Analyse zu Bildungschancen Warum Schüler mehr leisten wollen

Düsseldorf · Kinder armer und reicher Eltern haben in Deutschland ungleiche Bildungschancen. Das bestätigt eine neue Studie. Was sie auch zeigt: Fleiß und Förderung gelten als Schlüssel zum Erfolg. Bei Eltern, Lehrern – und Schülern.

Kinder armer und reicher Eltern haben in Deutschland ungleiche Bildungschancen. Das bestätigt eine neue Studie. Was sie auch zeigt: Fleiß und Förderung gelten als Schlüssel zum Erfolg. Bei Eltern, Lehrern — und Schülern.

Wenn die Leistung nicht stimmt — dann droht Mama eben damit, das Lieblings-Plüschtier zu verbrennen. Dieses und ähnliche rabiate Beispiele der chinesisch-amerikanischen "Tigermutter" Amy Chua schreckten vor zwei Jahren auch hierzulande Eltern, Lehrer und Forscher auf. Chuas Credo war simpel: Was zählt, ist Leistung, sonst nichts, und erreichbar ist sie ausschließlich über Druck. "Für den Erfolg musst du deine Kinder quälen" war ein Satz, der die Farbe aus vielen Pädagogengesichtern weichen ließ.

Ein solcher pädagogischer Extremismus war unerhört. Über Chuas Thema aber — Leistung und wie man sie erreicht — ist Deutschland schon seit Jahren wieder intensiv im Gespräch: spätestens seit 2000, als die erste Pisa-Studie das Bild eines mittelmäßig erfolgreichen deutschen Bildungssystems zeichnete. Zumindest dann, wenn man als Erfolgskriterium ansetzt, was "hinten rauskommt", soziologisch gesprochen: den Output des Schulsystems, die Leistung der Schüler.

Trotz Leistung um Chancen gebracht?

Die hitzige Debatte um die Mathe-Abiklausuren 2013 in NRW ist Kind dieses gewachsenen Bewusstseins: Nie war die nackte Abschlussnote so wichtig für die Chancen auf einen Studienplatz wie in diesem Doppeljahrgang; schließlich sind fast zwei Drittel aller Studiengänge ab einem Numerus clausus belegt, stehen also zunächst nur Bewerbern mit einer bestimmten Durchschnittsnote offen. Wer die wütenden Schülerproteste als Ausdruck der Leistungsunlust versteht, der liegt ganz falsch. Dahinter steht vielmehr der Argwohn, trotz Leistung um Chancen gebracht zu werden.

Seit Pisa hat die bildungsinteressierte Öffentlichkeit zwei Dinge gelernt. Erstens: Bildungserfolg hängt immer noch zu sehr vom Elternhaus ab. Zweitens: Was einer lernt, liegt weniger daran, ob er in einer Sekundar- oder Gesamtschule oder in einem Gymnasium sitzt, als daran, wie gut sein Lehrer ausgebildet ist. Beide Erkenntnisse werden von einer neuen Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach für die Vodafone-Stiftung eindrucksvoll bestätigt.

Die Schieflage wird größer, meint die Mehrheit

Die Befunde sind auf den ersten Blick wenig ermutigend. Während zum Beispiel 55 Prozent der Schüler aus bessergestellten Haushalten sagen, ihre Eltern unterhielten sich häufig mit ihnen über den Unterricht, stimmen nur 34 Prozent der Kinder aus unteren Schichten dieser Aussage zu.

Zwei Drittel der Eltern aus höheren sozialen Schichten sagen, ihnen falle die Unterstützung ihrer Kinder bei den Hausaufgaben leicht, aber nur gut ein Drittel der Eltern aus unteren Schichten. Das naheliegende Ergebnis: 82 Prozent der Lehrer glauben, die soziale Herkunft ihrer Schüler habe großen oder sehr großen Einfluss auf deren Bildungserfolg.

Und die Mehrheit meint, dass die Schieflage größer wird. 54 Prozent der Lehrer sagen, die Leistungsunterschiede hätten sich verstärkt. Auch an Gymnasien findet dieser Satz mehrheitlich Zustimmung. 42 Prozent der Lehrer insgesamt und immerhin ein Drittel der Lehrer an Gymnasien sagen, sie hätten ihre Anforderungen in den vergangenen zehn Jahren senken müssen.

Breite Zustimmung zu "harten" Instrumenten

"Je schwächer die soziale Schicht, umso negativer die Leistungsbilanz", bilanziert Allensbach-Chefin Renate Köcher und nennt das den "beklemmendsten Befund" der Studie. Das ist der erste Blick. Der zweite Blick freilich zeigt Mutmachendes: einen ausgeprägten Leistungswillen und die Überzeugung, Fleiß und intensives Lernen seien der Schlüssel zum Erfolg.

Konkret: Während sich die unteren Schichten weniger imstande sehen, ihren Kindern bei Schulproblemen zu helfen, halten sie doch Leistung für wichtig. 64 Prozent der Schüler aus sozial schwächeren Haushalten sagen, ihre Eltern forderten sie zum Lernen und zum Erledigen der Hausaufgaben auf. Das sind sogar mehr als bei den Kindern aus höheren Schichten. Dem Satz "Mit Fleiß und gezielter Förderung kann jeder Schüler gut werden" stimmt eine deutliche Mehrheit sowohl der Lehrer als auch der Eltern zu. Und 55 Prozent der Schüler sagen, schlechte Ergebnisse lägen zumindest auch zum Teil daran, dass sie nicht genug lernten.

Überraschend ist auch die breite Zustimmung zu "harten" Instrumenten. Jeweils weniger als zehn Prozent der Lehrer und der Eltern plädieren für eine Abschaffung der Schulnoten. Ein Fünftel der Lehrer und ein knappes Drittel der Eltern hält das Sitzenbleiben für überflüssig, aber deutlich mehr als 50 Prozent wollen daran festhalten. Selbst unter den Schülern spricht sich eine Mehrheit von 47 zu 32 Prozent für das Beibehalten des Sitzenbleibens aus.

Das "freie Lernen", die möglichst selbstständige Aneignung von Wissen, überfordert nach Meinung einer Mehrheit der Lehrer die Schüler.

Starke lernen am besten mit Starken

Das Votum fällt auch klar für ein gegliedertes Schulsystem und gegen Gemeinschaftsschulformen aus — der Vorsprung schmilzt allerdings. In der Frage, ob gemischte Lerngruppen aus starken und schwachen Schülern sinnvoll sind, lesen sich die Antworten wie die Werbeschrift eines Vereins der Hochbegabten: Zwei Drittel der Eltern und Lehrer glauben, starke lernten am besten mit anderen starken Schülern. Ob das auch für schwächere Schüler gilt, darüber sind die Meinungen gespalten.

Für Olaf Köller, Bildungsforscher an der Uni Kiel, verweisen diese Zahlen auf ein Defizit: "Wir vergessen in den Diskussionen immer wieder die Förderung der Spitzengruppe. Manchmal tabuisieren wir sie sogar." In vielen Bundesländern gebe es zu wenig Angebote für starke Schüler. Dass nur eine Minderheit der Befragten hohe Anforderungen der Schule für eine wichtige Voraussetzung hält, ist für Köller ein glattes Fehlurteil: "Wenn nur 28 Prozent der Lehrer dem zustimmen, dann zeigt das, dass viele Lehrer den Schülern zu wenig zutrauen. Das gilt nicht nur für Klausuren, sondern schon für den Unterricht. Und das gilt auch am Gymnasium." Für den Bildungsforscher jedenfalls ist der Appell an Lehrer und Eltern klar: "Traut den Schülern etwas zu! Fördert sie, aber fordert ihnen auch etwas ab!"

Und Amy Chua? Für sie sieht es, allem Leistungswillen zum Trotz, schlecht aus. 82 Prozent der Lehrer und 83 Prozent der Eltern glauben, die schulische Leistung eines Kindes hänge vor allem davon ab, ob es sich wohlfühlt. Das Befinden im Klassenzimmer führt die Liste der Erfolgsfaktoren sogar an — vor Begabung und guten Lehrern. Die Lehren der "Tigermutter" dürften hierzulande so schnell keine Chance haben.

(RP/das)
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