Nach der Blamage von Mecklenburg-Vorpommern Merkels Alternativen für Deutschland

Berlin · Kurswechsel, umsteuern, korrigieren – seit die AfD von Wahlerfolg zu Wahlerfolg eilt, fordern Unionspolitiker von Angela Merkel eine andere Flüchtlingspolitik. Was kann sie, was wird sie nach der Blamage von Mecklenburg-Vorpommern ändern?

 Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) bei einer Kabinettssitzung Ende August.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) bei einer Kabinettssitzung Ende August.

Foto: afp, oa

Kurswechsel, umsteuern, korrigieren — seit die AfD von Wahlerfolg zu Wahlerfolg eilt, fordern Unionspolitiker von Angela Merkel eine andere Flüchtlingspolitik. Was kann sie, was wird sie nach der Blamage von Mecklenburg-Vorpommern ändern?

Übernächsten Sonntag droht in Berlin die nächste Klatsche für die CDU. Doch danach bleibt bis zu den Wahlen im Mai in Schleswig-Holstein und NRW Zeit, auf wachsenden Wählerprotest einzugehen. Zeit, die auch CDU-Generalsekretär Peter Tauber bei seiner Wahlnachlese ansprach: "Es braucht Zeit, bis all diese Maßnahmen wirken, und es braucht Zeit, bis verlorenes Vertrauen zurückkehrt."

Das klingt nicht danach, als wolle die CDU intensiv umsteuern. Die CSU sieht das anders und nennt Details: "Wir brauchen eine Obergrenze für Flüchtlinge, schnellere Rückführungen, eine Ausweitung der sicheren Herkunftsländer und eine bessere Integration", listet CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer auf.

Abschiebe-Hindernisse sollen abgeräumt werden

Merkel hat das Wort Obergrenze bislang gemieden. Nach Einschätzung der CDU-Zentrale macht diese Debatte in Zeiten stark gesunkener Flüchtlingszahlen auch keinen Sinn. Die von Merkel schon früh angekündigten "signifikant sinkenden" Flüchtlingszahlen seien ohne Obergrenzen erreicht worden, wozu CSU-Chef Horst Seehofer das Instrument vorgesehen hatte.

Schnellere Rückführungen hat Merkel wiederholt angekündigt. Doch in erster Linie machen das die Bundesländer, denen sie die Unterstützung der Bundespolizei angeboten hat. Derzeit lässt sie von McKinsey untersuchen, wo und wie weitere Abschiebe-Hindernisse abgeräumt werden können. Auch beim G20-Gipfel in China unterstrich sie, dass alle gehen müssten, die nicht als Flüchtling oder Asylbewerber anerkannt seien.

Die Maghreb-Staaten zu sicheren Herkunftsländern zu erklären, ist angekündigtes Ziel Merkels - bei der Umsetzung hakt es noch an den Stimmen der von den Grünen mitregierten Länder im Bundesrat. Auch eine bessere Integration ist mit dem Integrationsgesetz vor der Sommerpause auf dem Weg.

Den oft zitierten Kontrollverlust des Staates bekommt die Regierung zwar schleppend, aber immer mehr in den Griff. Systeme für einheitliche elektronische Flüchtlingsdaten, Identifikationen und Dokumentationen werden seit Jahresbeginn aufgebaut. In manchen Regionen sind nahezu alle Neuankömmlinge erfasst, in anderen muss noch mehr passieren. Es ist fraglich, wie Merkel das aus dem Kanzleramt heraus beschleunigen kann.

Mehr Absicherung der Binnengrenze - hier stand die Kanzlerin monatelang auf der Bremse, so oft Sicherheitspolitiker und Bundespolizei "Grenzen dicht" riefen. Inzwischen steht sie aber auch hinter einer Ausweitung von Kontrollen, Gesichtserkennung durch Videoüberwachung, intensivem Datenaustausch und Schleierfahndung nicht nur in Grenzregionen. Sollte es erneut zu einem Anschwellen der Flüchtlingsbewegung kommen, müsste sich erweisen, wie sehr Merkel ihre Willkommenspolitik inzwischen modifiziert hat.

Wesentlich entscheidender ist jedoch, dass die mit der Flüchtlingsdynamik entstandenen Angstgefühle, verstärkt durch die Silvesterübergriffe, eine diffuse Unzufriedenheit mit Merkels Modernisierungskurs verfestigt haben, die durch einige konkrete Schritte kaum beherrschbar ist. Sie könnten möglicherweise durch eine neue Herausforderung überlagert werden. Doch eine Steuerentlastungsdebatte erscheint dafür etwa zu wenig Gewicht zu haben. Denkbare Herausforderungen durch Terrorismus oder eine neue Finanzkrise würden erneut die Scheunentore zur AfD öffnen. An diesem wichtigsten Punkt kann die Kanzlerin nur millimeterweise von der aktuellen Merkel-muss-weg-Stimmung zum alten Merkel-Grundvertrauen zurückkommen. Wenn es ihr überhaupt gelingt.

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Vor allem muss sie aufpassen, sich nicht in einen Widerspruch zu den Grundzügen ihrer Flüchtlingspolitik zu setzen. Sonst gäbe sie zwar 20 Prozent der Wähler recht, ohne sie zu gewinnen, würde aber 80 Prozent vor den Kopf stoßen. Deshalb auch ihr Bekenntnis, die "Grundentscheidungen" seien richtig gewesen.

Bleibt ein Doppelgespann-Modell, wie es angeblich in der CSU-Zentrale durchdacht wird: Seehofer tritt in Bayern als Spitzenkandidat an, um im Bund Merkels Politik zu "ergänzen". Doch selbst ein Merkel-Skeptiker wie Wolfgang Bosbach, der auch aufhört, weil er die frühere CDU vermisst, gibt nach der Mecklenburg-Vorpommern-Wahl zu Merkels Kanzlerkandidatur zu Protokoll: "Ich wüsste nicht, mit wem wir mehr Erfolg haben könnten."

(may-)
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