Kehrtwende Was Merkel von der Ehe für alle überzeugte

Berlin · Ein Treffen mit einem lesbischen Paar, das mehrere Pflegekinder großzieht, hat die Sicht der Kanzlerin verändert.

 Christine (r.) und Gundula Zilm in ihrem Garten in Barth (Mecklenburg-Vorpommern) - dem Ort, wo sie einst die Kanzlerin ansprachen.

Christine (r.) und Gundula Zilm in ihrem Garten in Barth (Mecklenburg-Vorpommern) - dem Ort, wo sie einst die Kanzlerin ansprachen.

Foto: dpa, jbu sab

Christine Zilm und ihre Frau Gundula wollen mit ihren fünf Pflegekindern zur Feier des Tages Eis essen gehen, wenn der Bundestag heute morgen die Einführung der Ehe für alle beschlossen hat. Das lesbische Paar freut sich über den jüngsten Sinneswandel der Kanzlerin, durch den die Ablehnung der Union gegen die Einführung gleicher Eherechte für homo- und heterosexuelle Partnerschaften aufgebrochen wurde.

Was Christine und Gundula Zilm besonders stolz macht, ist, dass sie zu diesem Sinneswandel Angela Merkels entscheidend beigetragen haben. Schon im Wahlkampf 2013 hatte Christine Zilm die CDU-Vorsitzende auf dem Marktplatz von Barth angesprochen, einer kleinen Stadt in Vorpommern, ihrer Heimatstadt. Sie habe Merkel erklärt, dass "man in unserem Jahrhundert nicht mehr mittelalterlich denkt", erzählte Zilm der "Ostsee-Zeitung". Sie sagte der Kanzlerin auch, dass sie gemeinsam mit ihrer Partnerin mehrere Pflegekinder aufziehe, die ihr das Jugendamt zugewiesen hatte - und sie Merkel zu einem Besuch bei sich zu Hause eingeladen habe.

Merkel hat Begegnung nicht vergessen

Zu diesem Besuch kam es bisher nicht - und dennoch hat Merkel diese Begegnung nicht vergessen. Bei ihrer öffentlichen Talkrunde Anfang dieser Woche mit zwei Redakteurinnen der Zeitschrift "Brigitte" hatte Merkel eine Zuschauerfrage nach der Ehe für alle bekanntlich überraschend zur "Gewissensentscheidung" im Bundestag erklärt - und so den Weg zur heutigen Bundestagsabstimmung freigemacht. Merkel erinnerte dabei an ihre Begegnung mit Christine Zilm vor vier Jahren. Wenn das Jugendamt dem lesbischen Paar zeitweise sogar acht Pflegekinder anvertraut habe, so Merkel, sehe es das Wohl der Kinder offenkundig nicht in Gefahr.

So hatte Merkel die Sache zuvor noch nie dargestellt. Im Wahlkampf 2013 agierte sie noch ganz anders. Bei einem Auftritt in der ARD-"Wahlarena" kurz vor der Bundestagswahl antwortete sie auf die Frage eines Zuschauers, warum Homosexuelle nicht die gleichen Adoptionsrechte wie Eheleute haben sollten, recht umständlich. Ihr "Bauchgefühl" spreche dagegen, sie tue "sich schwer mit der kompletten Gleichstellung" und sei "unsicher, was das Kindeswohl anbelangt", hatte Merkel damals erklärt.

Es gibt jedoch Indizien dafür, dass das Umdenken bei Merkel damals bereits begonnen hatte, sie sich mit Rücksicht auf ihre Union aber zurückhielt.

Seit Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaft für homosexuelle Paare im Jahr 2001 hatte das Bundesverfassungsgericht in mehreren Urteilen die rechtliche Gleichstellung von Ehe- und Lebenspartnern vorangetrieben. Dazu gehörten etwa die Gleichstellung bei der Hinterbliebenenversorgung im öffentlichen Dienst (2009), bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer (2010), beim beamtenrechtlichen Familienzuschlag (2012) und beim Ehegattensplitting (2013). Ebenfalls seit 2013 können Lebenspartner ein von ihren Partnern adoptiertes Kind mitadoptieren (Sukzessivadoption).

"Möglichst rasch handeln"

Nach dem Splitting-Urteil Anfang 2013 entbrannte in der Union ein Streit über das volle Adoptionsrecht. Im Februar rief Angela Merkel den damaligen FDP-Chef und Vizekanzler Philipp Rösler an und bot ihm an, das Thema abzuräumen und der FDP beim erweiterten Adoptionsrecht entgegenzukommen. Flankiert wurde Merkels Angebot mit einer öffentlichen Äußerung des Parlamentsgeschäftsführers der Union, Michael Grosse-Brömer. Angesichts der klaren Tendenzen in der Karlsruher Rechtsprechung sollte die Union jetzt "möglichst rasch handeln" und die "erforderliche verfassungsrechtliche Gleichstellung" eingetragener Lebenspartnerschaften mit Ehepaaren auch umsetzen, forderte Grosse-Brömer.

Merkels Zusage entpuppte sich als nicht haltbar, weil der Widerstand der Unions-Basis zu groß war. Seitdem ist die Mehrheitsposition der Union wieder zementiert gewesen. Allerdings unternahmen SPD, Grüne und Linke in dieser Wahlperiode etliche Anläufe, die Ehe für Homosexuelle zu öffnen. Allein im Rechtsausschuss wurde das Thema in dieser Wahlperiode 30 Mal vertagt. Nachdem Merkel bei der Veranstaltung am Montagabend ihren Schwenk bekanntgegeben hatte, dass es eine Gewissensentscheidung im Bundestag dazu geben sollte, brach die SPD aus der Koalitionsdisziplin aus und setzte das Thema gegen den Willen der Union auf die Tagesordnung im Bundestag.

Merkels Schwenk war aber nicht spontan. Sie hat sich auch nicht verplappert, dafür ist sie viel zu kontrolliert. Vielmehr hat sie - wahrscheinlich zu früh - eine Position bekanntgegeben, die sie in der Unionsführung zuvor abgesprochen hatte.

Da alle möglichen Koalitionspartner der Union, also SPD, Grüne und FDP, die Ehe für alle zur Bedingung für ein nächstes Regierungsbündnis erklärt hatten, besprach Merkel mit CSU-Chef Horst Seehofer und mit ihrem Präsidium ihren Plan, für die nicht mehr zu vermeidende Abstimmung im Bundestag den Fraktionszwang aufzuheben.

Freilich wollte Angela Merkel erst in der kommenden Wahlperiode nach einer Phase der Debatte über das Thema abstimmen lassen. Schließlich weihte sie auch noch die Mitglieder des Kardinal-Höffner-Kreises, eines Zusammenschlusses christlicher Abgeordneter, in ihre Pläne ein.

(mar/qua)
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