visa-Erleichterungen für ihre Bürger anzubieten, damit diese sich umgekehrt bereit erklären, abgewiesene Asylbewerber zurückzunehmen.

Die Grünen, so sieht es gerade aus, haben die Bodenhaftung verloren. Sie müssen jetzt aufpassen, im Wahljahr 2017 nicht von einer Zehn- auf eine Fünf-Prozent-Partei zu schrumpfen.

Den größten Fehler beging sicherlich Simone Peter. Sie muss sich den Vorwurf gefallen lassen, die Situation an Neujahr viel zu schnell und falsch eingeschätzt zu haben. Was im Vorjahr an Silvester in Köln passiert war, durfte sich nicht wiederholen. Dafür zu sorgen, dass nicht erneut Frauen bedrängt und sexuell belästigt werden, war die entscheidende Aufgabe der Kölner Polizei an diesem Tag. Hätte sie die plötzlich auftauchenden großen Gruppen nordafrikanischer Männer nicht aufgehalten, hätten sich womöglich Szenen wie im Vorjahr in Köln wiederholt.

Es ist zwar legitim und oft auch wichtig, die Verhältnismäßigkeit staatlicher Gewalt zu hinterfragen. Dies jedoch gerade auch bei diesem konkreten Anlass reflexhaft zu tun und damit die Polizei in die Nähe des Rassismus-Vorwurfs zu rücken, war ein GAU, von dem sich die Grünen vorerst nicht wieder erholen werden. Das wird ihnen wie Kaugummi am Schuh kleben, bis zum Wahltag. Die Nafri-Debatte war Simone Peters persönlicher Veggie-Day.

Die Grünen haben also die Signale angesichts der veränderten Sicherheitslage noch nicht gehört. Mit ihrer bisherigen eher liberalen Programmatik zur inneren Sicherheit wird die Partei nicht bestehen können. Sie wird sich bewegen müssen, etwa bei der Videoüberwachung, bei der elektronischen Fußfessel für Gefährder und bei den Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer. Wenn die große Mehrheit der Bürger mehr Sicherheit wünscht, wird im Wettstreit der Parteien diejenige am Ende verlieren, die ihnen dieses Mehr an Sicherheit verweigert.

Es ist sicher richtig, dass es den Fall Amri auch dann gegeben hätte, wenn die Maghreb-Staaten sichere Herkunftsländer gewesen wären. Richtig ist auch, dass es die Bundesregierung — und zwar die Spitze der Bundesregierung — bisher sträflich versäumt hat durchzusetzen, dass die Maghreb-Länder Staatsbürger zurücknehmen, die in Deutschland kein Bleiberecht haben. Doch würde Deutschland den Maghreb als sicher einstufen, ginge davon ein starkes Signal an die Bevölkerungen dieser Länder aus: Ihr habt bei uns keine Chance auf Asyl — das hatte auch bei den Balkan-Ländern gewirkt.

Die Grünen könnten Reputation zurückgewinnen, wenn sie für die nötige Mehrheit im Bundesrat sorgen würden. Dafür braucht es auch kein Gegengeschäft, wie es Özdemir jetzt vorschwebt. Jetzt Visa-Erleichterungen für Menschen aus dem Maghreb als Gegenleistung zu fordern, bringt die Leute nur noch mehr gegen die Grünen auf: Denn sie wollen ja gerade weniger Nordafrikaner in Deutschland, nicht mehr.

Kommende Woche liegt das Ergebnis der Urwahl der Spitzenkandidaten vor. Vieles spricht dafür, dass entweder Özdemir oder Schleswig-Holsteins Vize-Ministerpräsident Habeck die Wahl gewinnt. Mit Katrin Gröing-Eckardt wären dann zwei Realos Spitzenkandidaten. Die Gefahr ist groß, dass dies die Spaltung in ein linkes und ein Mitte-Lager bei den Grünen weiter vertieft. Die unzufriedenen Linken könnten aufbegehren. Die Partei segelt gerade in sehr schwieriges Fahrwasser.

(mar)
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