Pofalla im Kreuzverhör zum Thema "Prism" Wie geheim darf ein Geheimdienst sein?

Berlin · Was weiß die Politik von der Arbeit der Nachrichtendienste? Und wie lässt sie sich einerseits koordinieren und andererseits kontrollieren? Die Datenspähaffäre rückt Kanzleramtsminister Ronald Pofalla in den Mittelpunkt.

Die Luft im fensterlosen Kellerraum des Jakob-Kaiser-Hauses in Berlin könnte ohnehin besser sein. Am Donnerstag kommen auch noch "heiße" Inhalte dazu, wenn das Parlamentarische Kontrollgremium in geheimer Sondersitzung ein weiteres Mal die Frage zu klären versucht, wie eng die deutschen Nachrichtendienste mit ihren amerikanischen Partnern zusammenarbeiten, was sie von dem gigantischen Abhörprogramm "Prism" gewusst haben und ob die Bundesregierung tatsächlich so ahnungslos ist, wie sie beteuert. Im Mittelpunkt steht dabei zum zweiten Mal der CDU-Politiker Ronald Pofalla. Denn er ist der Verantwortliche für die Geheimdienste in der Regierungszentrale.

Der 54-jährige Jurist aus dem niederrheinischen Weeze ist seit 2009 Kanzleramtschef und einer der engsten Vertrauten von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Als Koordinator der Regierungsgeschäfte hatte Pofalla in den zurückliegenden vier Jahren ein Mammutprogramm zu absolvieren wie kaum einer seiner Vorgänger: Energiewende, Abschaffung der Wehrpflicht, Euro-Krise lauten nur drei zentrale Vorhaben. Und stets gegen eine rot-grüne Blockademehrheit im Bundesrat. Pofalla gab den Antreiber und Ausputzer. Was im Regierungsalltag gelang, hefteten sich die Bundesminister an die Brust. Was schiefging, musste oft Pofalla ausbaden. Sein Ruf ist daher nicht der beste. In der Geheimdienstaffäre könnte es nun erstmals wirklich brisant werden.

Wusste Pofalla von den Vorgängen?

Immerhin geht es darum, ob der Kanzleramtschef früher von den Aktivitäten der NSA wusste und, wenn ja, warum er die Öffentlichkeit nicht informiert hat. In Regierungskreisen ist die Verteidigungslinie klar: Schon Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) verwies vor Bundestagsabgeordneten darauf, dass er oder die Chefs der Geheimdienste nie von den Amerikanern die Herkunft der Informationen erfahren würden. Es ist also gut möglich, dass die NSA die Deutschen abhört, aber selbst an der Spitze der Regierung niemand davon jemals erfahren hat.

Für Merkel und Pofalla geht es darum nachzuweisen, dass amerikanische Dienste nicht deutsches Recht gebrochen haben. Heißt konkret: Wenn die USA Internetverbindungsknoten etwa im Atlantik angezapft haben, um europäische Verbindungsdaten abzuschöpfen, mag das ungehörig sein. In Deutschland kann die NSA dafür kaum angeklagt werden. Anders wäre es, wenn die NSA von Wiesbaden oder Bad Aibling, also von deutschem Boden aus, ihre Spähaktivitäten koordiniert.

Einmal pro Woche lässt sich Kanzleramtschef Pofalla von den Präsidenten der deutschen Geheimdienste über aktuelle Vorgänge informieren. Entführungsfälle, Geheimdiensterkenntnisse aus Krisengebieten oder eben Informationen über Bedrohungen durch Terroristen sind dann an der Tagesordnung. Bislang ohne große Besonderheiten. Bis auf den islamistischen Überfall auf US-Soldaten am Frankfurter Flughafen konnten Terroranschläge auf deutschem Boden bisher jedenfalls verhindert werden. Auch das dürfte Pofalla den Abgeordneten morgen im Kontrollgremium mitteilen.

SPD schlachtet Thema für den Wahlkampf aus

Ob das der SPD reicht, ist indes fraglich. Im heraufziehenden Wahlkampf haben die Genossen nun verschärft Merkels Vertrauten ins Visier genommen. "Wir wollen wissen, ob es sich um einen gezielten Täuschungsversuch handelt oder um komplette Ahnungslosigkeit", sagt Thomas Oppermann, SPD-Fraktionsgeschäftsführer und Vorsitzender des Bundestags-Gremiums zu den Geheimdiensten. Daher habe er erneut Pofalla eingeladen. "Wir werden ihn fragen, was Frau Merkel über die Zusammenarbeit des BND mit der NSA wusste."

In seiner Antwort muss Pofalla auf die Software-Hilfe der Amerikaner für die deutschen Dienste eingehen. Bestätigt ist, dass die NSA dem BND und dem Verfassungsschutz ein Programm namens "XKeyscore" zur Verfügung stellte. Vor allem der Bundesnachrichtendienst schien in der Vergangenheit überfordert zu sein, bei seiner strategischen Aufklärung nutzlosen "Spam" von brisanten Kommunikationsinhalten zu trennen. Die Filter des deutschen Auslandsgeheimdienstes schafften es zwar, die Menge der anhand von Stichworten herausgegriffenen E-Mails und Telefonate von 37 Millionen im Jahr 2010 auf 2,8 Millionen in der Folge zu reduzieren. Doch waren auch darunter nur 290 verwertbare "Treffer".

"XKeyscore" scheint das professioneller zu bearbeiten. Dennoch wehren sich die Dienste gegen den Verdacht, auf diese Weise würden sie die Informationen sozusagen online auch an den großen "Prism"-Speicher der NSA weiterreichen. Dies geschehe auf ähnliche Weise, wie es die Amerikaner mit Hinweisen an die Deutschen handhaben: als einzeln zusammengestellte Sachinformation ("finished intelligence") über die gewonnenen Erkenntnisse ohne Angabe, auf welche Weise diese gewonnen wurden.

20 Prozent der Datenströme mit dem Ausland darf der BND abfischen. Von diesen Größenordnungen sollen die Pullacher aber schon aufgrund ihrer eingeschränkten technischen Fähigkeiten weit entfernt sein. Und der Inlandsgeheimdienst nimmt ohnehin nur einzelne Verdächtige unter die Lupe und braucht dafür jedes Mal eine Genehmigung der G10-Kommission des Bundestages, die auf die Einhaltung des Grundgesetzartikels zehn (Briefgeheimnis) zu achten hat. Die Regierung ist gesetzlich verpflichtet, das Kontrollgremium über die allgemeine Arbeit der Dienste und "Vorgänge von besonderer Bedeutung" auf dem Laufenden zu halten. In der Praxis bildet jedoch meistens die Medienberichterstattung den Anlass für die Geheimdienstkontrolleure, gezielt nachzufragen. In diesen Tagen besonders intensiv.

(brö / may-)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort