Diskussion um Migranten-Thesen Wie die Weltpresse über Sarrazin urteilt

Berlin (RPO). Schadet Thilo Sarrazin mit seinen Thesen dem Ansehen der Deutschen in der Welt? Das ist die Frage, die sich die Politik in Berlin dieser Tage stellt. Und zwar so sehr, dass sich die Kanzlerin veranlasst sah, in einer türkischen Zeitung Stellung dazu zu nehmen. Die Sorge ist nicht ganz unbegründet, denn die Auslandspresse berichtet seit Tagen reichlich über Sarrazin - aber nicht immer im negativen Sinne.

Sarrazin bei der Buchvorstellung "Deutschland schafft sich ab"
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Sarrazins Argument, Deutschland werde durch türkische und andere muslimische Einwanderer dümmer, sei "Unsinn", sagte Merkel der türkischen Zeitung "Hürriyet". Sie könne Sarrazins Äußerungen nicht akzeptieren. Mit dem Interview geht die Kanzlerin einen ungewöhnlichen Weg, um das Ansehen der Deutschen zu wahren.

Schon am Donnerstag hatte Bundespräsident Christian Wulff im Zusammenhang mit Sarrazins Position als Bundesbank-Vorstand erklärt, dass der Vorstand der Bundesbank einiges tun kann, um Deutschland vor allem auch international nicht zu schaden. In den türkischen Zeitungen jedenfalls wurde der Fall sehr stark diskutiert. Viele bezeichneten Sarrazin als "Rassisten".

Schlagzeilen bis in die USA

Doch nicht nur in der muslimischen Welt wurde das Thema aufgegriffen. Von Italien über die Schweiz bis Dänemark, Großbritannien oder die USA - überall auf der Welt wird von dem deutschen Bundesbank-Vorstand berichtet, der gegen Muslime und Juden wettert. So etwa in Polen. Dort titelte die Zeitung "Gazeta Wyborcza": "Der Bundesbank-Rassist".

Oftmals sind die Artikel sehr sachlich verfasst und beschreiben die Diskussion in Deutschland. Auch werden immer die Gegenargumentationen angebracht. So zitiert etwa die renommierte "New York Times" Außeniminister Guido Westerwelle, der gesagt hatte, Sarrazins Äußerungen hätten keinen Platz in der politischen Diskussion. Oder Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, der erklärte, jede Provokation hat seine Grenzen.

Die US-Zeitung "Huffington Post" gibt sich ebenfalls sachlich, konstatiert aber: "Sarrazin wusste sehr gut, dass sein Land seit dem Holocaust kein bisschen tolerant gegenüber antisemitischen Bemerkungen ist und dass viele Immigranten in Deutschland sich über rassitische Bemerkungen und ausländerfeindliches Verhalten beschweren."

"Guardian" schreibt von "Geschwätz"

Ähnlich geht auch die italienische "La Stampa" in die Diskussion. Dort hieß es, Sarrazin habe mit seinem Buch das Schweigen gebrochen, das bisher über den offenen Nerven Deutschlands gelegen habe. Zugleich habe die Nebeneinanderstellung von Juden und Türken nichts anderes als einen Kurzschluss verursacht, für den Sarrazin zahlen muss.

Kommentierend wird der britische "Guardian". Dort schreibt der Autor Deniz Yücel über seine Erfahrungen - und vor allem über seine Familie. Er fragt, wen denn Sarrazin mit seinen Thesen meine, dass die Immigranten sich nicht integrieren wollen. "Er kann nicht meine Schwester Ilkay meinen, die jedes Jahr Weihnachten feiert", konstatiert er. Und es könne auch nicht seine Kollegin sein, die sich bei der Fußball-WM mit den deutschen Nationalfarben schmückte.

Yücel nennt Sarrazins Äußerungen "Geschwätz", dass nichts mit dem Leben der Immigranten zu tun hat. Und er sagt, dies sei die Ursache dafür, dass sich viele "angeekelt" fühlen, wie die "Hürriyet" konstatiert habe.

Israel widmet sich "Gen-Theorie"

Ganz anders und überraschend geht die israelische Zeitung "Haaretz" an das Thema heran. Sie berichtete über Sarrazins Äußerungen, veröffentlichte aber zugleich einen Artikel unter der Überschrift "Jüdische Gen-Theorien schlagen Wellen in Deutschland, in Israel sind sie unbemerkt".

"Ein jüdisches Gen -es ist unglaublich, dass die Rassentheorie weiter Einfluss in Deutschland hat", schreibt "Haaretz" zwar. Anschließend aber konstatiert die Zeitung: "Jetzt lesen sie die folgende Perle: 'Ein Konvertit, der zu den Orthodoxen konvertiert, hat das jüdische Gen. Wenn er nicht zu den Orthodoxen konvertiert, hat er nicht das jüdische Gen.'"

Dieser Ausspruch, so schreibt die Zeitung, stammt aus einem Interview mit dem israelischen Innneminister Eli Yishai in der "Jerusalem Post". Und sie merkt an, dass grundsätzlich niemand aus dem Stuhl zu fallen brauche, indem er Yishais Kommentar auf ausländische Arbeiter und ihre Kinder beziehe. Yishai habe dies im Zusammenhang mit Äußerungen über die Palästinenser geäußert.

Und in Dänemark wird die Diskussion auf das eigene Land bezogen. So schreibt die konservative Zeitung "Berlingske Tidende", Dänemark habe rechtzeitig Umsicht gezeigt und die Ausländerpolitik so verschärft, dass sich der Einsatz auf eine bessere soziale und kulturelle Integration beziehen konnte. Und Sarrazins Buch habe zwar mit primitiven und wenig nuancierten Gesichtspunkten Furore gemacht. Es zeige aber auch die Unvermeidlichkeit der Debatte.

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