Finanzminister Steinbrück im Interview "Weitere Risiken drohen"

Düsseldorf (RP). Bundesfinanzminister Peer Steinbrück kritisiert im Interview mit unserer Redaktion die Bankmanager, die jeden Sinn für Proportionen und Risiken verloren hätten. Eine weitere Bankenpleite in Deutschland will er nicht ausschließen.

 SPD-Vize Peer Steinbrück will keine Minderheitsregierung in Hessen.

SPD-Vize Peer Steinbrück will keine Minderheitsregierung in Hessen.

Foto: AP, AP

Die Finanzkrise schien schon überwunden. Jetzt kommt sie mit Macht zurück. Gab es schon einmal Vergleichbares?

Steinbrück Sie können die Erschütterungen an den Finanzmärkten kaum mit anderen Krisen vergleichen ­ etwa der Russland-, der Lateinamerika- oder der Asienkrise. Richtig ist, dass es eine der schwersten Krisen ist, die wir in den vergangenen Jahrzehnten erlebten.

Hat nicht auch die Gier ihren Teil zum Finanzcrash beigetragen?

Steinbrück Der Markt ist offenbar allein nicht in der Lage, solche Exzesse zu verhindern. Es gibt viele Manager, die jeden Sinn für Proportionen und Risiken verloren haben. Sie haben abenteuerliche Margen bei gigantischen Risiken gesucht. Jetzt gehen die Knallfrösche überall hoch ­ mit dramatischen Folgen.

Das Ende von Wall Street?

Steinbrück Die Amerikaner entdecken die Vorzüge des deutschen Universalbankensystems. Das heißt, die Banken spezialisieren sich nicht mehr auf Investmentbanking, Kredite für Privatkunden oder Vermögensverwaltung, sondern gleichen ihre Risiken besser aus, indem sie alles in ihr Geschäftsmodell aufnehmen.

Die Krise schwappt auch gefährlich auf Deutschland über. Befürchten Sie eine Kreditklemme?

Steinbrück Das ist doch Quatsch. Die Sparkassen haben im ersten Halbjahr mehr Kredite an den Mittelstand vergeben als im Vorjahresvergleich.

Die deutschen Großbanken klagen über mangelnde Liquidität ...

Steinbrück Deshalb pumpen die Notenbanken in abgestimmten Aktionen Milliarden in die Märkte. Bisher klappt das gut. Ich will das nicht gesundbeten. Wir haben eine schwere Krise, aber bislang auch die Mittel, sie zu bändigen.

Welche konkreten Spuren hinterlässt den die Lehman-Pleite in Deutschland?

Steinbrück Wir haben die Außenstände von Lehman in Deutschland geprüft. Bislang sind die Folgen beherrschbar. Aber ich kann nicht ausschließen, dass noch Risiken in den Bilanzen liegen.

Sie fordern eine stärkere Regulierung der Kapitalmärkte, Ihre Kollegen in Washington und London mauern.

Steinbrück Das ist doch nicht wahr. Wir haben im April die Vorschläge des Stabilitätsforum im G7-Kreis und dem der europäischen Finanzminister beschlossen, ein 100 Tage Programm festgelegt und diverse Gremien mit der Umsetzung beauftragt. In Basel arbeitet ein ständiger Ausschuss. Wir machen Fortschritte bei den Eigenkapitalstandards, bei der Gruppenaufsicht. Es hat sich in den letzten Monaten einiges getan. Das sollte zur Kenntnis genommen werden

Reicht das?

Steinbrück Es geht um die Umsetzung beschlossener Maßnahmen, weniger darum, immer wieder etwas Neues zu entwickeln.

Die US-Regierung hat die Großbank Lehman Brothers pleitegehen lassen. Ist auch in Deutschland die Zeit der staatlichen Rettungsaktionen begrenzt?

Steinbrück Die Amerikaner entscheiden von Fall zu Fall. Bei der Versicherung AIG wird jetzt wieder ein staatliches Rettungspaket geschnürt. Das kann ich verstehen und begrüße es. Ich würde auch nicht einen Freifahrtschein für die Zukunft geben nach dem Motto: Wir retten in Deutschland jede in Schieflage geratene Bank. Das wäre ein völlig falsches Signal.

Bei der IKB haben Sie über die KfW und mit Hilfe anderer Banken einen Risikoschirm von fast zehn Milliarden Euro aufgebaut.

Steinbrück Das Insolvenzrisiko und die damit verbundenen Kosten waren viel größer als die Kosten der Rettung. Übrigens: Wir haben der IKB aus Steuergeldern lediglich 1,2 Milliarden Euro an Darlehen gegeben. Das kommt wohl nicht zurück. Der Risikoschirm ist höher, aber er wird aus dem laufenden Geschäft der Förderbank KfW gespeist, soweit er in Anspruch genommen werden muss. Das sind keine Steuergelder, sondern Mittel aus dem normalen Bankgeschäft der KfW, die aber natürlichen Spielraum ihrer sonstigen Aktivitäten verringern würden.

Ist eine weitere Bankpleite in Deutschland auszuschließen?

Steinbrück Ich sehe dafür aktuell keine Anhaltspunkte. Aber ich stecke auch nicht in den Büchern der Kreditinstitute.

Sie wollen den Bundeshaushalt bis 2011 ausgleichen. Könnten die abgeschwächte Konjunktur und die Bankenkrise einen Strich durch die Rechnung machen?

Steinbrück Es gibt optimistische Prognosen, es gibt pessimistischere Prognosen. Ich nehme den Mittelweg. Und danach halte ich es für realistisch, dass wir 2011 den Haushaltsausgleich schaffen.

Wenn es doch eng wird?

Steinbrück Dann werden wir die entsprechenden Stellschrauben so verändern müssen, dass wir den Kurs halten können. Die Haushaltsaufstellung ist doch nicht schicksalsgegeben. Das Ziel der Großen Koalition steht unverrückt: Keine neuen Schulden mehr in 2011.

Ihr Vorgänger Eichel hat das auch versprochen und ist gescheitert.

Steinbrück Wir haben doch von Anfang an den Haushaltsausgleich geplant. Und in jedem Jahr waren wir besser als der Plan. Das ist der Unterschied.

Bundeskanzler Schröder hat Eichel im Kabinett einmal gesagt: "Hans, lass mal gut sein.” Muss dann ein Finanzminister zurücktreten?

Steinbrück Ich würde es tun, wenn ich im Kabinett isoliert wäre. Aber die Kanzlerin hat mich bislang immer unterstützt.

Wird sie das auch im Wahljahr tun?

Steinbrück Ja. Es geht um ein zentrales Projekt der Bundesregierung.

Es gibt auch Risiken an anderer Stelle. Das Bundesverfassungsgericht könnte die Regelung zur Pendlerpauschale kippen.

Steinbrück Das ist eine Unwägbarkeit. Aber es macht keinen Sinn jetzt über den Ausgang zu spekulieren. Ich bin überzeugt, dass das Gericht unseren Argumenten folgen wird.

Würden Sie am liebsten die Pendlerpauschale ganz abschaffen?

Steinbrück Das steht aktuell nicht zur Debatte — lassen Sie uns doch die Entscheidung aus Karlsruhe abwarten.

Angenommen, die Entscheidung des Verfassungsgerichts fällt ungünstig für Sie aus. Würden Sie dann die Arbeitnehmerpausschale kürzen?

Steinbrück Das will ich nicht ausschließen. Aber es gibt keine derartigen Entscheidungen. Dafür ist es jetzt viel zu früh..

Sie haben EU-Kommissarin Neelie Kroes angegriffen, weil sie mitten im Genehmigungsverfahren für die WestLB-Hilfen eine Aufspaltung der Bank forderte. Will sie in Wirklichkeit ein Ende der öffentlich-rechtlichen Sparkassen?

Steinbrück Die EU-Kommission hat mir mehrfach versichert, dass sie das nicht will. Ganz überzeugt bin ich nicht. Was Frau Kroes gemacht hat, war in einem laufenden Verfahren gelinde gesagt ungewöhnlich und befremdlich.

Sie sind auch SPD-Vize. Ist nach dem Rücktritt von Beck nun alles gut?

Steinbrück Der Rücktritt ist bedauerlich, aber die SPD hat sich neu aufgestellt. Wir haben jetzt die stärkste Kombination, die möglich ist.

Die strukturellen Probleme aber bleiben.

Steinbrück Um als Partei erfolgreich zu sein, brauchen wir Sozialdemokraten ein Alleinstellungsmerkmal. Wir müssen zum einen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Landes auf unsere Fahnen schreiben, auch um die demographischen Herausforderungen zu meistern und unsere Sozialsysteme finanzierbar zu halten. Wir müssen aber auch die Gesellschaft zusammenhalten, die von Fliehkräften bedroht ist. Das schafft man nicht mit Marktwirtschaft pur.

Als Wahlkämpfer in Mettmann bei Düsseldorf sind Sie gegen die von Bayer geplante CO-Pipeline. Hat Sie Bayer-Chef Wenning nun persönlich vom Sinn der Pipeline überzeugt?

Steinbrück Nein. Die Befürchtungen in der Bevölkerung sind sehr ernst zu nehmen. Wir werden gemeinsam mit Bayer einen Fragenkatalog aufarbeiten. Ich sage aber auch ganz deutlich: Ich bin nicht industriefeindlich und will erfolgreiche Chemie in Nordrhein-Westfalen. Die erreicht man aber mit Dialog eher als mit Konfrontation gegen die Menschen.

(RP)
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