Die Grünen nach der Berlin-Wahl Warum Cem Özdemir nicht jubelt

Meinung | Berlin · Die Berlin-Wahl bringt die Grünen mehr in Bredouille als andere Landtagswahlen. Denn das Pendel schwingt ein Jahr vor der Bundestagswahl nun stärker als je in Richtung Rot-Rot-Grün. Doch eine zu frühe Zuordnung ins rot-rot-grüne Lager würde den Grünen mehr schaden als nützen.

 Cem Özdemir und Simone Peter mit der Berliner Landesvorsitzenden der Grünen, Bettina Jarasch.

Cem Özdemir und Simone Peter mit der Berliner Landesvorsitzenden der Grünen, Bettina Jarasch.

Foto: dpa, bvj

Die Berlin-Wahl hat in der Führungsriege der Grünen völlig unterschiedliche Reaktionen ausgelöst: Während Parteichefin Simone Peter bejubelte, dass ein rot-rot-grünes Bündnis die Hauptstadt regieren kann, hielt sich ihr Co-Parteichef Cem Özdemir mit Jubelgesten zurück. Peter gab die Fröhliche, Özdemir den Nachdenklichen. Der Gegensatz offenbart, wie sehr die Grünen gespalten sind und wie wenig die Wahl dazu beigetragen hat, dieses wachsende Problem aufzulösen.

Während der linke Parteiflügel meint, ein rot-rot-grünes Bündnis in Berlin sei eine Vorentscheidung für Rot-Rot-Grün auch im Bund, teilt der moderate Flügel um Özdemir diese Einschätzung nicht. Man weiß von Özdemir, dass er eher ein Anhänger von Schwarz-Grün ist.

Doch nicht der Kampf für diese Option hat den Parteichef nachdenklich gestimmt: Es ist mehr die Sorge darum, dass die Partei ihren klugen Kurs der Eigenständigkeit und Unabhängigkeit zu schnell aufgeben könnte — oder dass Wähler und Öffentlichkeit den Grünen diesen Kurs der Eigenständigkeit bald nicht mehr abnehmen könnten.

Die Entscheidung nach der letzten, für die Grünen enttäuschenden Bundestagswahl 2013, sich keinem Lager zuzuordnen und stattdessen ganz auf die eigene Identität als Öko-Partei zu setzen, war richtig, und sie war bisher auch erfolgreich. In zehn Landesregierungen sitzen die Grünen mittlerweile, und wenn alles wie erwartet seinen Gang geht, bald auch im Berliner Senat. Je nach Situation im jeweiligen Bundesland haben sich die Grünen für Bündnisse mit Roten oder Schwarzen entschieden. Der bunte Koalitions-Flickenteppich hat den grünen Kurs der Eigenständigkeit bisher unterstrichen.

Auch in Berlin können die Grünen jetzt leicht sagen: Ihnen blieb ja nichts anderes übrig als die rot-rot-grüne Option. Denn als drittes Rad am Wagen eine große Koalition in einem möglichen Kenia-Bündnis aus SPD, CDU und Grünen zu bestätigen, das macht nun wirklich keinen Sinn. Dennoch bringt die Berlin-Wahl die Grünen mehr in Bredouille als andere Landtagswahlen bisher. Denn das Pendel schwingt ein Jahr vor der Bundestagswahl nun stärker als je in Richtung Rot-Rot-Grün.

Es lässt sich nun öffentlich und intern immer schwerer rechtfertigen, wenn sich die Grünen etwa einem rot-rot-grünen Kandidaten bei der Wahl zum Bundespräsidenten im Februar 2017 verweigern. Spielen sie allerings die Königsmacher für einen rot-rot-grünen Kandidaten, wäre das tatsächlich schon eine Vorentscheidung für die folgenden Wahlen in Nordrhein-Westfalen und im Bund.

Ihre nächsten Schritte werden die Grünen mit Blick auf den kommenden Lagerwahlkampf klug abwägen müssen. Die Chance auf hohe Wahlergebnisse wahren sie, indem sie den Kurs der Unabhängigkeit als einzige ökologische Kraft im Parteienspektrum so lange wie nur möglich fortsetzen. Denn als solche bleiben sie wählbar für linke wie für bürgerlich-wertkonservative Wähler. Eine zu frühe Zuordnung ins rot-rot-grüne Lager dagegen würde den Grünen mehr schaden als nützen. Denn die Mobilisierungschancen der Grünen links sind begrenzt: Es gibt hier mit der SPD und der Linkspartei zu viele Konkurrenten.

Der Wähler wird auch künftig wissen müssen, warum er die Grünen wählen soll und nicht die anderen beiden linken Parteien. Schon die Berlin-Wahl, bei der die Grünen am Ende mit 15,2 Prozent auf Platz vier hinter den Linken landeten und ein für die Metropole enttäuschendes Ergebnis erzielt haben, hat gezeigt, dass das Konkurrieren nur um linke Wählerstimmen die Grünen nicht auf den grünen Zweig bringt.

(mar)
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