Interview mit dem Außenminister Westerwelle: "Solidarität mit Pussy Riot ist gut"

Berlin · Erstmals hat sich Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) in die Debatte um das Gerichtsverfahren gegen die Putin-kritische russische Punkband "Pussy Riot" eingeschaltet und Russland aufgefordert, die künstlerische Freiheit zu achten. Im Interview mit unserer Redaktion spricht er zudem über die Machtverschiebung in Kairo, den Krisenherd Syrien, seine Vorstellungen für die Zukunft Europas und den Umgang mit der Schuldenkrise.

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Zum Fall der russischen Band "Pussy Riot" sagte Westerwelle: "Die Freiheit der Kunst ist ein unverzichtbares Freiheitsrecht. Das sollte ein starkes Land wie Russland aushalten. Ich verfolge den Prozess um die Punkband sehr aufmerksam und begrüße, dass sich weltweit Künstler mit den Mitgliedern der Band Pussy Riot solidarisieren."

In der Debatte um die Zukunft Europas will Westerwelle die Bundestagswahl zur Abstimmung über eine Gemeinschaftshaftung der Schulden machen. "Nach dem Eintreten der Opposition für eine Haftungsunion wird die Bundestagswahl zur Richtungsentscheidung", sagte Westerwelle. Eine Haftungs- und Schuldenunion wäre ein Konstruktionsfehler, der Europa schwächt. Der griechischen Regierung solle zur Umsetzung ihres Reformprogrammes allerdings mehr Zeit eingeräumt werden, sagte Westerwelle. "Die griechische Regierung hat durch die zurückliegende Wahlkämpfe wertvolle Zeit verloren. Damit müssen alle umgehen." Eine substanzielle Abweichung bei den Reformen könne es aber nicht geben.

Außerdem sprach sich Westerwelle für eine baldige Arbeit an einer neuen europäischen Verfassung aus. "Wir sollten auch, sobald das möglich ist, mit der Arbeit an einer wirklichen europäischen Verfassung beginnen, die in einem Konvent vorbereitet werden könnte." Das Interview.

Die Euro-Krise spitzt sich zu, in Syrien herrscht Krieg, in Ägypten droht ein Machtkampf. Es könnte anstrengend werden. Sind Sie erholt?

Westerwelle: Ich denke ja, obwohl all diese drängenden Fragen natürlich auch während des Urlaubs eine große Rolle gespielt haben.

Fangen wir mit Ägypten an. Der neue Präsident Mursi hat seinen Militärchef entlassen. Was bedeutet das?

Westerwelle: Das sind Schicksalstage für Ägypten. Die Zukunft des Landes wird von den Bürgern und den politischen Institutionen in den nächsten Wochen entschieden. Meine Hoffnung und Erwartung ist, dass der Weg in Richtung Demokratie fortgesetzt wird.

Wird Ägypten ein Rechtsstaat nach dem Muster des Westens?

Westerwelle: Ich habe Präsident Mursi in den letzten Monaten zweimal persönlich getroffen und nehme ihn beim Wort, wenn er sagt, dass er eine demokratische Grundordnung und den Schutz des inneren und äußeren Friedens will. Dazu zählt übrigens auch die religiöse Pluralität wie der Schutz der christlichen Minderheit. Das werden wir weiter einfordern.

Sie haben sich mit Ihrem Besuch auf dem Tahrir-Platz das Schicksal des Landes zu eigen gemacht. Warum?

Westerwelle: Die Bundesregierung will den Erfolg der Demokratie in Ägypten. Deutschland steht auch wegen unserer eigenen Vergangenheit an der Seite der Völker, die sich von Diktatoren befreien und den Weg der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gehen wollen. Ich habe Präsident Mursi als erster Außenminister Europas unmittelbar nach der Amtseinführung besucht. Der erste frei gewählte Präsident Ägyptens hat eine Chance verdient. Unser Angebot der Transformationspartnerschaft gilt. Ägypten ist ein Schlüsselland im arabischen Raum.

Syrien ist von einer Demokratie weit entfernt. Es herrscht Bürgerkrieg. Jetzt fordern die Rebellen eine vom Westen durchgesetzte Flugverbotszone. Halten Sie das für möglich?

Westerwelle: Ich verstehe das Ansinnen der Opposition, die unter brutaler Gewalt des syrischen Machthabers leidet. Aber wir müssen sehr überlegt handeln, denn es ist offensichtlich, dass ein militärisches Eingreifen zu einem Flächenbrand in der Region führen könnte. Wir wollen, dass die Gewalt endet und Syrien die Chance zu einer demokratischen Entwicklung bekommt.

In der Euro-Krise werben SPD und Grüne nun offensiv für eine Gemeinschaftshaftung der Länder bei den Schulden. Wird das Thema die zentrale Auseinandersetzung bei den Bundestagswahlen?

Westerwelle: Nach dem Eintreten der Opposition für eine Haftungsunion wird die Bundestagswahl zur Richtungsentscheidung. Ich lehne eine gesamtschuldnerische Haftung Deutschlands für die Schulden ganz Europas ab. Das ist keine Frage des Zeitpunkts. Eine Haftungs- und Schuldenunion wäre ein Konstruktionsfehler, der Europa schwächt. In Deutschland gibt es auch nach 60 Jahren Bundesrepublik keine Haftung der Länder füreinander. Die Krise in Europa wird durch Reformen und solide Haushaltspolitik gelöst, nicht durch neue Schulden. Die Bürger werden entscheiden müssen, ob Deutschland geradewegs in eine Haftungsunion geht oder ob Reformen, Haushaltsdisziplin und Solidarität unsere Politik leiten. Ohne FDP kommen Eurobonds.

Kann man ,Mehr Europa' mit weniger Euro-Mitgliedsländern schaffen?

Westerwelle: Unser Ziel ist es, die Euro-Zone in ihrer jetzigen Form zu erhalten. Wir appellieren an die griechische Regierung, den Reformpfad endlich wieder aufzunehmen und bei der Haushaltskonsolidierung Ergebnisse zu präsentieren. Eine substanzielle Aufweichung der vereinbarten Programme kann es nicht geben.

Eine substanzielle Änderung nicht, aber mehr Zeit für Reformen?

Westerwelle: Die griechische Regierung hat durch die zurückliegenden Wahlkämpfe wertvolle Zeit verloren. Damit müssen alle umgehen. Aber eine substanzielle Abweichung bei den Reformen kann es nicht geben.

Braucht Deutschland eine europäische Verfassung?

Westerwelle: Ich bin Verfassungspatriot. Wir haben die beste Verfassung, die Deutschland je hatte. Aber wir sollten auch, sobald das möglich ist, mit der Arbeit an einer wirklichen europäischen Verfassung beginnen, die in einem Konvent vorbereitet werden könnte. Wenn wir dann an einem hoffentlich nicht allzu fernen Tag eine europäische Verfassung haben, sollte darüber auch das deutsche Volk abstimmen.

In Russland drohen Mitgliedern der Punkband Pussy Riot wegen angeblichem Rowdytum mehrjährige Haftstrafen. Ist Putins Russland demokratisch?

Westerwelle: Wir wollen eine strategischer Partnerschaft, nicht nur in Energie- oder Sicherheitsfragen, sondern auch in Fragen der Rechtsstaatlichkeit. Ich verfolge den Prozess um die Punkband sehr aufmerksam und begrüße, dass sich weltweit Künstler mit den Mitgliedern der Band Pussy Riot solidarisieren. Die Freiheit der Kunst ist ein unverzichtbares Freiheitsrecht. Das sollte ein starkes Land wie Russland aushalten.

(brö)
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